Gut, dass der EU-Vertrag von Lissabon bald in Kraft treten wird. Ein Restrisiko ist nur noch der tschechische Präsident Václav Klaus. Sein Starrsinn könnte im Finale noch alles durcheinanderbringen, wenngleich das unwahrscheinlich ist.

So eine Blamage werden sich die Tschechen wohl nicht antun, sondern alles daransetzen, ihren Euro-Geiselnehmer auf der Prager Burg zur Vernunft zu bringen. Aber die fast schon absurde (nationale) Verweigerung beim Vollzug demokratischer Entscheidungen durch einen Egomanen sollte der Union schon jetzt zu denken geben: Wie garantiert man, dass Blockaden der Union durch einzelne Länder oder Personen vermieden werden können?

Die entscheidende Frage nach dem Referendum in Irland wird aber sein, ob der neue EU-Vertrag auch in der Praxis in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein Erfolg wird, sprich: ob die darin enthaltenen Reformziele von forcierter gemeinsamer Politik in den Bereichen Migration, innere Sicherheit, Außenbeziehungen sowie der Stärkung der Demokratie in den EU-Institutionen umgesetzt werden.

Das hängt vor allem davon ab, inwieweit die Regierungen der Mitgliedstaaten jetzt bereit sind, tatsächlich eine europäische Politik zu machen, und nicht nationalstaatliche Kleingeisterei und Egoismus betreiben wie bisher.

Dass die politischen Führer in den EU-Staaten und die Spitzen der EU-Kommission in Brüssel nach dem Ja der Iren ihre Lieblingsfloskeln auspacken - "ein guter Tag für Europa" , "eine historische Entscheidung" -, sei ihnen gegönnt. Für Euphorie besteht aber kein Anlass. Handeln ist angesagt.

Immerhin, die Zustimmung zum EU-Vertrag könnte der Anfang vom Ende einer politischen Lähmung sein, die Europa seit der großen Erweiterung im Jahr 2004 und dem Scheitern des Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 erfasst hat. Die Union war schon zu lange nur auf Konsolidierungskurs, nicht mehr.

Das Ausmaß an Zustimmung beim zweiten Referendum in Irland - eine Zwei-Drittel-Mehrheit - ist beachtlich. Die ewigen Beckmesser gegen die Union oder Anti-EU-Hetzer mögen nun einwenden, wie undemokratisch das sei, weil man so lange abstimmen lässt, bis das gewünschte Ergebnis rauskommt. Das ist müßig. Offenbar haben Wirtschaftskrise und Zugeständnisse zur Haltungsänderung geführt.

Jedoch: Die Europäer haben vermutlich ganz andere Sorgen als jene, ob nun ein neuer EU-Außenminister kommt oder ob im Ministerrat in Brüssel mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird oder nicht. Während die Iren zu den Wahlurnen gingen, konnte man bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Istanbul die harte Wirklichkeit ablesen.

China und bald auch andere Regionen der Welt gehen wieder auf Wachstumskurs, für die EU-Staaten sieht es in den nächsten Jahren trübe aus: durchschnittliches Wachstum von nur ein bis zwei Prozent. Die Schulden explodieren, die Arbeitslosigkeit steigt (jüngst wurde ein Zehn-Jahres-Hoch im Euro-Raum verzeichnet), die Sozialsysteme sind kaum mehr zu finanzieren. Gewaltige Struktureinschnitte stehen bevor. Die sind allein auf nationaler Ebene einfach nicht mehr zu machen.

Insofern kommt die "zweite Chance" für den EU-Reformvertrag zwar spät, aber zum Glück doch. Die Europäer müssen lernen, sehr schnell lernen, dass sie im globalen Maßstab keinesfalls groß und mächtig sind. Die neuen Kraftfelder der Welt heißen ökonomisch China, Indien.

Der Vertrag von Lissabon ist nur Papier, ein Vehikel, das den Europäern die Möglichkeit gibt, ihre Probleme gemeinsam besser zu meistern. Sie müssten es nur noch tun. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2009)