Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht in Cornwall, am Starnberger See: "Sie trug einen weißen Badeanzug und darüber ein hellblaues, offenes Männerhemd. Sie umarmte mich und küsste mich auf die Wangen, vertraulicher als sonst, schien mir": Peter Stamm.

Foto: Archiv

Literatur und Architektur: Bei beiden kommt es auf einen klugen Umgang mit Räumen an, und für beide gilt, dass in einschlägigen Gesprächen vorzugsweise diskursive Versatzstücke bemüht werden: "Alles kam mir künstlich vor, die Gespräche der anderen langweilten mich, ihre großen Ideen, die Schwadroniererei Ferdis über den Dekonstruktivismus und über die verdrängte Unreinheit der Form. Er hatte immer besser geredet als gezeichnet und wechselte seine Vorbilder wie andere Leute die Hemden."

Der derart Gelangweilte heißt Alexander, und er ist der Ich-Erzähler in Peter Stamms neuem Roman Sieben Jahre. Alexander ist mit Sonja verheiratet, sie haben nach dem Studium gemeinsam ein Architekturbüro aufgebaut und leben mit Sophie, die Alexanders, aber nicht Sonjas Tochter ist, in Tutzing unweit von München. Sophies leibliche Mutter heißt Ivona, eine bibelfromme polnische Hilfsbuchhalterin ohne Aufenthaltsgenehmigung, ohne irgend-ein Merkmal, das erklären könnte, warum Alexander in ihrem Bann steht.

Er hat sie gegen Ende seines Studiums im Englischen Garten in München kennengelernt, ihr Miteinander definiert sich ausschließlich über Sexualität. Nach seiner Verehelichung mit Sonja versucht Alexander, Ivona zu vergessen (was ihm naturgemäß nicht gelingen wird), Ivona zeigt sich von Alexanders Zurückweisungen unbeirrt, sie sagt, dass sie ihn liebe - eine Liebe, die in bedingungsloser Unterwerfung und finanziellen Gegenleistungen zu ihrer bizarren Form findet. Als Ivona von Alexander schwanger wird, entschließt sie sich, das Kind zur Adoption freizugeben, zum Kindeswohl. Sonja weiß um die Zeugungsumstände der kleinen Sophie, sie wird "die Polin" nie kennenlernen.

Was nach einer Dreiecksgeschichte für Leser mit akademischer Vorbildung klingt, nimmt Ende der 80er-Jahre seinen verheißungsvollen Anfang: "Sonja lag im Gras auf einer Decke, sie streckte mir die Hand entgegen, und ich half ihr auf. Sie trug einen weißen Badeanzug und darüber ein hellblaues, offenes Männerhemd. Sie umarmte mich und küsste mich auf die Wangen, vertraulicher als sonst, schien mir."

Die Szene spielt nicht in Cornwall, sondern am Starnberger See, dessen Ufer von den Refugien des Münchner Geldadels gesäumt wird. Mit Ausssicht auf den See und eine vielversprechende Zukunft feiert die Clique frischgebackener Architektinnen und Architekten ihr Abschlussdiplom im Wohlstandsambiente des Elternhauses: "Ich hatte die Sonne im Rücken und über allem lag ein dunkler Glanz. Die Szene überwältigte mich in ihrer zeitlosen Beschaulichkeit. Jemand spielte tatsächlich Gitarre, und wenn es nicht so schön gewesen wäre, wäre es mir lächerlich vorgekommen." Genau das. Es bleibt jedem unbenommen, im allzu einfach Gestrickten das Unaufgeregte, ja Lakonische auszumachen, aber wie viel Hochglanzästhetik hält ein Text aus, um seinen belletristischen Anspruch zu wahren? Nein, es soll hier nicht einer sogenannten elitären Literatur das Wort geredet werden, auch die Dümmsten haben mittlerweile begriffen, dass es nicht um E oder U geht. Es geht schlichtweg um die Frage, welcher Transformation Literatur bedarf, um über den Erlebnisbericht hinaus etwas zu erschaffen, das nur in ihr und durch sie möglich, erfahrbar wird.

Stamm selbst hat in seinen Büchern hinreichend bewiesen, dass man mit einfachen Sätzen komplexe Verhältnisse erforschen, auf eine Welt hinter der Welt verweisen kann, und für die Engführung von Literatur und Architektur lässt sich in Ulf Erdmann Zieglers Hamburger Hochbahn jederzeit (er)lesen, dass es keinerlei sprachexperimenteller Ambitionen bedarf, um die Korrespondenzen literarischer und architektonischer Räume aufs Wunderbarste auszuloten.

Dass Stamm die großen Fragestellungen hinter seiner kleinen Versuchsanordnung textimmanent gleich mitzuliefern versucht (und ihm die Kritik dabei mehrheitlich so willfährig folgt), macht die Lektüre nicht erträglicher. Im Gegenteil. Allusionsreich wird Alexanders Leben im Siebenjahrestakt aufgerollt, die Weichen sind auf den Aufprall zweier Liebeskonzepte gestellt: maßgeschneiderte Eigenheimidylle mit terminisiertem Geschlechtsverkehr hier, triebhaftes Begehren ohne Alltagsperspektive dort. Es wird in jüngster Zeit regelmäßig moniert, dass die Liebe in der Gegenwartsliteratur aus der Mode gekommen sei. Mag sein. Aber antizyklisches Erzählen allein ist zu wenig, um der literarischen Liebeskrise aus ihrem konjunkturellen Tief zu helfen. Dafür braucht es weder einen erzähltechnischen Geniestreich noch mutigere Verlage noch ein engagierteres Feuilleton. Es braucht einzig Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Schreiben jenes existenzielle Wagnis einzugehen bereit sind, ohne das Literatur von Bestand noch nie ausgekommen ist.

Die holzschnittartig gezeichneten Charaktere - und seien sie in ihrer Erwartbarkeit noch so sehr einem poetologischen Kalkül geschuldet - befremden, weil sie allzu vertraut daherkommen. Dass es am Ende dieses Romans nur Verlierer gibt, ist wenig tröstlich für die Geschichte selbst, bewahrt aber immerhin ihren Autor vor jenem Elend, das Alexander auf seinen Freund Ferdie zukommen sieht: "Seine Entwürfe (...) hatten keine eigene Sprache, waren gezähmte, mehrheitsfähige Versionen großer Ideen. Bestimmt würde er Erfolg haben und viel Geld verdienen mit zweitklassigen Bauten in mittelgroßen Städten, die seine Auftraggeber für große Architektur halten würden." (Josef Bichler, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.10.2009)