Wien - Für ein "falsches politisches Signal" hält Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, die Ausnahmeklausel im Gesetzesentwurf zur Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren. Tötungsdelikte im Zusammenhang mit einer Desertierung seien die "absolute Ausnahme" gewesen, meistens habe es sich dabei auch um Notwehr gehandelt, betonte der Historiker. "Die ganz Debatte läuft in die völlig falsche Richtung."

Da in der Öffentlichkeit "nach wie vor völlig falsche Bilder über Wehrmachtsdeserteure im Umlauf sind", sei deren Rehabilitierung "unbedingt notwendig", sagte Rathkolb. Dies merke man auch an der politischen Debatte: "Eine Rehabilitierung ist bis heute nicht gelungen." Viele hätten die Vorstellung, Deserteure hätten ihre Kameraden getötet. Eine Studie habe ergeben, dass es nur in zwei von 400 untersuchten Urteilen gegen österreichische Wehrmachtsdeserteure zu einer "Handlung mit Todesfolge" gekommen war.

Gesetzesentwurf

Es handle sich also um die "absolute Ausnahme", so der Historiker. "Und auch das bedeutet nicht automatisch Mord, meistens hat es sich um Notwehr gehandelt." Die gesamte Debatte "läuft in die völlig falsche Richtung". Die Ausnahmeklausel im Gesetzesentwurf des Justizministeriums, wonach Urteile gegen Deserteure, die auch wegen Mordes verurteilt worden waren, eher nicht aufgehoben werden, sei "irrelevant", meint der Experte.

"Das ist nicht der Punkt", denn dadurch entstehe "der Eindruck in der öffentlichen Debatte, dass diese Ausnahmefälle repräsentativ sind für alle Deserteure". Dies sei "das falsche politische Signal" und "widerspricht allen Forschungen". Man solle das Gesetz "nicht aushöhlen durch diese Ausnahmeklausel", forderte Rathkolb. Im Übrigen sei es "völlig unmöglich", nach so langer Zeit nachzuweisen, ob es sich um Mord oder Notwehr gehandelt hat.

Das Argument einiger Politiker, Desertion sei auch heute noch strafbar, lässt Rathkolb überhaupt nicht gelten: "Die deutsche Wehrmacht ist nicht mit einem demokratisch legitimierten Heer zu vergleichen." Die Wehrmacht habe sich im Laufe des Zweiten Weltkriegs "zunehmend von jeglicher rechtlichen Basis entfernt". "Der Vergleich geht ins Leere und ist absurd", meinte der Historiker.

Aufhebung der Urteile ein "Signal"

Grundsätzlich sei aber mittlerweile in der Aufarbeitung der NS-Justiz "sehr viel passiert". Handlungsbedarf sieht der Historiker in der jüngeren Geschichte noch bei den Todesurteilen aus dem Jahr 1934, die formal noch nicht aufgehoben worden seien. "Das wäre auch an der Zeit." Betroffen sei zwar ein vergleichsweise kleiner Personenkreis aus dem sozialdemokratischen Lager, trotzdem wäre die Aufhebung der Urteile für Rathkolb ein "Signal". (APA)