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Christopher Andrew beschreibt Spionage-Büro.

Foto: AP/Pitarakis

Auf der Website des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 ist nachzulesen, was die Agenten nicht machen: "Wir töten keine Menschen und bereiten keine Attentate vor." Auch beim Auslands-Geheimdienst MI6, der Heimat der weltberühmten Kunstfigur James Bond, weiß man nichts von Tötungsdelikten. Was aber machen Tausende von Spionen dann den ganzen Tag?

Licht ins Geheimdienst-Dunkel soll nun ein Buch bringen, das in London vorgestellt wurde: "Die erste offizielle Biografie eines wichtigen Geheimdienstes weltweit" , sagt Autor Christopher Andrew stolz. Der emeritierte Professor an der Uni Cambridge durfte sieben Jahre lang in den Archiven stöbern, rechtzeitig zum 100. Geburtstag des MI5 ist sein Buch fertig geworden. Er sei "nicht zensiert" worden, beteuert Andrew.

Ausführlich diskutiert das mehr als 1000-seitige Buch die Anfänge der Behörde. Gespeist aus der Hysterie über deutsche Spione entschloss sich die liberale Regierung 1909 zum Handeln. Am 1. Oktober nahm das Secret Intelligence Bureau seine Arbeit auf, geteilt in die Inlands- (MI5) und Auslandsabteilung (MI6). MI6-Boss Mansfield Cumming begründete eine hübsche Tradition, an die sich alle Nachfolger gehalten haben: Er unterzeichnete seine Aktenvermerke in grüner Tinte mit einem großen C - Vorbild für James-Bond-Autor Ian Fleming, bei dem der Vorgesetzte des eleganten Agenten M heißt.

Nüchterne Wirklichkeit

Die Wirklichkeit sieht nüchterner aus, wie Andrews Buch bestätigt. Immerhin verzeichnete MI5 schon wenige Jahre nach seiner Gründung erste Erfolge. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren zwei Dutzend deutsche Spione enttarnt, auch im Zweiten Weltkrieg machten die Briten den deutschen Agenten das Leben schwer. Im Kalten Krieg gab es dagegen einige Schlappen für die Schlapphüte: Unbemerkt gebliebene sowjetische Doppelagenten schädigten das Image.

Das Buch selbst enthält keine Sensationen. Es hinterlasse aber doch "ein gewisses Unwohlsein" , befindet Professor Anthony Glees von der Universität Buckingham. "Anderswo gibt es die Praxis, ein Team von Historikern mit einem solchen Projekt zu beauftragen. Als Gruppe wäre es fast unmöglich, sie zu manipulieren." Diesen Vorschlag des Sicherheitsexperten verwarf der Dienst jedoch.

Eliza Manningham-Buller, eine frühere Behördenleiterin, erhofft sich von dem Wälzer "ein besseres Verständnis für unsere Schwierigkeiten". Sie war als MI5-Chefin für eine der schlimmsten Pannen der vergangenen Jahre verantwortlich: Zwei der vier britischen Terroristen, die am 7. Juli 2005 52 Londoner U-Bahn- und Buspassagiere mit Bomben in den Tod rissen und Hunderte schwer verletzten, waren im Visier des MI5 gewesen, dem Netz der Fahnder aber entschlüpft.

100 Jahre nach der Jagd auf deutsche Spione konzentrieren sich mehr als 3000 Mitarbeiter heute vor allem auf islamistische Fanatiker. Stephen Dorril, Professor an der Universität Huddersfield, bezweifelt, dass der Personalstand die tatsächliche Bedrohung spiegelt. Er hält das Buch für eine geschickte PR-Maßnahme. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2009)