Außenseiter und Auserwählter: der US-Schriftsteller David Foster Wallace, Autor von "Unendlicher Spaß".

 

Foto: Marion Ettlinger

"Unendlicher Spaß" ist ein unvergleichliches Buch über das traurige Leben.

Manche Antworten erzeugen gerade aufgrund ihrer Schlichtheit ein nachhaltiges Beben. Als der US-Schriftsteller David Foster Wallace 1996 zum Erscheinen seines über tausend Seiten langen Romans Infinite Jest nach seinen Intentionen befragt wurde, antwortete er: "I wanted to do something sad." - "Ich wollte etwas Trauriges schreiben." Traurig, führte er weiter aus, war kurz vor dem Millennium der Umstand, dass sich Menschen, die als weiße, extrem gut ausgebildete Angehörige der oberen Mittelklasse einer privilegierten Gesellschaftsschicht angehören, in einem diffusen Unbehagen verlieren, das sie nicht selten zu Drogen und anderen Betäubungsmitteln greifen lässt.

Nun ist Unendlicher Spaß, das dieser Tage endlich auch in einer deutschen - äußerst schöpferischen - Übersetzung von Ulrich Blumenbach erschienen ist, kein weiteres Buch, das mit den Mitteln des psychologischen Realismus die Malaise einer Gruppe von Individuen, einer "lost generation", beschreibt. Im Gegenteil: In seiner stilistischen Vielfalt und seinem formalen Erfindungsreichtum ist dies ein geradezu umstürzlerisches Werk - getragen von einer Liebe zur Sprache, die sich, um nur ein Beispiel zu nennen, im Erfinden (und der Einarbeitung) von zahllosen Fremdwörtern manifestiert. Manche Kritiker nennen es Science-Fiction: ein Label, das nur zutrifft, wenn man darunter das Kenntlichmachen einer Lebenswelt versteht, die mit Mitteln rationalen oder emphatischen Empfindens nicht mehr erfassbar ist.

Foster Wallace, der sich vergangenes Jahr im Alter von 46 das Leben genommen hat, betrachtete sich selbst als Realist - als einer jener Sorte, der die mediale Durchsättigung der Realität als Textur verstand, an der sich Literatur zu bewähren hat. In Unendlicher Spaß - der Titel ist übrigens ein Hamlet-Zitat - zeigt sich dies schon daran, dass Jahresnamen an Sponsoren abgegeben wurden: Der Roman spielt mehrheitlich im "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche"; in einem Staatengebilde, welches sich aus den USA, Kanada und Mexiko zusammensetzt und sich "O.N.A.N" (Organization of North American Nations) nennt - entsprechend "onanistische" Polit-Strategien liegen nahe.

Tödliche Witze

Von tödlichen Witzen handelt auch ein zentraler Plot dieses uferlosen Buches: Ein mythenumrankter Avantgardefilm ist im Umlauf - auch er heißt Unendlicher Spaß -, der seine Betrachter in einen Zustand der Katatonie versetzt, mithin gleichsam zu Tode amüsiert. Die perfekte Waffe in einer Welt der systematischen Zerstreuung und deshalb auch das begehrte Objekt einer Gruppe durchgeknallter Separatisten aus Quebec, die sich aus beinlosen Rollstuhlfahrern rekrutiert. Und die Kanada, das von den USA als Giftmülldeponie genutzt wird, befreien will.

Was wie eine überdrehte Komödie klingt - Foster Wallace ist, nebenbei gesagt, ein brillanter Satiriker -, ist die hypertrophe Variante der Vergnügungssucht des "American Way of Life". Der Medienkonsum ist eines von vielen Betäubungsmitteln, die in diesem Buch Realität verdrängen helfen. Einzelne Passagen mögen ironisch wirken, doch der Absturz lauert überall. Die Vielheit der mitunter ganz realistischen Miniaturen löst das parodistische Moment auf, sodass Komik und Ernst hier ein so produktives wie irritierendes Bündnis eingehen:

Eine depressive junge Frau, die sich mit ihrem Arzt ein Duell um die Autorität in einer Analysesituation liefert; ein Marihuana-Abhängiger, der stets aufs Neue den letzten Kick sucht; die Wirkung eines "Anonyme Alkoholiker"-Programms, das Leiden real minimieren hilft: All das sind die Beschreibungen eines Lebensstils, der Isolation, Leere und Depressionen generiert.

Drogenprobleme finden sich auch an einem weiteren Mittelpunkt des Geschehens, der "Enfield Tennis Academy" (ETA, noch eine dieser verspielten Abkürzungen!) nahe Boston. Foster Wallace, in Jugendjahren selbst als Tennisspieler erfolgreich, beschreibt den immensen Leistungs- und Leidensdruck innerhalb dieser Kaderschmiede als eine Form höherer Metaphysik, indem er Individuen wie Hal Incandenza, dessen Familie eine wichtige Rolle im Roman spielt, kontinuierlich an mentale Grenzen führt.

Unendlicher Spaß fasst die Außenseiter und Auserwählten in einen Hypertext ein, dessen kulturkritische Diagnose auch dreizehn Jahre später noch besticht. Die Tennisakademie und die Entzugsklinik sind darin benachbarte Institutionen. Foster Wallaces expansive Form verlangt auch dem Leser gleichermaßen Suchtverhalten wie Disziplin ab. Es ist ein unüberschaubares, maßloses Buch - und ohne Vergleich. Foster Wallace: "Wenn es chaotisch wirkt, gut - aber alles, was sich darin findet, findet sich mit Absicht darin." (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.8.2009)