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Jonathan Franzen und Jonathan Foer müssen sich nicht nur den Vornamen und ein F-Wort als Familiennamen teilen. Auf sozusagen intellektuell höher angesiedelter Ebene findet hier im Bereich der kulturellen Superlative derzeit auch ein Verteilungskampf bezüglich Ruhm, Ehre und Lizenzrechten statt, den man so in den letzten Jahren sonst nur zwischen Britney Spears und Christina Aguilera verfolgen durfte. Jonathan Franzen konnte sich mit seinem 800-Seiten-Wälzer Die Korrekturen allerdings aufgrund zu langsamen Arbeitstempos und trotz 42 Erdenjahren und einem zwei Romane umfassenden literarischen Backkatalog aus erfolglosen Jugendtagen im Hintergrund mit seinem Smash-Hit nur eine Saison halten. Jetzt muss im Jahrmarkt der Eitelkeiten und des Sensationsdauerfeuers schnell ein anderer einspringen, als neuer Richard Ford, neuer Don DeLillo, als John Updike für die Blinden, Philip Roth für die Lahmen - oder als "Stimme der Generation Y", die "Amerika wieder die Erlaubnis gegeben hat, nach dem 11. September lachen zu dürfen." Hier schoss eine ansonsten durchaus renommierte US-Zeitung etwas über das Ziel des World Trade Centers hinaus. Deshalb balgten sich die Literatur-Scouts der US-Verlagsbranche im Vorjahr auch sehr schnell sehr heftig um den 25-jährigen Jonathan Safran Foer.

Bevor Foer im Frühjahr 2002 im New Yorker Auszüge seines Romandebüts Alles ist erleuchtet veröffentlichte und eine, milde gesagt, hysterische Balz der Verlage um den jungen Mann losbrach, studierte Foer in Princeton Philosophie und Literatur. Unter anderem bei der vom Feuilleton seit jeher zart überschätzten Trivialistin Joyce Carol Oates. Geworden ist aus Foer trotzdem etwas. Nach einer ersten, vom Autor aus Qualitätsgründen verworfenen Fassung und einem Brotjob als Ghostwriter einer medizinischen Fachzeitschrift für Prostata-Erkrankungen brachte ihn ein Freund mit einer Literaturagentin zusammen. Die erkannte vor allem auch den potenziellen Marktwert des jungen Talents. Am Ende waren 15 Verlage bei einer Rechteauktion um Alles ist erleuchtet im Rennen. Houghton Mifflin erhielt schließlich den Zuschlag für einen halbe Million Dollar, zwei Monate und 100.000 verkaufte Harcover-Bände später streifte Foer für die US-Taschenbuchrechte noch einmal eine Million Dollar ein. Mittlerweile wurden die Übersetzungsrechte für 19 Sprachen vergeben. In Deutschland ist das Buch jetzt bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Man muss diese Hysterie um das neueste Literaturwunder auf jeden Fall mitdenken, wenn man in den mit Dollarvorschüssen, aber auch dazugehörigen Lorbeeren mehr als gesegneten Roman hineingeht.

Denn trotz einer möglicherweise leicht debilen, auf jeden Fall die amerikanische Hysterie in uneingeschränkter Solidarität nachbetenden deutschen Rezeption, die unter anderem so weit geht, dem Roman als einziges Negativum vorzuwerfen, er sei "zu perfekt", haben wir es bei Alles ist erleuchtet tatsächlich mit einem außergewöhnlichen und außergewöhnlich gelungenen Debüt zu tun. Foer hantiert dabei auf mehreren zeitlichen und inhaltlich die Hochkomik unmittelbar neben die Tragödie stellenden Ebenen ebenso wie er mit dem Stil der Chronik spielt, die überkommene Form des Briefromans wiederbelebt und der guten alten Tradition des heiter-melancholischen US-Road-Movies huldigt. Möglicherweise ist Foer hier auch etwas geglückt, was Woody Allen immer schon an den großen russischen Tragöden Dostojewskij und Tolstoi faszinierte: deren abgründiges Potenzial für Comedy-Verwertung.

Foer erzählt zum einen die Geschichte des ukrainischen Schtetls Trachimbrod von seiner Gründung 1791 bis zur Auslöschung des Dorfes 1942 durch die Nazis. Wir lesen in Alles ist erleuchtet diesbezügliche Auszüge aus einem von einem gewissen Jonathan Safran Foer geplanten Roman, der darin die Geschichte seiner ukrainischen Vorfahren schildern will. Als zweite Erzählstimme dient Foer neben seiner literarischen Figur "Foer" schließlich auch Alex. Alex ist ein junger ukrainischer Dolmetscher, der sich seine Englischkenntnisse vor allem über den etwas unreflektierten Konsum von Originalfassungen amerikanischer Kinofilme und ohne Sinn für idiomatischen Gebrauch von Sprache zusammenhanglos aus Wörterbüchern erworben hat und deshalb zur grotesken und auch grandios ins Deutsche übersetzen Verballhornung neigt: "Lieber Jonathan, ich sehne, dass dieser Brief gut wird. Wie du weisst, bin ich nicht erstklassig im Englisch. In Russisch sind meine Ideen abnorm gut formuliert, aber meine zweite Sprache ist nicht so unerreicht." Alex ist ein großer, allerdings "sehr wahrheitlicher" