Francis Drake war sozusagen geadelter Seeräuber - seinem Geschäftsmodell folgend wäre eine alternative Tobin-Steuer denkbar.

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Die Krise wirkt: Die Steuerungsarchitektur der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist im Umbau, die Nachkriegsordnung hat ausgedient. Mehr Mitsprache für neue Spieler bedeutet weniger Stimmgewicht für die anderen - Europa ist unter Druck.

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Beim G-20-Treffen in Pittsburgh wurden Weichen gestellt, die in Richtung einer Neuordnung der globalen Steuerungsarchitektur ("governance" ) für Wirtschaftspolitik gehen. Die G-20-Regierungschefs haben sich selbst zur neuen Steuerungsinstitution ernannt. Die G-20 sind zwar umfassender als die früher die Fäden ziehenden G-7/8, da sie nunmehr auch zwölf aufstrebende Staaten, von China und Indien über Indonesien, Südafrika bis zu Brasilien und Argentinien quasi gleichberechtigt enthalten, doch fehlen ihnen Entwicklungsländer, um alle Ländertypen zu umfassen, und - schwerer wiegend - die Legitimation, in Namen aller zu sprechen.

Zum anderen haben sie sich entschlossen, den gordischen Knoten der Vertretungsrechte in den sogenannten Bretton-Woods-Institutionen, das sind der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, zu zerschlagen und zugunsten der Schwellen- und Entwicklungsländer zu verändern. Diese beiden Institutionen sind wichtig, da sie alle Länder der Welt umfassen und für die mittelfristige Balance der Weltwirtschaft und die Heranführung der Entwicklungsländer an die Industrieländer (Weltbank) verantwortlich sind. Beide Institutionen haben während der Krise massiv an Bedeutung gewonnen.

EU stark repräsentiert

So sollen fünf Prozent der IMF-Stimmrechte und drei Prozent der Weltbank-Stimmrechte (zusätzlich zu bereits vereinbarten 1,46 Prozent) von den Industrieländern zu Entwicklungs- und Transitionsländern wandern. Es gibt nur eine Ländergruppe, die als (unfreiwilliger) Abgeber infrage kommt, nämlich die EU-Länder. Diese haben grob 32 Prozent der Stimmrechte in den Bretton-Woods-Institutionen. Dazu nehmen sie sieben Sitze von den jeweils 24 in den Verwaltungsräten dieser Institutionen ein. Die USA haben 17 Prozent der Stimmrechte und einen Sitz.

Seit Jahren steht eine Stärkung von Stimm- und Vertretungsrechten der Entwicklungs- und Transitionsländern auf den Agenden der Jahrestagungen dieser Institutionen. Die bisherigen "Fortschritte" sind jedoch bescheiden. Es geht einerseits darum, die neuen weltwirtschaftlichen Relationen anzuerkennen - und etwa China, der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, und Indien, der fünftgrößten, ihren gebührenden Platz zu geben, andererseits auch den etwa 42 afrikanischen Ländern, die durch nur zwei Direktoren im Verwaltungsrat vertreten werden, eine bessere und stärkere Vertretung zuzugestehen. Es geht aber vor allem darum, diese globalen Institutionen, die seit der Krise deutlich in ihren Kompetenzen und finanziellen Interventionsmöglichkeiten gestärkt wurden, aus der Einflussverteilung der Nachkriegszeit in jene des 21. Jahrhunderts zu führen - und damit den Veränderungen der letzten 70 Jahre Rechnung zu tragen.

Die deutlich überproportional vertretenen EU-Länder sträuben sich, Positionen (und Einfluss) aufzugeben. Alle bisherigen Versuche, auch innerhalb der EU-Gremien, die EU-Stimmrechte zu bündeln und durch eine gemeinsame Vertretung (in ein oder zwei Sitzen, etwa für die Euro-Gruppe und den "Rest) zu stärken, sind bisher fehlgeschlagen, da weder die vier G-7-Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) ihren Einzelsitz aufgeben wollen noch die Kleinen (u.a. Österreich, Belgien, Niederlande, Spanien) den ihren. Bisher hat ausschließlich Österreich seine Bereitschaft kundgetan, seine ihm derzeit zustehenden Positionen in Währungsfonds und Weltbank aufzugeben, unter der Voraussetzung, dass eine starke, einheitliche, auf Konsultation und Information aufbauende europäische Vertretung zustande kommt.

Einfluss geht verloren

Europa kommt nun von mindestens zwei Seiten als Verhinderer, Besitzstandwahrer, neuer Kolonialist unter Druck: vonseiten der USA, die selber ihre De-facto-Vetostellung in den Institutionen verteidigen, und vonseiten der Entwicklungsländer, die in der europäischen Über-Repräsentation zu Recht das Grundübel ihrer eigenen Unter-Repräsentation sehen.

Es ist abzusehen, dass die EU-Länder bald einen Großteil ihres Einflusses verloren haben werden, da sie selbst nicht in der Lage sind, großzügige Angebote zu machen - und ihnen letztlich ein Ergebnis, das für sie jedenfalls schlecht ist, oktroyiert werden wird. Entweder werden die kleinen EU-Länder den vier G-7-Vertretungen zugeschlagen, oder sie einigen sich selbst auf ein Rotationssystem à la Europäische Zentralbank, das effektive und faire Vertretung gewährleistet.

Geschichte straft die Zögerer

Mit einer von den EU-Ländern aktiv betriebenen Reform der Bretton-Woods-Institutionen (dazu gehört auch die Forderung, die Präsidentenämter von IMF und Weltbank tatsächlich international auszuschreiben und mit den besten KandidatInnen zu besetzen) könnten sich diese wieder in den Mittelpunkt der Nach-Krisen-Reformen stellen und auch gleichzeitig in der neuen globalen wirtschaftspolitischen Governance "Koalitionspartner" in den großen aufstrebenden Ländern und den armen Entwicklungsländern finden. Wenn nicht, besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass die Geschichte über sie hinwegrollt und sie marginalisiert. (Kurt Bayer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.10.2009)