Ohne die freiwilligen Arbeitseinsätze wären in Not geratene Südtiroler Bergbauernhöfe nicht überlebensfähig, meint der koordinierende Verein. Die Last körperlicher Arbeit ist im Sommer oft zu groß.

Foto: Südtirol Marketing

Vorsichtig klettern zwei Männer über den abschüssigen Wiesenhang hinunter. Der Boden ist rutschig, Schritt für Schritt tasten die beiden den steilen Hang ab, um einen festen Halt für ihre klobigen Bergstiefel zu finden. "Du musst aufpassen", sagt der eine zum anderen. Der eine ist braungebrannt und schon seit einer Woche hier. "Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand bei dieser Arbeit abstürzt."

Es ist noch recht kühl und früh am Morgen, Langschläfer sind hier unbekannt. In der rechten Hand tragen die beiden Männer einen hölzernen Heurechen, in der Linken eine Tasche mit Trinkflaschen und Knabberzeug, ihre Ausrüstung für die folgenden sechs Tage.

Dieter Hohnschopp aus Detmold in Nordrhein-Westfalen ist ein alter Hase. Das hier ist bereits sein siebenter Job dieser Art: Gefällte Baumstämme aus dem dichten Nadelwald schleifen, mit der Axt Holz spalten, Zäune flicken, mit dem Fadenmäher die steilen Böschungen sauber machen, im Stall aushelfen - das alles hat er bereits gemacht, inklusive Heuarbeit, die in dieser Woche ansteht.

Schwere Einsätze in allen Leben

Dieter ist 53, ein stets gutgelaunter Frühpensionist. Mit schweren Einsätzen kennt er sich aus, in seinem vorigen Leben war er Kriminalbeamter. "Anfangs, mit 25", erzählt Dieter, "bin ich bei der Drogenfahndung gewesen. Wir ließen uns die Haare wachsen und mischten uns in den einschlägigen Kneipen unter die Leute. Die Kollegen nannten uns Schmuddeltypen."

Den Neuen begrüßt er mit einem aufmunternden, kräftigen Handschlag. Als dieser ein wenig zusammenzuckt, findet Dieter das sehr amüsant. "Meine Frau sagt immer, ich soll nicht so fest zudrücken, wenn ich nach zwei Wochen am Berg wieder daheim im Flachland bin." Dieters Arme sind muskulös, auf die Schwielen an seinen zerkratzten Händen ist er sogar ein wenig stolz. "Kommt alles hiervon", meint der Ex-Kripomann und deutet auf den Leiterhof, 1300 Meter über dem Südtiroler Ultental. Dafür nimmt er 900 Kilometer An- und Rückreise in Kauf.

Die Verpflegung und ein eigenes Zimmer sind wenigstens kostenlos, wenn man auf einem Bauernhof in den Südtiroler Bergen anpacken will. Der Verein "Freiwillige Arbeitseinsätze" organisiert das Projekt gemeinsam mit dem Südtiroler Bauernbund. Die Arbeitswilligen werden versichert und müssen einen Fragebogen ausfüllen, wo sie angeben, für welche Tätigkeit sie sich geeignet halten: Hauswirtschaft, Betreuung der Kinder oder Arbeit im Freien, und ob vielleicht sogar Einsätze am Steilhang infrage kommen.

Auf dem Leiterhof herrschen extreme Bedingungen: Die Wiesen rund um den Hof sind zu mähen, das frische Gras muss gleichmäßig verteilt, umgedreht, dann eingesammelt, auf den Heuwagen getürmt und anschließend noch im Stadel abgeladen werden. Das meiste geschieht in Handarbeit, denn Maschinen können hier wegen der Geländebeschaffenheit nur begrenzt verwendet werden. Vier Hektar Wiese muten unendlich groß an, wenn das Gras über 200 Höhenmeter zum Stadel zu schaffen ist. Nur der würzige Geruch von Kräutern und Wiesenblumen entschädigt für die Plagerei. Die Sonne steht noch tief am Himmel, aber es wird wohl wieder ein wolkenloser, heißer Sommertag werden. Irgendwo in der Ferne ruft der Kuckuck, sonst ist es ringsum so still, dass man das Rascheln des getrockneten Grases unter den eigenen Füßen hört.

Ja, der Leiterhof klebt idyllisch wie ein Schwalbennest ganz oben auf der Sonnenseite über dem Ultentaler Dorf St. Pankraz. Das jahrhundertealte Gebäude sieht aus wie alle Gehöfte hier in der Gegend: ein Wohnhaus aus wettergegerbtem Lärchenholz. Das Dach mit grauen Holzschindeln bedeckt, duckt sich in einen offenen Geländerücken, umgeben von dunklen Nadelwäldern. Daneben Stall und Heustadel - dieselbe Bauweise, aber etwa doppelt so groß wie das Wohnhaus. Man versteht sofort, dass die Besitzer vom Vieh leben. Und dass es in den langen strengen Wintern durchgefüttert werden muss - außer Gras fürs Vieh und Kartoffeln für die Bauern wächst auf solchen Höhen kaum etwas. Im Stall stehen vier Milchkühe und ein Kalb, nur ein paar Hühner und der bunt schillernde Hahn laufen im Hof herum.

