Über die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem Staat:"Vor dem Gesetz" im Justizpalast.

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Wien - Wollte man das künstlerische Leben von Markus Kupferblum zusammenfassen: Das Ergebnis wäre - in Anspielung an dessen neue Produktion - "eine kafkaeske Szenenfolge über die Wiener Kulturpolitik" .

Vor einiger Zeit kam Kupferblum die Idee, den Prozess von Franz Kafka im Justizpalast zur Aufführung zu bringen. Denn in diesem Roman geht es, so der Regisseur, "um die Frage der Gerechtigkeit und die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem Staat und dessen Organe, um immer restriktivere Gesetze und Verordnungen, die menschenverachtend und schikanös sind" .

Den Josef K., die Hauptfigur, dachte er mit Andreas Vitásek zu besetzen, um ihn als erfolgreichen, sympathischen Menschen zu zeigen - und nicht als potentielles Opfer. Doch dann musste Vitásek aus Termingründen absagen. In der Not zwang Kupferblum das Publikum in die Rolle des Verhafteten: "Lauter unbescholtene Menschen - wie übrigens alle Asylanten, die in Schubhaft sitzen und sich einer Zwangsgewalt ausgesetzt sehen."

Am 12. September wurde diese "kafkaeske Szenefolge über die österreichische Wirklichkeit" uraufgeführt. Die Aktualität überraschte selbst den Regisseur: "Am Tag nach unserer Premiere starb ein Schubhäftling im Gefängnis, drei Tage nach der Premiere wurden Gesetzesentwürfe beschlossen, die wir noch als grausame Utopie vertont haben." Dass Kupferblum den Nerv getroffen hatte, zeigte sich sogleich - an den betroffenen Reaktionen der Zuschauer und der großen Zahl jener, die das Stück noch sehen wollen: "Ich könnte mittlerweile jede Vorstellung zwei bis drei Mal verkaufen!"

Aufwändiges Musiktheater

Wäre es nach dem Willen des städtischen Kulturamts gegangen: Kupferblum hätte die Produktion nie herausbringen können. Denn Vor dem Gesetz ist aufwändiges Musiktheater mit Renald Deppe, Schauspielern, Akrobaten, drei Sopranistinnen, einem Countertenor, vier Cellistinnen - und Kupferblum als Clown. Und für aufwändiges Musiktheater hat das Kulturamt kein Geld. Zumindest, wenn Kupferblum es machen will.

Vor rund drei Jahren berichtete der Standard, dass der Regisseur 120.000 Euro erbeten hatte, um die Barockoper La Didone abbandonata realisieren zu können. Die Kuratoren lehnten das Projekt ab, weil es zu teuer sei, und rieten Kupferblum, sich etwas zu überlegen, das maximal 30.000 Euro kostet. So kam es im März 2007 zur Uraufführung von Die verlassene Dido: Kupferblum muss in diesem Monolog einbekennen, an der Kulturbürokratie gescheitert zu sein.

Das Stück war derart bitterkomisch, dass es von der Jury des Nestroy-Preises als beste Off-Produktion ausgezeichnet wurde. Das Preisgeld betrug 30.000 Euro - für eine weitere Produktion. Aber Kupferblum will nicht Petitessen herausbringen, sondern "totales Theater" machen: Er suchte um eine Vierjahresförderung an - erfolglos.

Wenigstens wurde dem Ensemble für Städtebewohner eine solche Subvention zugestanden - in der Höhe von 250.000 Euro jährlich. Und weil Christoph Coburger, der Leiter der Gruppe, von der Dido derart angetan war, gab er Kupferblum 130.000 Euro für den Prozess.

Ein glückliches Ende also? Mitnichten. Denn Kupferblum bat, wie schon erwähnt, um eine großzügige Förderung. Doch das Kulturamt gestand ihm nur das Nestroy-Preisgeld zu - und keinen Cent mehr. Da der Regisseur aber nicht noch einmal eine Oper zum Monolog reduzieren wollte, gab er bekannt, derzeit nichts mit dem Betrag anzufangen zu wissen: "Aber wenn mir eines Tages etwas einfällt, was ich mit dieser Summe realisieren kann, werde ich mich melden."

Ungeschriebener Brief

Im Frühjahr 2009 meldete er sich tatsächlich: Kupferblum gab dem Kulturamt bekannt, das Preisgeld für eine Produktion mit dem Titel Antwort auf einen ungeschriebenen Brief verwenden zu wollen, die 2010 im Nestroyhof und auch beim Akko Festival gezeigt werden soll.

Der Regisseur führte aus: "Es handelt sich um ein Stück über meinen Vater, der 2010 hundert Jahre alt geworden wäre. Er hatte eine außergewöhnliche und extreme Lebensgeschichte, mit allen Höhen und Tiefen, die das 20. Jahrhundert für einen jüdischen Adeligen bereit hielt - Dekadenz, KZ, Flucht, Krieg, Verwundung, Palästina, Kibbuz und das antisemitische Österreich der Nachkriegszeit, Justizskandal und Untersuchungshaft, Liebe, Kindstod und große Freundschaften."

Doch das Kulturamt, das den Betrag nicht mehr einkalkuliert hatte, reagierte wenig erfreut: Man brauche eine "Einreichung wie immer mit Projektbeschreibung, ausgefülltem Förderformular und Kalkulationsraster" . Denn das Ansuchen müsse den Kuratoren zur "Überprüfung" vorgelegt werden.

Warum, fragte sich Kupferblum, muss er um "Förderung" ansuchen, wenn es sich doch bei den 30.000 Euro um ein längst zuerkanntes Preisgeld handelt? Und wieso müssen die Kuratoren darüber befinden? Kupferblum machte trotzdem gute Miene zum bösen Spiel. Aber das Kulturamt ersann sogleich neue Schikanen: Der Regisseur habe das Antragsformular nicht vollständig ausgefüllt und einen "veralteten Kalkulationsraster" verwendet, weshalb die Unterlagen den Kuratoren nicht hätten vorgelegt werden können.

Kupferblum reagierte mit einem offenen Brief an Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Er möchte zudem gerne wissen, welche Informationen fehlen. Nun wartet er auf Antwort. Und auf das Preisgeld.