Am 1. September jährt sich der Überfall auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Dass an dem Tag in Wien die Schau „Was damals Recht war ..." über Wehrmachtsdeserteure, die bereits in Berlin zu sehen war, ihre Pforten öffnet, ist gewollt. Diese beiden Begebenheiten hätten zum Anlass genommen werden müssen, seit Jahrzehnten bestehendes Unrecht zu beseitigen. In Österreich werden Deserteure aus der NS-Zeit noch immer als Kriegsverräter betrachtet. Opfer der NS-Militärjustiz sind nicht offiziell rehabilitiert.

In Deutschland dagegen wird der Jahrestag des Kriegsbeginns zu einer wichtigen Geste genutzt: Der Deutsche Bundestag wird in seiner letzten Sitzung vor der Wahl alle Urteile pauschal aufheben, die in der NS-Zeit wegen „Kriegsverrats" ergingen. Davon waren Menschen betroffen, die Juden oder Kriegsgefangene versteckten oder Alliierten Informationen lieferten. Wehrmachtsdeserteure wurden bereits 2002 vom Bundestag rehabilitiert, sogenannte „Kriegsverräter" aber davon ausgenommen.

In Österreich wurden zwar 2005 im sogenannten „Anerkennungsgesetz" Urteile der NS-Militärjustiz für nichtig erklärt, Deserteure wurden in dem Zusammenhang nicht einmal erwähnt. Wer den Dienst an der Waffe verweigerte, wird häufig heutzutage noch als feige und Drückeberger beschimpft, Behörden schikanieren hochbetagte NS-Opfer, wie der vom Standard aufgezeigte Fall des 85-jährigen David Holzer zeigt, der 50 Monate auf die Zuerkennung seiner Opferrente warten musste.

Das erinnert an einen anderen Fall: Im Jahr 2000 schlug der Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes Alarm, weil das Innenministerium Gemeinden per Erlass untersagt hatte, NS-Opfern Bestätigungen über Verfolgung und Zwangsarbeit auszustellen, die sie als Nachweis für Entschädigungen brauchten. 22 Staaten kooperierten, nur Österreich weigerte sich. Nach Medienkritik wurde die Zusammenarbeit wiederaufgenommen.

Die Nazi-Militärgerichte haben insgesamt 20.000 Todesurteile vollstreckt, darunter an rund 1400 Österreichern. Wie viele der damals als Deserteure, Wehrkraftzersetzer, Kriegsverräter bezeichnete Menschen noch leben, ist nicht bekannt. Sie sind, nachdem seit Kriegsende inzwischen 64 Jahre vergangen sind, mindestens 80 Jahre alt. Ihnen bleibt nicht mehr viel Lebenszeit. Sie offiziell auch in Österreich zu rehabilitieren ist ein längst überfälliger Schritt. Im Parlament hätte schon längst ein Anlauf dazu unternommen werden müssen.

Dann wäre auch ersichtlich, ob sich alle Parteien, auch die FPÖ, von NS-Unrechtstaten distanziert. Mit großem Interesse wird sicherlich das Abstimmungsverhalten des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf beobachtet. Wie ein aktiver Burschenschafter, der es in eines der höchsten Ämter dieser Republik geschafft hat, bei dieser Grundsatzfrage votiert, ist der Testfall, ob er sich tatsächlich von der NS-Zeit distanziert.

In Zur Zeit, der Zeitung des freiheitlichen EU-Abgeordneten Andreas Mölzer, wird der Ehrenobmann des Vereins „Gerechtigkeit für die Opfer der Militärjustiz", Richard Wadani, als „Deserteurskapo" beschimpft. Eine Klarstellung des offiziellen Österreichs - des Parlaments, der Regierung, des Bundespräsidenten - ist nicht nur überfällig, sondern in Zeiten wie diesen, da rechtes Gedankengut verharmlost wird, erst recht notwendig: Das, was damals Recht war, darf nicht mehr Recht bleiben.

Deserteure müssen endlich wie Widerstandskämpfer gesellschaftlich anerkannt werden. Dazu müssen in einem ersten Schritt Gesetze und Schulbücher geändert werden. In Deutschland gibt es bereits Denkmäler für sie. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 1. 9. 2009)