Salzburg - Die schleifenden Sirenen, die hallenden Einwürfe des Ambosses, das nur mehr als Ur- und kaum mehr als Klanggrund hörbare Klavier über dem vielgestaltigen Schlagzeug-Kosmos: Ionisation für dreizehn Schlagzeuger von Edgar Varèse stand bei diesen Festspielen bereits zum zweiten Mal am Beginn einer Exkursion auf den "Kontinent Varèse" .

Die Annäherung von Martin Grubinger und dessen Percussive Planet Ensemble zu Beginn des Zyklus in der Felsenreitschule wirkt - jetzt im Nachhinein - beinahe kammermusikalisch: zumindest im direkten Vergleich mit der Lesart des Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von François-Xavier Roth in der Kollegienkirche. Nicht nur die mächtige - und als wesentliches Instrument mitspielende Akustik des Sakralraums - führte zu dieser Wirkung, sondern schon auch ein im Ansatz stärker zupackender Gestus und ein beinahe "symphonisch wirkender" Zugang.

Aus Ionisation direkt heraus entwickelten vier Ensemble-Mitglieder den Crystal Canon für Edgard Varèse von James Tenney: Das Stück von 1974/75 für vier Snare Drums basiert auf einem Snare-Drum-Motiv in Varèses Ionisation - die unmittelbar an den Crystal Canon anschließend gleich noch einmal gespielt wurde: zum "Motiv-Suchen" und zu noch aufmerksamerem Hineinhören verführend.

Auch das nur neunzig Takte kurze Stück Hyperprism, ein effektsicherer "Knaller" von 1922/23 von Edgar Varèse für neun Bläser und Schlagzeuger wurde zweimal gespielt: Abwechselnd mit Form/2 Formen von Wolfgang Rihm von 1993/94 - in seinen zwei Fassungen, seinen "Zuständen" , wie das bei Rihm heißt.

Abschluss und Höhepunkt eines fulminanten Abends: Großmeister Luigi Nonos Polifonica-Monodia-Ritmica von 1950/51 und Edgard Varèses Integrales für elf Bläser und acht Schlagzeuger: Geradezu "klassische" Züge nahm Luigi Nonos Polifonica-Monodia-Ritmica für sechs Instrumente und Schlagzeug an: Da tupfen Becken und Holzbläser zunächst feinste Themen in den Raum, der sich plötzlich zum intimen Kammermusiksaal zum verwandeln schien. Während schon im Allegro-Teil des Polifonica-Abschnitts das Klangprospekt sich wieder öffnete und auch die Blasinstrumente wie Rhythmusinstrumente zu wirken begannen. Im Monodia-Teil, einem ätherischen Largo, wandert in Nono'scher Manier eine Melodie durch alle Register.

In der erhellenden Lesart des Modern Orchestra unter der Leitung von François-Xavier Roth entstand, etwa durch den Zusammenklang von hohen Klaviertönen und flirrenden Holzbläserklängen, geradezu ein Gefühl von klanglicher und räumlicher Unendlichkeit. (Heidemarie Klabacher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.8.2009)