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Foto: APA/Schlager

Wien - Bernd Lötsch verabschiedet sich mit Jahresende als Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien: "15 Jahre sind genug", meinte der Biologe, ehemalige Galionsfigur zahlreicher Umwelt- und Naturschutzinitiativen.

Lötsch hatte bereits zu seiner Berufung vor 15 Jahren in das ehrwürdige Haus am Ring vermutet, dass er damit ruhig gestellt werden sollte. "Das ist die ehrenvollste Form der Internierung für einen Unregierbaren", sagte er damals und kann diesen Satz auch heute noch unterstreichen. Auch wenn er in Sachen Aktivismus in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten tatsächlich kürzertreten musste, seine Seele habe er auch als Museumsdirektor nicht verkauft. "Ein Sponsor Verbundkonzern (als ehemaliger "Hainburg"-Erzfeind, Anm.) wäre nie infrage gekommen", so Lötsch.

Hausoptik und Innovation

Weniger radikal ist er als Leiter des NHM. Seine Innovationen - von der Elektrifizierung bis zu Sonderausstellungen und neuen Dauerschauen - sollten stets im Einklang mit der Optik des Hauses sein, das für Lötsch zum Teil durchaus "das Museum eines Museums" ist und auch sein soll. Ein nicht unerheblicher Teil der Besucher, etwa Touristen, komme weniger wegen der Ausstellungen als vielmehr wegen des Ambientes des Hauses. Radikale Brüche, sei es auch nur ein klotziger Außen-Lift im neu renovierten Innenhof, lehnt Lötsch daher ab. Er setzt auf behutsames Vorgehen.

Wenn Kritiker ihm deswegen die "Verstaubtheit" seines Hauses vorwerfen, weist er die Vorwürfe nur zum Teil zurück. Einige Schausammlungen seien tatsächlich überarbeitungsbedürftig. Allerdings liege das nicht zuletzt an den beiden höchst unterschiedlichen Aufgaben des Museums, das im Gegensatz zu reinen Ausstellungspavillons auch wichtige wissenschaftliche Funktionen ausübt. So beherbergt das Haus zahlreiche sogenannte Typen, quasi die Belege für Erstbeschreibungen von Tier- und Pflanzenarten. In einigen Abteilungen wird exzellente Wissenschaft betrieben, während die Vitrinen in den Ausstellungsräume eher antiquiert belegt sind, Schaustück an Schaustück.

"Den Funken weitergeben wollen"

Auch liegt nicht alle Macht beim Generaldirektor: "Ich kann nicht über die einzelnen Abteilungsleiter einfach drüberfahren", sagte Lötsch. Stattdessen gelte es, mittel- und langfristig bei Neubesetzungen von wissenschaftlichen Planstellen Doppelbegabungen zu fördern, also Leute, die neben wissenschaftlichen Ambitionen auch Freude daran haben, ihre Erkenntnisse anderen Menschen mitzuteilen. Es bedürfe "beseelter Gelehrter, die den Funken auch weitergeben wollen". 

Findungskommission

Die Suche nach einem Nachfolger ist - wie berichtet - bereits angelaufen und eine Findungskommission vom Kulturministerium eingesetzt worden. Bewerbungen sind noch bis 4. September möglich. Lötsch hätte diesbezüglich auch einen Wunsch: "Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich meinen Vizedirektor Herbert Kritscher sehr schätze."

Wenn Lötsch mit Ende des Jahres als Generaldirektor nach 15 Jahren in Pension geht, war er der zweitlängst dienende Chef des Hauses an der Wiener Ringstraße. Nur Fischkundler Franz Steindachner (1834-1919) leitete das Museum länger, nämlich 21 Jahre. 

>>> Bilanz, die neue Schau und Metamorphosen Naturhistorischer Museen in Europa

Persönliche Bilanz

Lötsch verlässt das NHM nach eigenen Angaben mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits gibt es noch zahlreiche Projekte, die er im Museum gerne umgesetzt hätte, andererseits sei in den vergangenen Jahren doch einiges "am Straßenrand liegengeblieben". Lötsch möchte sich ab 2010 wieder verstärkt der Stadtökologie widmen und auch "wie eh und je Umwelt- und Naturschutzanliegen" nachgehen, ohne aber zum "Selbstbedienungsladen für diverse Bürgerinitiativen" zu werden. Nicht zuletzt will Lötsch wieder mehr seiner Leidenschaft Film nachgehen, so verfügt er noch über unveröffentlichte Aufnahmen von Konrad Lorenz, diese sollen verarbeitet werden.

