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"Maria Montessori ist viel komplizierter und interessanter als die Gipsheilige, zu der ihre ergebenen Anhänger sie gemacht haben", resümiert Rita Kramer in ihrer Biographie über die weltbekannte Ärztin und Pädagogin. "Unter all der fast mystischen Verehrung, der Heiligenlegende, die als Biographie ausgegeben wurde, steckt eine zähe, intelligente Frau, die zumindest in ihrer Jugend Dinge dachte und tat, die niemand vorher in den Sinn gekommen waren."

Maria Montessori war in vielerlei Hinsicht eine Vorreiterin: Geboren am 31. August 1870, bekommt sie schon früh von ihrer hochgebildeten, liberal eingestellten Mutter jede erdenkliche Unterstützung. Gegen den Willen des Vaters tritt das mathematisch sehr begabte Kind mit 13 Jahren in die naturwissenschaftlich-technische Sekundarschule ein. Kaum ein Mädchen besucht damals eine höhere Schule und wenn, dann ein allgemeinbildendes, wenig berufsbezogenes humanistisches Gymnasium. Maria aber möchte Ingenieur werden, die Mutter stimmt der Berufswahl zu, der konservative Vater erst nach langer Überredung.

Erste Ärztin Italiens

Gegen Ende ihrer Ausbildungszeit ändert Maria ihr Berufsziel - sie entschließt sich, Medizin zu studieren, weil sie kranken Menschen helfen will und erklimmt damit eine absolute Männerbastion. Der Anatomieunterricht kostet sie Überwindung, als einzige Studentin muss sie nach Dienstschluss allein abends im Seziersaal arbeiten, weil die gemeinsame Sezierarbeit von Frauen und Männern verboten ist. 1898 promoviert sie allen Vorurteilen und Hindernissen zum Trotz zur ersten Ärztin Italiens. Ihre Doktorurkunde muss erst handschriftlich geändert werden - der Vordruck sieht nur männliche Absolventen vor. „Ich bin nicht berühmt wegen meines Könnens oder meiner Klugheit, sondern wegen meines Mutes und meiner Kaltblütigkeit gegen alles", schildert Montessori nach ihrem öffentlich gefeierten Triumph in einem Brief an ihre Freundin Clara.

Weg zur Pädagogik

Zwischen 1896 und 1906 findet Maria Montessori über die medizinische Heilpädagogik schließlich ihren Weg zur Pädagogik. Sie arbeitet an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Rom, wo sie das Elend der dort „aufbewahrten" Kinder mit geistiger Behinderung erlebt und beschließt, sich ihrer anzunehmen. Über den Tastsinn, mit Geduld und didaktischen Experimenten gelingt es ihr, Zugang zu den Kindern zu bekommen. Durch berühren und befühlen lernten sie zu begreifen: „Man muss (...) verstehen in der Seele des Kindes den darin schlummernden Menschen anzusprechen", sagte die Pädagogin über ihre Arbeit. „Ich hatte diese Intuition, und ich glaube, dass nicht das didaktische Material allein, sondern diese meine Stimme, die sie anrief, die Kinder weckte und dazu antrieb, das Material zu benutzen und sich selbst zu erziehen."

Engagiert für die Frauenemanzipation

Neben ihrer pädagogischen Arbeit engagiert sich Maria Montessori Ende des 19. Jahrhunderts auch in der Frauenbewegung: Ausgehend von ihrer Arbeit mit den Kindern kritisiert sie vorherrschende gesellschaftliche Missstände und fordert soziale Reformen. Sie hält Vorträge über Frauenemanzipation und Sozialreform auf internationalen Kongressen in Europa.

Von 1899 bis 1902 leitet sie das medizinisch-pädagogische Institut zur Ausbildung von Lehrern für behinderte Kinder in Rom, dem auch eine Modellschule angeschlossen ist. Ihr Motto „"Erst die Erziehung der Sinne, dann die Erziehung des Verstandes" ist ein wesentlicher Eckstein ihrer pädagogischen Methode.

Unehelicher Sohn

Privat hat Maria Montessori weniger Glück: Im März 1898 wird ihr Sohn Mario aus der Beziehung zu dem Arzt Giuseppe Montesano geboren, mit dem sie seit 1900 eng zusammenarbeitet. Zu einer Ehe kommt es aber nicht, Maria zieht ihren Sohn auch nicht selbst auf, sondern gibt ihn zu Bekannten aufs Land in Pflege, vermutlich aus beruflichen Gründen. Erst im Alter von 15 Jahren zieht der Sohn zu seiner Mutter und wird von da an ihr ständiger Begleiter. Warum Maria Montessori und Giuseppe Montesano nicht heirateten, ist nicht genau bekannt. Sohn Mario Montessori schildert, seine Eltern hätten einander lebenslange Ehelosigkeit geschworen, Montesano habe diesen Treueschwur später aber gebrochen und eine andere Frau geheiratet. Darüber sei es zwischen den beiden zum Bruch gekommen.

