Die Stimmen von Fremden verbinden sich in "Rider Spoke"  mit Orten in Linz – "Verstecken"  –, die man mittels Fahrrad aufspürt.

 

F.: Blast Theory

Sich freiwillig entführen lassen?! Klingt abwegig, findet aber nicht nur in Spielfilmen statt: Im Jahr 1998 startete die britische Künstlergruppe Blast Theory eine höchst eigenwillige Lotterie: Dem Gewinner winkte eine Gratisentführung. Nach dem Zufallsprinzip wurden zehn Finalisten zur Überwachung ausgewählt, aber nur zwei konnten "gewinnen" . Die beiden Auserwählten schnappte man sich am helllichten Tag und versteckte sie 48 Stunden lang an einen geheimen Ort. Per Internet war man live dabei, beobachtete die Opfer oder konnte mit den Entführern kommunizieren.

Eine verschärfte Form von Big Brother? Weit gefehlt. Das TV-Format flimmerte erstmals 1999, also ein Jahr später, über niederländische Mattscheiben. Blast Theory wollte mit Kidnap jedoch nicht neue, drastische Fernsehformate oder interaktive Spielformen entwickeln. Vielmehr ging es darum, jene Ideologien zu hinterfragen, die den omnipräsent werdenden Informations- und Kommunikationstechniken innewohnen.

Zwischen virtuell und real

Bis 1998 hatte Blast Theory eher mit multimedialen Performances gesellschaftspolitische Phänomene - Themen der Gewalt, Pornografie, Politik - kommentiert, aber 1998 begann die in Brighton beheimatete Gruppe (geleitet von Matt Adams, Ju Row Farr und Nick Tandavanitj) damit, zunehmend Online- und mobile Technologien in ihre Arbeit zu integrieren. Auf den ersten Blick könnte man Blast Theory für Game-Entwickler mit großer Affinität zu Schnittstellen zwischen virtueller und realer Welt halten. Auf die Suche nach dieser feinen Trennlinie machte sich etwa Desert Rain (1999). Spieler wurden in eine Kabine verfrachtet, in der sie im halbvirtuellen Raum zwischen unterirdischen Bunkern und Wüsten, überfrachtet mit Bildern aus dem Golfkrieg und Hollywood, eine Mission zu erfüllen hatten.

Auch dieses Projekt verdeutlicht, dass erst beim Eintauchen in die Game-Szenarios der tiefere Sinn erfahrbar wird. Nur logisch, denn je offensichtlicher die Kritik von vornherein ist, umso geringer ein möglicher Lerneffekt. Blast Theory: "Wir haben ein unglaubliches Vertrauen in die technischen Geräte, die wir mit uns herumtragen, und es ist spannend, die Leute dazu zu bringen, darüber nachzudenken. Wir möchten eine sehr persönliche Erfahrungsebene schaffen, die Menschen anregt, über sich und ihre Beziehung zur Gemeinschaft nachzudenken."

Für die heurige Ars Electronica (in Kooperation mit Linz 09) haben die Briten mit Rider Spoke ein Projekt ausgewählt, das in der Art der interaktiven Stadterkundung ihrem 2003 mit einer Goldenen Nica ausgezeichneten Can you see me now? ähnelt. Wiederum arbeitet die Gruppe mit der Überlagerung von virtuellem und echtem Stadtraum: Mit Fahrrädern, aufgetunt mit Handheld-Computern, werden diesmal nicht Geister gejagt, sondern Verstecke und Geheimnisse.

Diese vertraulichen Schätze - sprachliche Botschaften - hat ein anderer Spieler irgendwo im Linzer Stadtraum versteckt. Die Geheimniskrämerei wächst stetig: Denn stöbert man ein leeres Versteck auf, wird man vom System aufgefordert, ein eigenes Geheimnis virtuell zu hinterlegen. (kafe / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.8.2009)