Neue Schau und Dreidimensionalität als Aufgabe

Doch bevor es soweit ist, hat der NHM-General im verbleibenden halben Jahr auch noch große Pläne. So sollen in mehreren Räumen wissenschaftlich äußerst bedeutsame, historische Experimente und Erkenntnisse nachgestellt werden, etwa die Entdeckung der Photosynthese oder Versuche mit Elektrizität und Magnetismus. In dieser Schau möchte Lötsch noch einmal alle Register ziehen und seine 15 Jahre Erfahrung einsetzen.

Die wichtigste Aufgabe des Museums ist für ihn dabei die Dreidimensionalität, also Echtheit anstatt Bildschirm, oder wie er es selbst ausdrückt: "Natural Reality statt Virtual Reality". Die neue Schau soll in Zusammenarbeit mit dem Zauberkünstler Magic Christian entstehen, der sich erstens hervorragend auf "Verblüffung" versteht, aber auch Erfahrung mit historischen wissenschaftlichen Experimenten hat. Schließlich seien solche Versuche nicht selten dazu eingesetzt worden, um Menschen Magie vorzugaukeln.

Mikrotheater

Von den Innovationen, die Lötsch während seiner Amtszeit eingeführt hat, zählt für ihn das Mikrotheater klar zu seinen Favoriten. In diesem vor mehreren Jahren neu gestalteten Saal kann etwa das Leben im Wassertropfen über ein Mikroskop live und dreidimensional auf Leinwand verfolgt werden. Für Lötsch ist die monumental gestaltete Einrichtung des Mikrotheaters durchaus angebracht, es soll "eine Kathedrale der Mikroskopie" sein. Schließlich habe das Mikroskop vor allem im 19. Jahrhundert die Wissenschaften revolutioniert. Und es sei ein Blick in ein Mikroskop gewesen, der ihn, Lötsch, zum Biologiestudium brachte.

Stolz ist der scheidende Generaldirektor auch auf die Elektrifizierung sämtlicher Schausäle, die er größtenteils selbst entworfen hat. Anstatt teurer Unterputz-Verlegungen, wurden die Verkabelungen in dünnen Messingröhren an den Vitrinen entlanggeführt. Auch weitere Neuerungen ist Lötsch stets vorsichtig angegangen, schließlich möchte er nach eigenen Angaben optisch "keine Brüche" tätigen und auch nicht mit ständigen Neuerungen auffallen. So sieht auch das Cafe Nautilus so aus, als sei es schon immer auf der Galerie des Kuppelsaales beheimatet gewesen. Immerhin kann Lötsch nach eigenen Angaben über die eineinhalb Jahrzehnte seiner Amtszeit auf eine Verdreifachung der Besucherzahlen verweisen.

>>> Metamorphosen Naturhistorischer Museen in Europa

 

Metamorphosen Naturhistorischer Museen

Gemeinhin gelten die großen naturhistorischen Museen in den USA - neben den interaktiven Science Centers - als besonders erfinderisch, beim Museumsbesucher unter Einsatz neuester Ausstellungskonzepte einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Auch in Europa zeigten sich in den vergangenen Jahren Metamorphosen der naturkundlichen Häuser hin zu mehr Erlebnisstätte, so dass es für einige Experten das Klischee von Staub und Muff in Verbindung mit ausgestopften Tieren und getrockneten Pflanzen zu begraben gilt.

Das Naturhistorische Museum (NHM) Wien soll sich unter einer neuen Direktion laut Jobausschreibung ebenfalls weiter öffnen. Eine größere Offensive in Bezug auf moderne Vermittlungsformen zeigten hierzulande bisher eher die kleinen Häuser wie das Haus der Natur in Salzburg und Inatura in Dornbirn. Beispiele, wie es gehen könnte, gibt es in Europa einige.

Darwin Centre in London

20 Millionen Insekten und Pflanzen ausgestellt in einem 65 Meter langen und achtstöckigen Kokon, darunter 500 lebende Organismen, Hightech-Installationen und Hands-on-Aktivitäten sowie über 200 Wissenschafter in Aktion in Hightech-Laboratorien, denen man bei der DNA-Decodierung, der Bestimmung von Arten oder bei der Präparation über Aussichtsplattformen, Video und mit Gegensprechanlagen ausschnittsweise zuschauen kann - was wie das ultimative Erlebnis eines naturhistorischen Museumsbesuchs anmutet, soll in dieser Form mit der Eröffnung des Darwin Centre des National History Museum in London ab 15. September Wirklichkeit werden. Für das Museum, das insgesamt über 70 Millionen Sammlungsobjekte zählt, gilt das mit dem modernen Anbau an das altehrwürdige Stammhaus fertiggestellte Darwin Center als "die bedeutendste Entwicklung des Museums, seit es 1881 nach South Kensington gezogen ist".

