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Trauer gehört im Nordkaukasus schon zum Alltag: Die Einwohnerinnen des tschetschenischen Dorfes Schalaschi beweinen den Tod der ermordeten Menschenrechtlerin Sarema Sadulajewa.

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Suchumi/Wien - An jenen Sommer denkt der russische Regierungschef Wladimir Putin gerne zurück: In den 70er-Jahren arbeitete der damalige Jusstudent einen Sommer lang in einer abchasischen Baubrigade. Mit den dabei verdienten 800 Rubel kaufte er sich einen Mantel, den er dann 15 Jahre lang trug. Den Rest des Geldes verprasste er im Badeort Gagry.

Am Mittwoch ist der russische Premierminister an den Ort seiner Jugenderinnerungen zurückgekehrt - mit Milliardengeschenken im Gepäck. Russland will im nächsten Jahr 15 bis 16 Milliarden Rubel (350 Millionen Euro) in die Errichtung eines Militärstützpunktes sowie den Bau von Grenzanlagen in der abtrünnigen georgischen Republik investieren. Russland hatte Abchasien nach dem Krieg mit Georgien im August vergangenen Jahres als unabhängigen Staat anerkannt.
Dem abchasischen Haushalt sollen im laufenden Jahr aus Moskau rund 2,5 Milliarden Rubel (55 Millionen Euro) zufließen. 2010 sei eine Unterstützung auf ähnlichem Niveau geplant, sagte Putin gegenüber abchasischen Medien.

Solidaritätsbekundung

Putins Besuch, der eine Solidaritätsbekundung für die Kaukasusrepublik sein soll, wurde jedoch durch einen weiteren brutalen Mord im Nordkaukasus überschattet. Der inguschetische Bauminister Ruslan Amerchanow wurde am helllichten Tag in seinem Büro in Magas von zwei Maskierten von Kugeln durchsiebt. Einen Tag zuvor waren in Tschetschenien und Dagestan zwei Menschenrechtsaktivisten sowie ein Journalist ermordet worden. „Es ist offensichtlich, dass Moskau die Lage im Kaukasus nicht im Griff hat", urteilte Uwe Halbach, Kaukasus-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Die Politik der Putin'schen Machtvertikale pralle am Kaukasus ab und offenbare die Ohnmacht Moskaus, sagt der Experte. „Moskau will den beiden Protektoraten im Südkaukasus Stabilität und Sicherheit bieten und ist nicht mal in der Lage, dies in den eigenen Kaukasusrepubliken zu gewährleisten", sagte Halbach.

Während in Russland die Schuld am Ausbruch der neuerlichen Gewaltwelle im Kaukasus oft „äußeren Kräften" in Form rachesüchtiger Georgier gegeben wird, ist der Kaukasus-Experte der Ansicht, dass strukturelle Defizite und die lokalen Politiker verantwortlich sind. „Die sind von der schlechtesten Qualität. Die politische Realität im Nordkaukasus ist so weit weg von der Rechtsstaatlichkeit wie sonst im übrigen Russland nicht", sagte Halbach.

Die Zunahme der Attentate auf Sicherheitskräfte und Morde an Politikern, Menschenrechtlern und Journalisten steht auch in Zusammenhang mit der angespannten finanziellen Lage des russischen Haushaltes. In früheren Jahren wurden die Klanchefs oft mit Zuwendungen aus Moskau „befriedet". Doch in Zeiten der Wirtschaftskrise versiegt der Geldstrom aus der russischen Hauptstadt. Dazu kommt, dass seit vergangenem August nicht nur der Nordkaukasus am Tropf des föderalen Budgets hängt, sondern auch die beiden südkaukasischen Republiken Abchasien und Südossetien.

Ein Ausweg aus der Gewaltspirale in der Kaukasusregion ist derzeit nicht in Sicht. In Moskau müsse erst die Erkenntnis reifen, dass man mit „starker Hand" im Kaukasus nichts erreiche. „Solange der Kreml nicht begreift, dass das zu nichts führt, sondern dringende strukturelle Reformen, die natürlich nicht leicht durchzuführen sind, nötig sind, wird sich an der Situation nichts ändern", sagte Halbach. (Verena Diethelm/ DER STANDARD Printausgabe, 13.8.2009)