Die kurdische Parlamentsabgeordnete Sebahat Tuncel sorgt mit einer Parlamentsanfrage über eine mögliche Kennzeichnung christlicher Häuser derzeit für Aufsehen: Demnach wurden in den letzten Wochen Häuser in Sisle und Samatya, Gegenden in Istanbul, in denen viele Armenier und Griechen leben, mit roten oder grünen Zetteln gekennzeichnet. Tuncel will von Innenminister Besir Atalay wissen, wer hinter dieser Kennzeichnung steckt und welchen Sinn das haben soll.

Die Anfrage von Sebahat Tuncel geht auf einen Bericht in der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos zurück. Wie Agos-Redakteur Ariz Nalci dem Standard bestätigte, hätten beunruhigte, "überwiegend ältere Angehörige der armenischen Community" bei der Zeitung angerufen und darüber berichtet, dass an ihren Häusern kleine rote oder grüne Zettel pickten. Man ging der Sache nach und stellte fest, dass rund 100 Häuser, in denen nicht immer, aber doch sehr häufig Armenier leben, mit diesen Zetteln, die ungefähr die Größe eines U-Bahn-Tickets haben, beklebt seien.

"Wir wissen nicht, was das bedeuten soll", sagte Nalci, aber etliche Leute seien beunruhigt. Nachfragen bei der Stadtverwaltung und der Polizei haben bislang kein Ergebnis gebracht. "Niemand weiß davon", sagt Nalci, weshalb nun die Abgeordnete Tuncel den Innenminister aufgefordert hat, die Sache aufzuklären. "Es kann ein schlechter Scherz sein", sagte Nalci, "es kann aber auch einen ernsten Hintergrund haben."

So geht aus der Anklageschrift gegen die nationalistische Erge- nekon-Gruppe, der vorgeworfen wird, einen Putsch gegen die Regierung von Ministerpräsident Erdogan vorbereitet zu haben, hervor, dass Anschläge auf Armenier als ein Mittel für eine gezielte Destabilisierungskampagne vorgesehen waren.

Vor zweieinhalb Jahren wurde der Chefredakteur von Agos, Hrant Dink, vor der Redaktion von einem rechtsradikalen Jugendlichen erschossen. Die Hintermänner dieses Mordes werden ebenfalls bei Ergenekon vermutet.

Bis sich jetzt Sebahat Tuncel der Geschichte mit den Zetteln annahm, war das Ganze lediglich eine lokale Geschichte. Weder der Sprecher des griechischen Patriarchats, Dositeos Anagnostisois, noch der Pfarrer der evangelischen Gemeinde, Holger Nollmann, wussten davon. Agos und Sebahat Tuncel verlangen nun, dass die Polizei eine offizielle Untersuchung vornimmt, um die Betroffenen zu beruhigen. "Sie sollen öffentlich dazu Stellung nehmen", sagte Nalci, "damit wir wissen, was los ist."

In der Vergangenheit, zuletzt 1955, war es mehrmals zu Ausschreitungen gegen die christlichen Minderheiten gekommen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 26.8.2009)