Bild nicht mehr verfügbar.

Optimistisch:Türkischer Außenminister Ahmet Davutoglu.

Foto: epa

Spätestens in sechs Wochen soll es so weit sein. In einem historischen Schritt wollen die Türkei und Armenien erstmals diplomatische Beziehungen miteinander aufnehmen. Danach soll innerhalb von zwei Monaten auch die seit 16 Jahren geschlossene Grenze zwischen den beiden Nachbarstaaten wieder geöffnet werden. Das geht aus einer Vereinbarung hervor, die beide Länder mithilfe Schweizer Vermittlung aushandelten und Montagabend in Bern veröffentlichten.

Damit könnte der seit bald 100 Jahren schwelende, tiefsitzende Konflikt zwischen Armenien und der weltweiten armenischen Diaspora auf der einen Seite und der Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches auf der anderen Seite endlich zu einer Aussöhnung geführt werden. Bis heute vergiftet der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich nicht nur die Beziehungen zwischen den beiden Völkern, sondern droht die Türkei auch bei ihren Verbündeten in Europa und den USA immer mehr zu isolieren. Sowohl die EU-Kommission wie auch die US-Regierung begrüßten die Vereinbarung.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bestätigte am Dienstag in einem Interview mit dem Nachrichtenkanal NTV, dass es seit dem Frühjahr in Bern intensive Gespräche mit den armenischen Partnern gegeben habe.

Bereits im April, während des Besuchs des amerikanischen Präsidenten Barack Obama in Istanbul, hatte die türkische Regierung erklärt, man habe sich auf eine Roadmap zur Normalisierung der Beziehungen mit Armenien verständigt. Jetzt liegt die konkrete Vereinbarung vor. Danach sollen beide Parlamente innerhalb von sechs Wochen die Einigung absegnen, um dann umgehend erstmals seit der Unabhängigkeit Armeniens 1991 diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Laut Vertrag soll dann innerhalb von zwei Monaten die Grenze geöffnet werden. Weitere wichtige Punkte sind, dass Armenien die bestehende Grenze zwischen beiden Ländern nun offiziell anerkennt und außerdem zustimmt, dass ebenfalls in einem definierten Zeitraum von drei Monaten eine Kommission aus Historikern beider Länder gebildet wird, die gemeinsam die bislang vorliegenden Dokumente und Forschungsergebnisse zu den Massakern und Vertreibungen der Armenier im Osmanische Reich während des Ersten Weltkrieges diskutieren soll. Dabei geht es vor allem darum, ob die damaligen ethnischen Säuberungen im Gebiet der heutigen Osttürkei als Völkermord zu werten sind.

Während die Einsetzung der Historikerkommission erst einmal auch ohne konkrete Ergebnisse ausreicht, um den Weg für eine Normalisierung nicht weiter zu blockieren, bleibt die armenische Besetzung von Teilen des benachbarten Aserbaidschan ein schweres Hindernis.

Die Schließung der Grenze zu Armenien durch die Türkei 1993 war ein Akt der Solidarität mit dem Verbündeten Aserbaidschan, nachdem Armenien nicht nur die Enklave Berg-Karabach erobert hatte, sondern auch weitere Gebiete des aserbaidschanischen Kernlandes besetzte. Diese Besatzung dauert nach wie vor an und es fällt Ankara jetzt sehr schwer, den Freunden in Baku zu erklären, warum man trotzdem die Grenze öffnen will. (Jürgen Gottschlich aus Instanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2009)