Über die Unsinnigkeit von Hafen und Ziel: Frederic Morton, ebenso erfolgreicher wie kritischer Zeitgenosse.

Foto: Heribert Corn

Wien - Wahrscheinlich, schreibt Frederic Morton in seiner Autobiografie Durch die Welt nach Hause, sei er nie wirklich aus dem Zug ausgestiegen, der ihn 1939 aus Wien weggebracht hatte. Und: "Ich weiß, dass mir die Ankunft verwehrt ist. Meine Aufgabe ist es vielleicht, die Fata Morgana des Ziels auszuloten, die Unsinnigkeit und Unerreichbarkeit von Hafen und Heim." Im englischen Original trägt Mortons Autobiografie den Titel Runaway Waltz, und Ein letzter Walzer. Wien 1888/89 heißt ein historischer Roman - eine Musicalbearbeitung läuft derzeit im Ronacher -, in dem sich Morton mit den Zuständen in Wien rund um den Tod des habsburgischen Kronprinzen Rudolf auseinandersetzt.

Vielleicht sind es in der Tat Kreisbewegungen, die das Werk Mortons am ehesten charakterisieren. Das Kreisen um Herkunft und Heimat, das Drehen des Mühlrads der Geschichte, das Rattern der Zugräder auf dem Weg von hier nach nirgendwo, und immer wieder die Kreisbewegung des Wiener Walzers, dem Durch die Welt nach Hause eine seiner schönsten Passagen verdankt.

Angefangen hat alles 1924 in Wien-Hernals, Thelemangasse 8, wo Frederic Morton heute vor 85 Jahren geboren wurde und sein Vater seit 1936 die familieneigene Eisenwarenfabrik betrieb. Zu jener Zeit war Frederic ein leidlicher Schüler, begeisterter Kinogeher und ein exzellenter Turner, doch bald darauf gehören die Mandelbaums zur "verdammten Rasse". Der Vater wurde in der Reichskristallnacht ins KZ Dachau deportiert und kam unter der Bedingung frei, "das deutsche Reich" zu verlassen. Über London floh die Familie nach New York.

Der Antisemitismus sollte die Familie allerdings auch in New York einholen, denn ohne Namenswechsel hätte der Vater keinen Job bekommen. So wurde aus Fritz Mandelbaum Fred, später auf Anraten seines Verlegers Frederic Morton, der zunächst die Bäckergewerbeschule besuchte und neun Jahre als Bäcker arbeitete. Während des Studiums der Nahrungsmittelchemie erwachte dann nicht nur die Liebe zum anderen Geschlecht, sondern auch zur Literatur. Die Zuneigung zu seiner Frau Marcia, die er am College kennengelernt hatte, sollte über fünf Jahrzehnte bis zu Marcias krankheitsbedingtem Tod währen, die zur Literatur ist Morton bis heute Heimat und Anker geblieben.

Lob von Thomas Mann

Sein Debüt auf dem literarischen Parkett gab Morton 1947 mit dem Band The Hound, der mit einem Literaturpreis ausgezeichnet und von Thomas Mann gelobt wurde. Der endgültige Durchbruch gelang ihm, nachdem er viele Jahre für amerikanische Magazine wie Esquire oder Playboy geschrieben hatte, schließlich 1962 mit einem Buch, das in den USA und in England den ersten Platz der Bestsellerlisten erreichte und dessen Musicalbearbeitung zwei Jahre am Broadway lief: Die Rothschilds. Porträt einer Familie. Bücher wie Die Ewigkeitsgasse, in dem er seinem Großvater ein Denkmal setzt, und Wetterleuchten. Wien 1913/14, in dem, penibel recherchiert, die letzten Jahre vor dem Zusammenbruch der Monarchie beschrieben werden, festigten seinen Ruf als Autor, dessen Bücher "well done" sind.

Morton ist allerdings nie nur Schriftsteller gewesen, immer hat er sich, wie in seiner Kolumne für die progressive Village Voice, auch politisch geäußert. Gegen Vietnam, gegen den Irakkrieg, oft auch kritisch gegenüber Israel.

New York, wo er bis heute lebt, hat Morton nie als seine Heimat empfunden. Im Vorzimmer seines New Yorker Appartements an der Upper West Side hat sich Morton, der der englischen Sprache als Romancier treu geblieben ist, ein kleines "Kitschmuseum"- mit Bassena, Karikaturen und einem alten Schild der Thelemangasse - eingerichtet, das ihn an seine wirkliche Heimat, das Wien der 1920er-Jahre, erinnert. Im Moment schreibt Morton an einem Buch mit dem Arbeitstitel Mythos Amerika über die Diskrepanz zwischen den US-amerikanischen Idealen und der historischen Realität. Gut möglich, dass in dem Band einige Themen wie der Glaube des Westens an "die individualistische Do-it-yourself-Erlösung" oder der Verlust der Gemeinschaft durch Egoismus, mit denen sich Morton in Essays, nicht nur in Bezug auf die USA, immer wieder auseinandergesetzt hat, eine Rolle spielen. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe, 05.10.2009)