Die Bauern, Alois Thaler, seine Frau Helga und die vier Kinder geben sich in einem Sinn wie das Haus, das sie bewohnen: nur äußerlich wehrhaft verschlossen, drinnen jedoch urgemütlich. Die Familie Thaler empfängt Gäste nicht mit berufsmäßig antrainierter Freundlichkeit. Anfangs ist man zurückhaltend. Wortkarg meint der 59-jährige Alois, dass hier "alles bescheiden und einfach" sei. Stimmt schon, aber was der Hof hergibt, wird eben geteilt: Fleisch und Salat, Butter, Marmelade und das übliche Paarlbrot.

Und sie erzählen von ihrem Überlebenskampf als sechsköpfige Bauernfamilie, jetzt, wo die Holz-, Fleisch- und Milchpreise in den Keller gerutscht sind. Alois drückt es so aus: "Ich kann es mir nicht leisten, zweimal am Tag ins Dorf hinunterzufahren." Aber er sagt auch, dass er den Hof nie verkaufen würde. "Ich könnte nicht einfach die Arbeit hinschmeißen und alles verwildern lassen."

Wenn das Heu getrocknet ist und sich der Stadel langsam mit dem wertvollen Futter füllt, breitet sich auf Alois Thalers Gesicht so etwas wie Zufriedenheit aus. Obwohl er mit einem Auge noch immer besorgt in Richtung Himmel blickt - Wetterumschwünge können hier schnell kommen. Doch ist er kein Leuteschinder, der Bauer legt selbst dann Wert auf ausgedehnte Ruhepausen, wenn das Gras wieder nass zu werden droht.

Eng unter einem Dach zusammenleben, mit der Familie an einem Tisch essen, das einzige Bad im Haus benützen, so etwas muss man mögen. Dieter Hohnschopp aus Detmold gefällt das. "Die Leute im Dorf hier kennen mich, für viele bin ich ein Spinner", erzählt er. Muss man also ein bisschen "bekloppt" sein, wie er das ausdrückt, um sich in seiner Freizeit einen Knochenjob beim Bergbauern anzutun? Überhaupt nicht, sagt Monika Thaler, die die freiwilligen Arbeitseinsätze koordiniert und selbst auf einem Bergbauernhof in Aldein aufgewachsen ist. Seit gut 11 Jahren gibt es das Projekt, wobei die Arbeitskräfte wegen einer krankheitsbedingten Notlage und ausschließlich an hilfsbedürftige Bauern vermittelt werden. Da beteiligen sich Leute aus allen Schichten, weiß Frau Thaler, vom Manager, über den naturbegeisterten Pfarrer, bis hin zur Hausfrau. Heuer seien bereits weit mehr als 1000 Helfer im Einsatz - Tendenz steigend: Die Koordinatorin vermutet da einen Zusammenhang mit der aktuellen wirtschaftlichen Krisensituation, vielleicht nicht zu Unrecht. Jedenfalls, sagt Monika Thaler, hätten sich noch nie so viele Leute bei ihr gemeldet wie in diesem Jahr.

Der Bergluft nichts schuldig

Leiden Menschen wie Dieter Hohnschopp also an einem Helfersyndrom? Da muss der Westfale wieder lachen. "Nein", sagt er während einer Zigarettenpause, das sehe er anders, denn eigentlich erhielten beide Seiten etwas geschenkt. "Zuhause unterstütze ich meine Frau in einem gutgehenden Betrieb, da habe ich viel um die Ohren" - hier könne man ausgezeichnet abschalten. "Wissen Sie", sagt der ehemalige Kriminalpolizist und bläst dazu Rauchkringel in die klare Bergluft, "die Familie Thaler und ich, wir helfen uns gegenseitig, wir sind also quitt."

So gingen die Tage am Berg vorüber. Ereignislos, wenn man darunter Termindruck und klingelnde Mobiltelefone versteht. Es wurde gerackert, gescherzt, ernsthaft geredet - vor allem aber geschwiegen. Es gab kein Unwetter und keinen Unfall, abgesehen von ein paar Wespenstichen, an die man sich rasch gewöhnt. Mitte der Woche kam ein gesundes Kalb auf die Welt, eine Henne verschwand spurlos, am helllichten Tag, als Täter kommt nur der Fuchs infrage.

Dann war da noch der Hahn, nach Auffassung von Dieter Hohnschopp eine rechte Nervensäge: Nachts um halb zwei begann er sein Konzert, regelmäßig, der zermürbte Gast hat auf die Uhr geschaut, das Krähen war anhaltend, gegen jede Naturlogik. Sehr gewöhnungsbedürftig für Städterohren, doch wenig später vernahmen sie nur mehr die gedehnten Rufe der Schwalben, die vor dem geöffneten Fenster den Mücken nachjagten. (Helmut Luther/DER STANDARD/Printausgabe/15.8.2009)