Oben auf dem Berg ist die Welt heil und in Ordnung. Und zwar richtig: Die Sonne strahlt. Die Wiesen sind sattgrün. Kühe liegen dekorativ am Wegesrand. Und das Panorama gibt sich Mühe, die nachbearbeiteten Bilder jedes Tourismuskataloges zu übertreffen. Und falls irgendjemand doch nicht kapiert haben sollte, dass und wie schön das alles ist, gibt es noch die Tonspur zum Heimatfilm: „Komm mit mir. In die Berge. Und du wirst sehen: Dort ist es schön" weht es Donnerstagmittag von der Bergstation der Hahnenkammbahn zum Starthaus der Streif. Und ein paar tausend Menschen stehen dort an den Hängen der kleinen Senke, singen mit, schunkeln - und sind einfach glücklich.

 

Foto: Andrea Starl

Denn hier, auf 1800 Metern, ist die Welt gerade ganz besonders in Ordnung. Denn der, der da zur Vieltausendschaft singt, ist Hansi Hinterseer. Wenn der ruft, kommen die Massen. Nicht nur zu Konzerten, auf denen Österreichs berühmteste Blondine die Schönheit der Berge preist, sondern auch hinauf, auf den Berg: Einmal im Jahr lädt der Ex-Skistar zur „Fanwanderung". Und was 2002 mit 1500 Besuchern begann, ist heute ein Hochamt, zu dem zwischen 10.000 (Hinterseers Umfeld) und 7500 Menschen („mehr kriegen wir so rasch nicht rauf und runter und wieder runter," ein Bergbahnmitarbeiter) kommen.

Foto: Andrea Starl

Doch die genaue Zahl ist nicht so wichtig. Denn voll ist der Kitzbüheler Hausberg allemal, wenn der Superstar mit der heile-Welt-Botschaft mit seinen Fans vom Hahnenkamm zur Bergstation der Fleckalm wandert, dort auf einem Speichersee (für Schneekanonenschnee) per Floß ein paar Runden dreht und am Rückweg zum Hahnenkamm zur Feldmesse bittet. Denn was zählt, ist die Freude in den Gesichtern der Menschen, die von Norwegen („wir sind vier Schwestern aus Lillehammer und kommen jedes Jahr") genauso wie aus Belgien („bei jedem Lied von Hansi lerne ich ein neues deutsches Wort"), Schweden, Frankreich, Großbritannien oder Italien, Tschechien und Polen anreisen. (Eine Familie aus Thailand flog nicht eigens wegen Hinterseer nach Europa - aber den Österreichtag ihre Eurotrips widmeten sie „sehr gern" dem Barden).

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Und auch Anmerkung, dass die „Wanderung" ohne die Menschenmassen und die Gesangspausen gerade mal als mittlerer Spaziergang durchgehen würde, irritiert Hinterseers Manager Michael König wenig: „Es geht nicht um Zahlen, sondern um ein Gefühl."
Denn hier, oben, auf dem Berg ist die Welt nicht nur aus der Tourismusfolderperspektive heil und in Ordnung.

Foto: Andrea Starl

Obwohl Hinterseers Manager selbst weiß, wie unglaubwürdig das klingt. Doch Fakt ist, dass Hinterseers Botschaft greift: „Schaut´s auf Euch, schaut´s auf Euren Nächsten - und schaut´s auf die Natur" ruft er (nach der Begrüßung und dem Dank beim „Himmelvater" für das Wetter) den Fans zu.

Foto: Andrea Starl

Und tatsächlich: Nachdem Hinterseer - erstmals statt im Ruderboot auf einem Floß - seine Runden am Speichersee gezogen hat liegt da kein Fuzzerl Müll am Boden. Lediglich das technische Equipment wird vor dem Überlaufenwerden geschützt - der Star selbst wandert zwischen den Fans. Und auch im größten Gedränge um in seine Nähe zu gelangen, kommt es weder zu Rempeleien noch zu bösen Worten.

Foto: Andrea Starl

Und obwohl der Rettungshubschrauber eine 84-jährige mit Kreislaufbeschwerden ausfliegt, haben die Sanitäter kaum Arbeit: Ein aufgeschlagenes Knie. Nicht einmal eine Handvoll Hitzeopfer. Keine einzige Alkleiche: Ein Furcht einflößendes Massenidyll. Als dann - bei der Bergmesse - Hinterseer die Harmonika quetscht und der Pfarrer das Vaterunser spricht, lässt die Redakteurin des hessischen Rundfunks die Kamera sinken: „Ich bin nicht religiös - aber ich krieg eine Gänsehaut: Die Musik ist nicht meine, aber die Leute sind friedlich und glücklich. Wer sind wir, das mit Ironie oder Zynismus zu quittieren?"

Foto: Andrea Starl

Ja, sagt wenig später auch das ältere Ehepaar aus Stuttgart („Mein Mann hat mir die Wanderung und das Konzert am Freitag zum Geburtstag geschenkt."), Hinterseer wirke wie ein Heile-Welt-Messiahs: „Leute wie ihn bräuchte die Kirche: Man glaubt ihm, dass er meint und lebt, was er sagt."

Foto: Andrea Starl

Hinterseers Botschaft, erklärt Manager König, sei nicht ganz so banal, wie die Texte, in die sie verpackt ist: „Klar könnte er sagen, dass die Welt im Argen liegt - er ist ja nicht blind oder blöd. Aber er setzt dort an, wo die Menschen leben - und wo jeder etwas tun kann: ‚Schaut´s auf einander' ist gar nicht so banal." Dass der Sänger sein Publikum punktgenau erwischt, gibt ist belegt: 5,5 Millionen Alben - „exklusive Compilations" (König) - hat der 55-jährige seit seinem Eintritt ins Showgeschäft 1994 abgesetzt. Fernsehshows und Filme mit ihm sind Quotengaranten.

Foto: Andrea Starl

Die beiden Openairkonzerte am Hinterseer-Fanwochenende in Kitzbühel waren binnen 23 Minuten ausverkauft. In den Fanshops an der Tal- und Bergstation der Hahnenkammbahn ging „alles, wo ein Foto drauf ist" (eine Verkäuferin) schneller weg, als man nachlegen konnte. Und wie hoch der Werbewert des Moonbootfetischisten ist, „kann man in Zahlen schwer ausdrücken. Aber wir wissen, dass Menschen auf der ganzen Welt die Region kennen, weil sie Hinterseer kennen", erklärt Katrin Krimbacher vom Tourismusverband Kitzbüheleralpen-Brixental.

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Freilich: Martkdaten können auch andere vorlegen. Doch „Hansi" hat mehr: Eine Hymne. Ihr Text ist ein Glaubensbekenntnis: „Ist unser Alltag manchmal grau und leer und würden wir ihm gern entflieh'n / was uns da hilft heißt: Hansi Hinterseer - er ist die beste Medizin."
Als Hansi Hinterseer am Hahnenkamm am Donnerstag seine Fans begrüßte, kam „Hansi, wie schön, dass es dich gibt" daher nicht nur aus tausenden Kehlen. Denn oben, auf dem Berg, war die Welt heil und in Ordnung. (Thomas Rottenberg aus Kitzbühel, derStandard.at, 22.08.2009)

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