"Earth Gallery"

Doch auch schon in der vor 15 Jahren im Londoner NHM eröffneten "Earth Gallery" gebe es Bereiche, die für die belgische Museumsexpertin Michele Antoine "eine Referenz in der Museumswelt" sind. Eine sehr gelungene Interaktion des Gebäudes mit den Exponaten zeigt laut der Ausstellungsleiterin des Institut Royal des Sciences Naturelles in Brüssel auch die ebenfalls vor 15 Jahren eröffnete Grande Galerie de l'Evolution in Paris, eine dem staatlichen französischen Naturkundemuseum angegliederte Einrichtung. Die aus der ehemaligen Galerie der Zoologie von 1889 stammende Sammlung wird seit 1994 in der komplett renovierten Galerie u.a. mit Lichtspielen, 3D-Installationen und Dokumentarfilmen präsentiert.

Beispiele aus Dänemark und Spanien

Innovation sei aber nicht immer auf die Ausstellung selbst beschränkt, so Antoine, man könne sie etwa auch in Anregungen, die ein Museum bietet, oder darin, wie die Einrichtung mit seinem Umfeld interagiert, finden. So habe etwa das Museum of Aarhus, Dänemark, ein Projekt organisiert, bei denen Amateure und Wissenschafter gemeinsam die dänische Fauna und Flora identifiziert haben. Einen erfolgreichen Ansatz, Architekten und Museologen zusammenzubringen, habe zudem das 2005 eröffnete CosmoCaixa in Barcelona gefunden. "Es hat die Grenze zwischen Naturhistorischen Museen und Science Centers überschritten, indem Exponate - lebende, ausgestopfte und fossile - und hochwertige interaktive Elemente gemischt werden", so Antoine. In ihrem eigenen Haus, dem Brüsseler naturwissenschaftlichen Museum, habe man jüngst einen Flügel über die Geschichte des Lebens mit der selben Absicht eröffnet - "aber, da wir ein Naturhistorisches Museum sind, mit viel mehr Exemplaren".

Berlin

Auch die 2007 eröffnete neue Dauerausstellung "Evolution in Aktion" des Museums für Naturkunde in Berlin verweist laut Direktor Reinhold Leinfelder nicht nur auf die "Umsetzung notwendiger Erneuerungen", sondern auch "augenzwinkernd darauf, dass unser Haus selbst eine Evolution durchläuft". Seit 1. Jänner ist das Museum zudem nicht mehr eine universitäre, sondern eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die sich über den Namenszusatz "Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin" zu erkennen gibt. Damit werde der eigene Anspruch in Wissenschaft und ihre Services unterstrichen, so Leinfelder. Die eigenen Ausstellungen stellten dabei "ein eigenständiges Publikationsformat für unsere eigene Forschung dar". Vereint wird dies auch ab 2010 im neu renovierten Ostflügel, der im Zweiten Weltkrieg zerbombte Gebäudeteil wird das neue Heim für die Alkoholsammlungen. Das unterste der sechs Stockwerke werde "bewusst als authentische Forschungssammlung" für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Erneuerung

Naturhistorische Museen, vor allem die großen, nationalen Häuser, hätten sich in der Vergangenheit stufenweise und unter Einbeziehung neuer Technologien und theatralischer Aspekte "selbst erneuert" - in Belgien wie auch in vielen anderen Ländern, so Antoine. Auch für Leinfelder sind "generell NHM weit vorangekommen", auch wenn das Klischee von verstaubten Ausstellungsobjekten "leider immer noch von einigen Museen" gepflegt werde. Künftig gehe es vor allem auch um die weitere Profilschärfung - auch im Hinblick auf die Aktivitäten von Science Centers sowie Technikmuseen.

"Gerade in Zeiten wieder stärker zunehmender Vorbehalte oder Schwarz-weiß-Argumentationen gegenüber Wissenschaftern", Stichwort Kreationismus, haben für Leinfelder naturkundliche Museen auch die Aufgabe, "sich hier mit durch Originalobjekte sprichwörtlich nachforschbaren Fakten in die gesellschaftliche Diskussion unaufgeregt, differenziert, aber eben doch dezidiert einzuschalten". Auch für Antoine sind NHM mit die besten Orte, die künftigen Herausforderungen in Bezug auf Umwelt, globale Veränderungen und dem Verlust von biologischer Vielfalt zu thematisieren - auch wenn die ernsten Botschaften auf einem "sehr angenehmen Weg" transportiert werden müssten, "schließlich besuchen Menschen Museen in ihrer Freizeit". (APA)