Wer hätte gedacht, dass diese vier hier Rihanna oder Mariah Carey verehren? Ja, The xx aus London sind seltsame Leutchen.

 

Foto: Edel

Jeder muss immer alles selbst herausfinden. Da nützt kein Google. Das muss man leider selbst lernen. Und mit dem Lernen kommen die Aufgaben. Und die wachsen einem über den Kopf. Und daran wächst man. Schon ist man ein eigenständiger Mensch.

Toll wäre, wenn dies in der Kunst auch funktionieren würde. Blöderweise ziehen die Menschen aus ihren Leben oft die gleichen Schlüsse. Dumm, dass sich das dann oft gleich anhört. Ein Sänger, eine Sängerin, die morgens aufwacht und sofort das dringende Bedürfnis hat, zu sterben: erschütternd und stark von der Aussage her. Zwei, die das ungefähr zeitgleich tun: Da bahnt sich ein Zeitgefühl hin zum Trend an. Drei, die uns in ihren Liedern davon berichten: Schon hat man einen Stil beisammen. Der wächst sich zum Genre und zur Szene aus.

Spätestens beim Todeskandidaten Nummer zwölf spricht man dann davon, dass sich dieser Stil zwar gerade auch kommerziell, also in die Breite gehend mit zahlreichen Trittbrettfahrern etabliert habe. Allerdings hätten sich diese ewigen Jammereien bezüglich Todestrieb künstlerisch etwas ausgedünnt, ja leergelaufen.

Für die späte Rettung des etwas sehr auf bloßen Lippenbekenntnissen beruhenden Genres sei es jetzt dringend geboten, dass ein Protagonist auch tatsächlich ernst mache. Ansonsten drohe mit den formalisierten wie aufgesetzten und ewig gleichen Todeskitsch-Postulaten die Ramschkiste, Radio Burgenland und in zehn Jahren Reissues vergessener oder damals belächelter Meisterwerke dieses lebensmüden Stils.

Wir sehen, es ist verdammt hart für junge Musiker, ein Alleinstellungsmerkmal, einen eigenen Ausdruck zu finden. Warum denn lange suchen, wenn man sich ins gemachte Bett legen kann? Darin und damit findet man zwar keinen Ruhm für die Nachwelt. Aber im Heute findet man sein Auslangen.

The xx aus Südwest-London gehen es allein schon mit der Namensschreibung bescheiden an. Und sie sehen in ihrem pampigen wie selbstgerechten Trotz auch so aus, als ob hier bloß eine weitere Horde pummeliger Teenager sich exakt an jenem selbstgerechten Leid abarbeitet, das Golden Oldies wie Robert Smith und The Cure bald die Rente versüßen wird.

Die Lieder von The xx auf ihrem namenlosen Debüt aber klingen überraschenderweise derart ausgezehrt und emotional unterkühlt, dass man hier nicht nur seit Jahren im Geschäft aktive Vollblutprofis vermuten würde. Man ortet hier auch jenes große wie seltene künstlerische Einzelgängertum, das schon vom Start weg so selbstbewusst klingt, wie es nur wenigen im Geschäft nachgesagt werden kann.

Mit kleinen feinen Bassmelodieläufen in der Schule von New Order und The Cure, ein bisschen knieschwachem Gitarrengeschrammel und zart hingetupften, ja was, knisternden und grummelnden Laptop- Interventionen legen Romey Madley Croft, Oliver Sim, Baria Qureshi und Jamie Smith zudem die Basis für Unerhörtes.

Dieser verhaltene und minimalistische Kammerpop, zusätzlich behübscht mit völlig ausdruckslosem Mann-Frau-Duettgesang, beruft sich nicht nur auf große Alte wie die Young Marble Giants und deren frühe Sichtungen von Alltagstristesse mittels Alltagsmusik. Auch jüngere und heftiger bei Minimalbesetzung wütende Kollegen wie The Kills werden neben CocoRosie oder den Chromatics verehrt. Allerdings werden auch völlig ohne Ironie R-'n'-B-Hightech-Größen als Referenzen erwähnt: Missy Elliott, Rihanna, Justin Timberlake, Mariah Carey.

Wer will, kann nach diesen Einflüssen suchen. Notwendig ist es nicht. Dies ist Musik, die klanglich aus der Masse heuriger Produktionen im Gestus und Klang herausragt und bestehen bleiben wird. Ganz, ganz groß. Und ziemlich leise. (Christian Schachinger  / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15./16.8.2009)