Jim Griffin: Vom Top-Manager zum unbequemen Querdenker

montage: derstandard.at

Wien - "Digital Rights Management hat noch nie etwas bewirkt und wird es auch nie tun. Es wurde um knapp 1500 Prozent mehr Musik über das Internet downgeloadet, seit Napster abgedreht wurde. Muss ich mehr sagen?" Jim Griffin, weltweit gefragter Wanderprediger des digitalen Zeitalters mit hohem Polemikfaktor war für einen Vortrag in Wien.

Seine Kernthese: Mit elektronischen Knebelungsmaßnahmen wie Kopierschutz oder Schlüsselsystemen werde es die Musikindustrie nicht schaffen, die Abermilliarden Songs, die weltweit über das Internet getauscht werden, zu kontrollieren. Ebenso wenig mit Klagen der diversen Tauschbörsen. Beim Symposion des Music Information Center Austria (mica) schlug er dieser Tage vor, die "Anarchie zu Geld machen". DER STANDARD bringt Auszüge aus dem Vortrag.

  • Jim Griffin über Musik an sich: "Anarchie ist es, worum es sich bei Kunst und Musik dreht. Wir verkaufen Teenage Rebellion. Wenn wir früher bei Geffen Records eine Band fanden, die die Eltern, die bei uns arbeiteten, abstoßend fanden, gossen wir riesig viel Geld über sie. Klassik ist sicher mehr als Pissing-Off Parents, aber auch dabei ging es nicht selten um Zorn."
  • . . . über die Versuche, Musikgebrauch zu kontrollieren: "Es gibt keine Hoffnung, je wieder Kontrolle zu erlangen. Es gibt kein Produkt mehr, da Musik nicht mehr nur auf dem Produkt CD verfügbar ist. Fakt ist: Zahlen für Musik ist freiwillig. Das ist weder eine rechtliche noch moralische Frage, sondern die Realität."
  • . . . über die Musikindustrie: "Sie folgt einer Tarzan-Ökonomie: Sie klammert sich an die Liane, an der sie hängt - die CD -, sie schwingt in Richtung der nächsten, lässt die erste aber nicht aus, solange die nächste nicht fest in ihrer Hand ist."
  • . . . über die nächste Liane: "Bei Musik geht es um Mobilität, um Bewegung. Autos sind Musik, Walkmen sind Musik. Ein 14-Jähriger heute will nicht unter Hausarrest am anderen Ende eines Kupferkabels sitzen, wenn er Musik hört. Sogar Manager der Musikindustrie sagen in Umfragen, dass sie neue Musik vor allem im Auto oder in der U-Bahn und nicht im Büro oder zu Hause hören."
  • . . . über Digital Rights Management (DRM): "Löst exorbitante Kosten aus. Ein Telefonanruf bei einer Supporthotline würde so aussehen: 'Ich habe einen Song heruntergeladen, jetzt gibt mein Computer meine Diplomarbeit nicht mehr heraus!' Ein Anruf dieser Art eliminiert den kompletten Gewinn, den sie mit dem Kunden über seine Lebenszeit hätten machen können."
  • . . . über die Rolle Hollywoods: "DRM ist Lüge. Es wird keinen Deus ex Machina geben, der die Hollywood-Filmindustrie (die sich vor digitalen Kopien fürchtet, da die Übertragungsbandbreiten größer werden, Anm.) rettet. Die Technologiefirmen beschwindeln Hollywood, so wie ein Mann, der einer Frau sagt, er liebt sie, um mit ihr schlafen zu können. Sie sagen, sie geben ihnen DRM, um an den Inhalt heranzukommen."
  • . . . über eine neue Ökonomie für die anarchische Musikwelt: "Es ist so simpel - bei Copyright geht es um einen Pool von Geld und eine faire Art und Weise, es aufzuteilen. Es geht nicht um die Kontrolle über Objekte. Mein Vorschlag: Die Internet-Service-Anbieter in jedem sammeln eine einheitliche Gebühr ("flat fee") von allen ein. Der faire Weg, das Geld aus diesem Pool zu verteilen, wäre beispielsweise auf Basis von stichprobenhaften Erhebungen über die Nutzung der diversen Musikstücke möglich. In Österreich beispielsweise werden pro Monat im Schnitt 2,59 Dollar für Musik ausgegeben. Also: Eine "flat fee" für Musik von fünf Dollar pro Monat würde das Musikbusiness in Österreich vervielfachen." (DER STANDARD Print-Ausgabe, 24.3.2003)