Die US-Schauspielerin Jean Seberg wurde durch Jean-Luc Godards Film "À bout de souffle" zum Star der "Nouvelle Vague".

Foto: Everett Collection

So werden anno 1956 Stars gemacht: Mehr als 18.000 junge Frauen sprechen weltweit für den neuen Film des Hollywood Regisseurs Otto Preminger vor. Alle wollen sie die Heilige Johanna darstellen. Auch dieses junge Mädchen aus Marshalltown, Iowa, geboren am 13. November 1938. "Sie sind also wie alt?" - "17 Jahre" - Blick nach rechts oben - "und elf Monate." - "Und Sie wollen Schauspielerin werden?" - "Very badly."

Jean Seberg bekommt die Rolle, und sie tut alles, was der Regisseur von ihr verlangt. Bis zu zwanzig Mal werden manche Einstellungen wiederholt, bis jede Natürlichkeit aus der Schauspielerin verschwunden ist. Die Szene am Scheiterhaufen lässt Preminger auch dann nicht abbrechen, als das Mädchen lichterloh in Flammen steht. Die Narben am Bauch wird Seberg bis zu ihrem Lebensende tragen. Aber all das hilft nichts, der Film floppt. Zweite Chance: die Verfilmung des Bestsellers Bonjour Tristesse. Zweiter Film, zweiter Flop. Schon scheint es, als wäre Sebergs Karriere wieder vorbei. Letzte Hoffnung: Der junge französische Kinoerneuerer Jean-Luc Godard engagiert sie für À bout de souffle ("Außer Atem" ).

Der Rest ist - wie es so schön heißt - Geschichte, mit einem Schlag ist Seberg berühmt. Sie wird zum Gesicht der "Nouvelle Vague". Da mag Claude Chabrol noch so ätzen ("Wenn man sie anschaut, hat man das Gefühl, schwul zu sein"), Seberg wird zum Inbegriff von cool - auch in der Liebe läuft es bestens: Kurz vor den Dreharbeiten zu À bout de souffle hat sie in Hollywood den französischen Konsul von Los Angeles, Romain Gary, getroffen. Geboren 1914 als Roman Kacew in Wilna, übersiedelte er 1928 mit seiner Mutter nach Nizza. Gary war Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg und trat nach Kriegsende in den diplomatischen Dienst ein. Im gleichen Jahr veröffentlichte er seinen ersten Roman. Sie ist 21, von jugendlichem Charme; er ist 45 und ein gewandter Grandseigneur.

"Black Panther"-Freunde

Sie heiraten 1962 - und die Liebe bekommt erste Sprünge. Während Gary in den späten 1960ern eine produktive Phase hat und zu einem der wichtigsten Romanciers Frankreichs aufsteigt, verläuft Sebergs Karriere wechselhaft - um es freundlich zu formulieren. Aber Filmen interessiert sie ohnedies nicht mehr. Sie tut es nur noch, um Geld zu verdienen. Und das gibt sie weiter an ihre Freunde der "Black Panther" -Bewegung: "17 Millionen Schwarze gibt es in Amerika", wird Gary entnervt seufzen, "und alle in meinem Haus."

Abneigung, Zuneigung, Trennung, Affären, Versöhnung: "Es ist schwer, eine Frau zu lieben, die man nicht retten, nicht beschützen und nicht verlassen kann", fasst Gary das Dilemma der Beziehung zusammen. In der Pariser Wohnung des Paares befindet sich neben verschiedenen Bildern ein vergrößertes Horoskop an der Wand, aus dem hervorgeht, dass die Sternzeichen von Gary und Seberg nicht zusammengehen. "Zwei immer noch Liebende, die sich bloße Freundschaft vormachen", konstatiert Georg Stefan Troller, der das Paar interviewt. "Gibt es Herzzerbrechenderes auf der Welt?"

Ende der 1960er beginnt Seberg ein Verhältnis mit Allen Donaldson, der sich Hakim Abdullah Jamal nennt. Seberg veranstaltet für ihn eine Pressekonferenz in Paris. Er schlägt vor, alle Weißen zu massakrieren, sie sitzt daneben, nickt und schaut ihn verliebt an. Spätestens jetzt beginnt sich auch das FBI für sie, die so offen die radikalen Schwarzen unterstützt, zu interessieren. Edgar J. Hoover legt einen seiner berüchtigten Akte an.

1970 lassen sich Gary und Seberg scheiden; kurze Zeit später merkt die Schauspielerin während eines Drehs, dass sie erneut schwanger ist. Das FBI lanciert das Gerücht, dass das Baby von einem "Black Panther" stamme; Seberg erleidet eine Frühgeburt - fünf Tage später stirbt die Tochter Nina, die im Übrigen weiß war. Nach der Fehlgeburt verliert Jean Seberg jeglichen Halt. Unförmig dick geworden, läuft sie betrunken durch die Straßen und skandiert antifaschistische Parolen. Sie ist überzeugt, dass man ihr einen Minitransistor ins Ohr gepflanzt hat. Sie heiratet den Schauspieler und Drehbuchschreiber Dennis Berry und pendelt zwischen Entziehungskuren und Klinikaufenthalten. Am Nachmittag des 29. August 1979 besucht Seberg die Premiere von Clair de Femme - die Verfilmung des Romans von Romain Gary. Romy Schneider und Yves Montand spielen ein Liebespaar, das auseinandergeht, wieder zusammenkommt und so fort.

Garys Buch ist kein Schlüsselroman, aber ein Buch über die große Liebe an sich ist ohne Anlehnung an seine eigene zu Seberg nicht vorstellbar. In der Nacht packt Seberg alle Schlafmittel, die sie für zwei Monate verschrieben bekommen hat, steigt ins Auto und fährt dreihundert Meter in die Rue Général Appert. Erst acht Tage später wird man ihre Leiche finden. Gary überlebt Seberg nur 15 Monate, am 2. 12. 1980 erschießt er sich. "No connection with Jean Seberg" , stellt er im Abschiedsbrief fest. Und: "Lovers of broken hearts are kindly asked to look elsewhere." (Gerhard Pretting, DER STANDARD/Printausgabe, 25.08.2009)