Vom Kellerlabor zur Herstellung von Diamant zur Unternehmerin mit Forschungsdrang. "Ich bin ein Mensch, der sich schwertut, sich in hierarchische Systeme einzugliedern, sagt die Physikerin Doris Steinmüller-Nethl.

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Karin Krichmayr sprach mit ihr über intelligente Implantate und Mankos in der Forschungskultur.

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STANDARD: Wie sind Sie darauf gekommen, gerade mit Diamanten zu arbeiten?

Steinmüller-Nethl: Das war 1993, ich war gerade mit der Dissertation fertig und wusste, dass ich mich mit meinem Mann selbstständig machen will. Mit einem Chemiker kamen wir dann auf die Idee, dass man mit Methan und Wasserstoff als Reaktionsgase auch Diamant erzeugen kann. Also haben wir im Keller ein Labor aufgebaut und nach zwei Jahren eine Technologie zur Diamantbeschichtung entwickelt, mit der wir Kristalle im Nanometerbereich erzeugen können.

STANDARD: Was ist das Besondere an diesem Verfahren?

Steinmüller-Nethl: Normalerweise gibt es die Korrelation: je kleiner die Kristalle, umso mehr grafitische Anteile sind drin. Das ist bei unserem Verfahren nicht so. Wir können mit sehr kleinen Kristallen hochreine, sehr glatte Diamantschichten machen und damit auch große, komplexe Oberflächen beschichten.

STANDARD: Im Laura-Bassi-Zentrum DiaLife, das Sie leiten, geht es um die Entwicklung von diamantbeschichteten Implantaten. Woran forschen Sie konkret?

Steinmüller-Nethl: Kohlenstoff wird in der Implantologie eingesetzt, weil er absolut biokompatibel, also körperverträglich ist. Einerseits kann man damit Titan-Implantate stabiler und korrosionsbeständiger machen. Andererseits haben wir gesehen, dass diamantbeschichtete Implantate viel schneller einheilen und die Entzündungsrate reduziert wird. Es geht in unserem Projekt auch darum, Knochendefekte zu reparieren, indem wir Biomaterialien in den Körper führen, die wir mit Diamanten modifizieren, mit Stammzellen besiedeln und mit einer Biomatrix des Fraunhofer-Instituts Stuttgart versehen. Damit wollen wir größere durchblutete Knochen herstellen, als es bis jetzt möglich ist - ein Problem, das weltweit nicht gelöst ist.

STANDARD: Wie gestaltet sich die Forschungsarbeit?

Steinmüller-Nethl: Für das Laura- Bassi-Zentrum haben sich acht Partner herauskristallisiert - Unis, Kliniken, Unternehmen, Forschungseinrichtungen. Mir ist wichtig, dass wir jetzt schon einen Frauenanteil von 60 Prozent haben. Wir bauen ein virtuelles Zentrum auf mit einem gemeinsamen Ziel, das nicht jeder für sich allein verfolgen kann. Mit dem Altersforschungszentrum in Innsbruck zum Beispiel entwickeln wir einen Sensor, den man in die Oberfläche der Diamantbeschichtung integriert, sodass man online messen kann, wie schnell der Knochen einheilt und wie schnell sich der Biofilm ansiedelt, der Bakterien enthält.

STANDARD: Wann könnten diese Technologien eingesetzt werden?

Steinmüller-Nethl: Wir testen die Entwicklungen derzeit in Zellkulturen, Tierversuchen und klinischen Studien. Zugleich startet eine Reihe von Diplomarbeiten und Dissertationen. Das Programm ist auf sieben Jahre ausgerichtet, bis Ende der Laufzeit sollten neue Produkte da sein, um Patienten mit großen Knochendefekten, die durch Tumoren oder Unfälle entstehen, zu helfen.

STANDARD: Hätten Sie das Programm ohne Fördergelder genauso realisieren können?

Steinmüller-Nethl: Nein, in dieser Form nicht. Das Dilemma ist, dass ich aus der Industrie komme und daher nicht einmal in diesem Programm ansuchen durfte. Als Kompromiss konnte ich einen der Partner als Koordinator nennen - obwohl die Ausschreibung an Frauen gerichtet war und ich das Forschungsprojekt initiiert habe. Das ist meiner Meinung nach ein Manko. Man sollte generell Frauen ansprechen, die was können und sich berufen fühlen, solche Projekte zu realisieren, unabhängig davon, ob sie von der Uni kommen oder nicht. Meine Arbeit wird nicht finanziert, ich leiste sie freiwillig. Im Gegenteil, ich muss zahlen, da die Firmen für 35 Prozent des Projekt-Budgets aufkommen müssen.

STANDARD: Die Laura-Bassi-Zentren sollen ja an der Schnittstelle zur Industrie angesiedelt sein und eine "neue Forschungskultur" etablieren.

Steinmüller-Nethl: Das ist auch ein guter Ansatz, aber es gibt noch viel zu tun. Die Problematik ist, dass die Firmen sehr viel Cash geben müssen. Damit wird so manche Innovation verhindert, weil die Realisierung für kleine Firmen oft schwer leistbar ist. Man sollte die KMUs nicht außen vor lassen, die werden zurzeit generell ziemlich stiefmütterlich behandelt. Da bleibt kein Geld für Forschung.

STANDARD: Warum haben Sie sich für die Wirtschaft entschieden, anstatt eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen?

Steinmüller-Nethl: Ich bin ein Mensch, der sich schwertut, sich in hierarchische Systeme einzugliedern, und ich glaube, in diesen starren universitären Strukturen wäre ich nicht gut aufgehoben gewesen. Ich glaube, ich kann eher in meiner Selbstständigkeit etwas bewegen. Klar ist es auch riskanter. Ich bin einfach mit Leib und Seele Physikerin. Die vielen Vernetzungen mit Biologen und Chemikern machen das neue Projekt absolut spannend für mich. Durch dieses Zentrum rückt vielleicht auch die Möglichkeit, mich um eine Professur zu bewerben, wieder näher. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2009)