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"Das war die dritte Goldmedaille" , sagte Toni Sailer den Journalisten nach der Abfahrt bei den Olympischen Spielen 1956 in Cortina. Den Fotografen hat er es auch gezeigt.

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Wien - Solche Skifahrer machen sie heute nicht mehr. Skifahrer wie Toni Sailer. Der fuhr nicht mit den Skiern wie die aktuellen Rennfahrer. Der "Tonai" fuhr Ski. Der Berg diente ihm nicht zum Gewinnen, der Toni diente dem Berg. Und wenn er gewann, der Toni, was die Regel war, so erging er sich nicht in den selbstapplaudierenden Gesten eines Siegers, sondern er strahlte übers ganze Gesicht, wie einer, der im - mehrfachen Sinn des Wortes - glücklich angekommen, heruntergekommen, heimgekommen ist.

Sailer wusste um den tödlichen Ernst der Berge, und er behandelte ihn mit der spielerischen Leichtigkeit, die nur der erringt, der sich gewissenhaft auf die Gefahr vorbereitet hat. Das Lächeln im Gesicht, der eisenharte Wille in der Brust.

Wahrscheinlich hat sich nie wieder ein Skifahrer so umfassend mit dem Geheimnis des Skischwungs auseinandergesetzt, und nur die wirklich Begnadeten haben die Rätsel des Skifahrens in vergleichbar eleganter Form gelöst. Franz Klammer, der in den 1970ern von Sailer gecoacht wurde. Hermann Maier erzählt dieser Tage, dass er als kleiner Bub einmal mit Sailer am Lift den Kitzsteinhorn-Gletscher hinaufgefahren ist. "Ein nettes Gespräch" habe sich entwickelt. Maier vereinigte die Sehnsüchte der Österreicher in sich wie seit Klammer keiner mehr und wie nur Sailer vor ihm.

Sailer erschien am 17. November 1935 in der Wintersportmaschine Kitzbühel. Wie viele Knaben dort hatte er mit zwei Jahren Skier an den Füßen. "Hab so lang rumgeraunzt, dass ich sie schon zehn Tag vor dem Geburtstag bekommen und im Haus umeinanderg'schleppt hab, bis ich dann zum ersten Mal mit den Skiern draußen dahing'flogen bin." Es war der Winter 1937/38, Monate vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Alle Sportarten, "die nix gekostet haben" , habe er betrieben, erzählte er Anfang der 1990er. Von den Eislaufschuhen der Schwester schlug er die Eisen herunter, schraubte eineinhalb Zentimeter hohe Stoppeln drauf. "Plötzlich war ich ein Riese von einem Tormann."

Der Vater war Spenglermeister, vier Jahre im Ersten Weltkrieg. "Gott sei Dank wiederkumman." Die Mama Hausfrau. Zwei Buben, zwei Mädel. Die Buben arbeiteten in der Spenglerei, am Wochenende fuhren sie Rennen. "Am Montag um sieben musste ich in der Bude sein."

Mit zehn konnte ihm kein Hang mehr was erzählen, und mit 23 Jahren beendete er das ernsthafte Skifahren. Die drei Goldenen von den Winterspielen in Cortina, sieben Weltmeistertiteln, und einem Vertrag als Filmschauspieler in der Tasche. Damals gingen die Leute ins Café, um dem Toni im Fernsehen sehen zu können, aber sie liebten den Toni, so viele Buben wurden damals Toni getauft wie nie wieder.

Anton Engelbert Sailer war der Kleinste in seiner Klasse. Ein Zniachtl. "Und ich bin jeden Tag in die Kirche gegangen zum Beten, damit ich wachse." Nach der Volksschule, mit zehn Jahren, fing er mit dem "Rennafoahn" an. Mit gnadenloser Konsequenz arbeitete er sich in die winzige Gruppe der alpinen Privilegierten hinein. In den späten 1940ern bis Mitte der 50er war das "weiße Wunderteam" aus Kitzbühel - eine Anknüpfung an das Fußball-Wunderteam 1931/32 mit Mathias Sindelar - die weltbeste Skiriege - Christian Pravda, Ernst Hinterseer, Hias Leitner, Fritz Huber, Anderl Molterer. Sailer war der Beste von ihnen. Der Einzige, der Pravdas Talent, die Kraft des Italieners Zeno Colo und die Artistik des Stein Eriksen in sich vereinigte. "Aus diesen dreien hab ich mir meinen Brei gekocht."

Sailer bestritt zwar, ein "Vorbild" gehabt zu haben. Der charismatische Norweger Eriksen, der erste Ski-Superstar, aber dürfte Sailers Leitbild gewesen sein. Er wurde größer als der Norweger. Das Talent hatte er, den Plan auch. Fehlte das Wichtigste: die Arbeit. Sailer modellierte seinen Körper zu einem perfekten Arbeitsgerät, die Leichtigkeit verdankt er seinem Fleiß. Kein anderer Skifahrer trainierte so hart. "Die Hauptarbeit muss im Sommer passieren" , dozierte Sailer. "Beinand sein wie ein Bär, der sausen kann wie der schnellste Hund."

Eriksen gewann 1952 die Goldene im Riesenslalom, vier Jahre später räumte Sailer bei den Winterspielen von Cortina alle Goldenen ab, im Slalom, im Riesenslalom und in der Abfahrt. Eine nicht für möglich gehaltene Serie. Die ausgehungerten Österreicher hatten ihr Vorbild. Sailer sprach gern über seine Moral: "Wir sand wer, wir können was."

Er lehrte die Österreicher arbeiten und an sich selber glauben. Als er 1958 nach fünf Jahren (!) das Skifahren aufgibt - auch er hatte einen kleinen Wickel mit dem IOC wegen "Werbung" - und sich der Schauspielerei hingibt, webt er am Sailer-Österreich-Mythos ("Der schwarze Blitz" ) weiter. Er drehte mehr als 20 Filme, spielte in TV-Serien mit, machte in Japan das Skifahren populär und arbeitete in der Kitzbüheler Skischule seines Bruders Rudi mit. Einige Jahre lang trainiert er das ÖSV-Team, später leitet er das Kitzbüheler Rennbüro. Die Skimaschine hat die ganze Welt eingewickelt, und der Mensch gewordene Bergheilige verlieh dem Tourismusgetöse Glanz. Es wird nie wieder sein wie früher. Aber das Wichtigste ist, dass er für einige Jahre vorbeigeschaut hat.

Er kämpfte schon lange mit der Krankheit Krebs. Am 24. August verlor Toni Sailer den Kampf. (Johann Skocek - DER STANDARD PRINTAUSGABE 26.8. 2009)