Maria Montessori stürzt sich danach nur noch mehr in die Arbeit: Sie quittiert zunächst ihren Dienst an Ausbildungsinstitut und Modellschule, wo sie mit Montesano arbeitete, beginnt mit dem Studium der Pädagogik, Experimentalpsychologie und Anthropologie, stellt auf Kongressen ihre Methode heilpädagogischer Betreuung vor und veröffentlicht weitere medizinische Schriften. Am Pädagogischen Institut in Rom hält sie Vorlesungen über Anthropologie und Biologie.

Casa dei Bambini

Im Jänner 1907 setzt Maria Montessori einen ersten Meilenstein in ihrer pädagogischen Arbeit: Mithilfe von Spenden gründet sie ihr erstes Kinderhaus, die „Casa dei bambini", im römischen Armenviertel San Lorenzo. Hier wendet sie ihre entwicklungspädagogische Methode und ihre Sinnesmaterialien erstmals auch bei nicht-behinderten Kindern an. "Ich weiß nicht, was mich überkam", schildert Maria Montessori Jahre später, "aber ich hatte eine Vision, und von ihr inspiriert geriet ich in Feuer und sagte, diese Arbeit, die wir auf uns nähmen, würde sich als sehr bedeutsam erweisen und eines Tages würden Leute von überall herkommen, um sie anzuschauen."

Kindern Raum geben, um selbst zu entdecken, sie zu führen, indem wir sie frei lassen, gehört zu ihren, heute noch gültigen, damaligen Erkenntnissen; dem Kind sollen auf keinen Fall Dinge abgenommen werden, die es auch selbst erledigen kann. "Hilf mir, es selbst zu tun" wird zum Leitsatz der Montessori-Pädagogik.

Internationale Bekanntheit

Maria Montessoris erstes Buch, "Il metodo della pedagogia scientifica", in dem sie ihre Erfahrungen niederschreibt, wird 1909 ein großer Erfolg. Als erste Ärztin Italiens bereits über die Grenzen hinaus bekannt, erlangt sie nun internationale Berühmtheit als Erfinderin einer neuen Erziehungsmethode. Die Pädagogin gibt ihre Praxis und Dozentinnen-Tätigkeit in Rom auf und reist um die Welt, um Vorträge zu halten und Lehrer und Lehrerinnen nach ihrer Methode auszubilden, die jedoch selbst nicht weiter ausbilden dürfen - dieses Monopol behielt sich Maria Montessori selbst vor, was nicht überall gebilligt wird.

Bekanntschaft mit Mussolini

1916 übersiedelt Montessori nach Barcelona, wo sie eine Modellschule und ein Ausbildungsinstitut einrichtet. Ihr weltweiter Erfolg und ihre Ausbildungstätigkeit halten an, sie veröffentlicht weitere Fachbücher, internationale Montessori-Kongresse werden abgehalten. Montessori lernt Mussolini kennen, der ihre Methode zunächst unterstützt, aber auch machtpolitisch missbraucht - nach Konflikten mit dem italienischen Faschismus werden ihre Schulen, wie in Deutschland schon 1933, 1934 auch dort geschlossen. Nach der Machtübernahme Francos 1936 in Spanien geht Montessori nach Amsterdam, von 1939 bis 1946 lebt sie in Adyar, Indien, wo ihre Lehre im Kampf gegen den Analphabetismus großen Anklang findet. Die aktuellen politischen Ereignisse und der Weltkrieg können ihren Glauben an die Kraft der Erziehung als "Waffe des Friedens" und an das "Kulturwesen Mensch" nicht brechen.

Bis zuletzt voller Tatendrang

1947 kehrt die mittlerweile 77-Jährige nach Italien zurück und gründet ihre Schulen neu, wieder bereist sie die Welt, um Modellschulen einzurichten und Ausbildungszentren zu starten. 1949 lässt sich Maria Montessori mit ihrem Sohn endgültig in den Niederlanden nieder. Im Sommer 1951 hält sie ihren letzten Ausbildungskurs in Innsbruck; am 6. Mai 1952 stirbt Maria Montessori, bis zuletzt voller Tatendrang, im Alter von 82 Jahren in Nordwijk aan Zee. Ihre Methode ist bis heute auf der ganzen Welt verbreitet.

"Mit ihren überragenden intellektuellen Fähigkeiten verband sie eine bezaubernde Art sich zu geben und eine große Herzensgüte, die besonders bemerkbar wurde, wenn sie mit kleinen Kindern sprach", schreibt ihr langjähriger Mitarbeiter Edward M. Standing in seiner Montessori-Biographie. "Dann ging geradezu ein Strahlen von ihr aus. Dies Gewinnende und Liebenswürdige, das für ihr Wesen ebenso charakteristisch war wie die (...) unbeugsame Willenskraft, machten sie noch anziehender. Für die Schwachen, Unentwickelten und Unterdrückten empfand sie eine mütterliche Zärtlichkeit, und wo immer sie mit solchen zusammenkam, drängte ihr hilfsbereites Herz, zu schützen und zu ermutigen." (isa/dieStandard.at, 31.8.2009)