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Scholes: "Wenn die Banken ihre Assets auf den Marktwert abschreiben würden, müssten die Staaten neues Geld einschießen."

Foto: APA/Markus Prantl

Wirtschaftsnobelpreisträger Myron Scholes warnt im Gespräch mit dem STANDARD vor einer "Dollarkrise" im Zuge der hohen Staatsverschuldung.

Scholes kritisiert die riesige Ausweitung des Budgetlochs, das im Fiskaljahr 2008/09 (per 30. September) den Rekordwert von 1,58 Billionen Dollar (1,1 Billionen Euro) oder 11,2 Prozent der US-Wirtschaftsleistung erreichte. Mit einer Abwertung des Dollars könnte Washington versuchen, die Schulden gegenüber ausländischen Gläubigern zu reduzieren. Das würde einen weiteren Schock für die Weltwirtschaft bedeuten. "Europa und Asien müssten dann ihrerseits den Konsum einschränken, Welthandel und -investitionen würden fallen", so der Ökonom, der anlässlich des Forum Alpbach in Tirol weilt. Gleichzeitig würde die Inflation anspringen. Scholes verweist darauf, dass die Bilanz der US-Notenbank durch diverse Stützungen bereits massiv aufgebläht wurde

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STANDARD: Die Notenbanken und Staaten pumpen Billionen in die Banken, doch die Geld- und Kreditmärkte funktionieren immer noch nicht. Was läuft falsch?

Scholes:  Ich denke, die Konsumenten, Investoren, Banken, Regierungen müssen entschulden. Es haben sich in der Wirtschaft viel zu hohe Schuldenberge aufgetürmt, die abgetragen werden müssen. Das dauert sehr lange.

STANDARD: Kann das als Grund dafür herangezogen werden, dass beispielsweise das tiefe Zinsniveau der Notenbanken nicht in der Realwirtschaft ankommt?

Scholes: Banken realisieren, dass eine Risikoprämie von 50 Basispunkten (0,50 Prozentpunkte, Anmerkung) nicht ausreichend ist. Vielleicht schlagen sie jetzt zu weit auf die andere Seite aus.

STANDARD: Sind die toxischen Papiere dafür mitverantwortlich?

Scholes: Nach der Lehman-Pleite haben Herr Bernanke (US-Notenbankchef) und Herr Paulson (US-Finanzminister unter Bush) zuerst dem Kongress ein zweiseitiges Papier präsentiert, das die Beseitigung giftiger Papiere vorsah. Daraufhin kollabierten die Märkte. Der Grund: Der Preis, zu dem die Banken die giftigen Wertpapiere in den Büchern haben, entspricht nicht jenem, den der Markt zu zahlen bereit ist. Der Verkauf mit einem Abschlag von sagen wir 60, 70 Prozent würde das Eigenkapital der Institute aufzehren. Das Programm scheiterte in Japan und wurde auch in den USA großteils fallengelassen. Die europäische Strategie, die von den USA übernommen wurde, lautet: Rekapitalisierung der Banken - das ist die bessere Strategie.

STANDARD: Das heißt aber, dass die Papiere zu überhöhten Werten in den Bilanzen stehenbleiben. Ist das nicht der eigentliche Grund der Vertrauenskrise?

Scholes: Ja, das stimmt. Deshalb wäre mehr Transparenz wichtig. Das Problem: Wenn die Banken ihre Assets auf den Marktwert abschreiben, wären sie unterkapitalisiert, und die Staaten müssten neues Geld in den Apparat pumpen. In den USA ist das politisch nicht machbar. Deshalb wird das ignoriert. Aber je länger wir diese Situation vorfinden, desto länger wird das die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen. Sehen Sie sich die Erfahrungen in Japan an: Dort finanzierten die Banken Zombi-Konzerne durch, die nicht überlebensfähig waren, um künstlich Verluste zu vermeiden. Das ist für die Gesellschaft nicht gut. Wenn etwas untergehen soll, sollte man es auch untergehen lassen.

STANDARD: Ihr Rezept?

Scholes:  Die Abweichungen bei den Bewertungen von den Marktpreisen (fair value) erschwert die Erholung. Je falscher die Bilanzen sind, desto weniger Investoren haben Vertrauen und stellen Geld bereit. Deshalb wäre eine Offenlegung der Assets wichtig.

STANDARD: Wie lange wird die Finanzkrise dauern?

Scholes: Es wird länger dauern, als angenommen, weil wir die Strukturen ändern müssen. Die Modelle für Private Equity, Leveraged Buy Outs, Venture Capital, Risikomanagement, Regulierung: Das alles muss geändert werden. Derzeit läuft alles nach dem Motto: Wenn ein Banker einen Fehler macht, wird er gefeuert. Es wäre illusorisch zu glauben, dass dann irgendjemand ein Risiko eingeht. Gleichzeitig müssen die Konsumenten ihre Verschuldung abbauen und mehr sparen, damit mehr investiert werden kann.

STANDARD: Was die Erholung ebenfalls erschwert, wenn die Konsumenten weniger ausgeben können.

Scholes: Man kann nicht beides haben - mehr Konsum und eine geringere Verschuldung. Darum wird es viel Zeit benötigen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Eine Schuldenkrise unterscheidet sich von einer Nachfragekrise und dauert länger.

STANDARD: Wie lange?

Scholes: Ich hoffe nicht länger als fünf, sechs Jahre. Ich stimme überein, dass die Regierungen das Bruttoinlandsprodukt steigern können, aber sie schaffen damit keinen Mehrwert für die Gesellschaft, weil private Aktivität verdrängt wird.

STANDARD: Schlittern wir direkt in eine Schuldenkrise der Staaten?

Scholes: Das ist ein großes Problem. Die Ausgaben müssen finanziert werden. Wenn wir die Kreditnachfrage nicht reduzieren, riskieren wir eine Dollarkrise. Die hätte dann das Potenzial des nächsten Schocks. Europa und Asien als Gläubiger wären beeinträchtigt und müssten ihrerseits den Konsum einschränken. Importe und Auslandsinvestitionen würden fallen. Außerdem würde die Inflation anspringen. Schon jetzt hat die US-Notenbank ihre Bilanz durch die Übernahme von Banken-Assets aufgebläht.

STANDARD: Die Konjunkturstimuli werden allgemein gewünscht, bezweifeln Sie deren Wirkung?

Scholes: Die Regierung geht davon aus, dass ein Dollar Staatsgeld zu 1,8 Dollar mehr Konsum führt. Ich glaube, dass es weniger als ein Dollar ist. Die Gesellschaft merkt nämlich:Je mehr die Regierung ausgibt, desto mehr muss zurückgezahlt werden. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.9.2009)