Cem Özdemir, türkischstämmiger Vorsitzender der deutschen Grünen, brachte das Problem in einem Profil-Interview 2006 auf den Punkt: Integration, sagte er, bedeute, "dass man sich an die Gesetze, an die Verfassung hält. Dass man sich bemüht, die Amtssprache zu erlernen." So einfach, so kompliziert.

Fast schien es nach den jüngsten Wahlschlappen so, als hätten dies auch Österreichs Sozialdemokraten begriffen. Bundeskanzler Werner Faymann versprach "mehr Polizei, schnelle Schulreform und Integration". Da tat sich gar eine rote Länder-Achse auf, die monierte, die Integrations- aus den Asyl- und Fremdenrechtsaufgaben des Innenministeriums zu lösen. Der steirische Landeshauptmann Franz Voves, der "Neue" in Oberösterreich, Josef Ackerl, und allen voran Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der die nächste schwere Wahl zu schlagen hat, sprachen sich für die Schaffung einer ministeriellen Integrationsstelle, zumindest eines Staatssekretariats, aus. Dann kam die ÖVP und sagte Nein. Daraufhin sagte auch der Kanzler Nein. Und Häupl sagte: "Na gut, dann halt nicht, wurscht." Schon ward eine inhaltliche Debatte im Keim erstickt.

Nun ist nicht nur die Optik verheerend: An der vielzitierten roten "Basis" heißt es bereits, seit Gusenbauers Zeiten habe sich nichts geändert - die ÖVP pfeife, und die SPÖ falle im Liegen um. Während die ÖVP die SPÖ unablässig mit dem Reizthema Studiengebühren sekkiert, getraut sich diese nicht einmal über ein gesellschaftspolitisches Problem nachzudenken, das dem Koalitionspartner nicht genehm ist, obwohl sich das für die Genossen an den Wahlurnen fatal auswirkt.

Darüber hinaus wird man den Eindruck nicht los, Häupl und Co hätten ihr eigenes Gerede nicht ernst gemeint: Wer sich so leicht ins Bockshorn jagen lässt, kann wohl kein Herzensanliegen verhandelt haben. Offenbar war die Motivation, die ÖVP-Innenministerin zu entmachten und den Koalitionspartner ein wenig zu ärgern. Dabei gäbe es mehr als einen guten Grund, sich dem Problem ernsthaft zu nähern. Man kann darüber diskutieren, ob ein Staatssekretariat ohne Portefeuille ausreicht oder ein eigenes Ministerium nötig wäre, ob ein "Beauftragter" der Bundesregierung, wie in Deutschland, der richtige Weg ist.

Aber man kann nicht wegdiskutieren, was ernstzunehmende Studien seit Jahren zeigen: Junge Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem Buben, fassen im Bildungssystem nur schlecht Fuß, sie besuchen selten höhere Schulen, nur wenige schaffen einen Hochschulabschluss. Oft ist auch ein erfolgreicher Lehrabschluss eine nicht zu bewältigende Hürde. Vielfach leben sie in Parallelwelten, einige driften ab, werden empfänglich für radikale Heilsbotschaften von wem auch immer.

Diese (auch sicherheitspolitisch gefährliche) Gemengelage ist kein österreichisches Spezifikum, sondern ein Problem, das die gesamte Union betrifft. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Konservativer wie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso einen eigenen Kommissar für Inneres schaffen will, der sich auch um legale und illegale Migration kümmern soll. Es ist kein Zufall, dass die konservative deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf mehr als einmal betonte, dass Deutschland es sich nicht leisten könne, die Potenziale der Migrationsbevölkerung ungenutzt zu lassen.

Man rede hingegen mit österreichischen Politikern: Kaum einer, der zugibt, dass Österreich ein Einwanderungsland ist - das könnte ja die FPÖ auf den Plan rufen. Die ÖVP erwartet, dass die Innenministerin mit Law and Order alle Probleme löst, und die SPÖ bleibt stumm und fürchtet sich vor Strache. Zukunftsweisende Politik sieht anders aus. (Petra Stuiber, DER STANDARD Printausgabe, 07.10.2009)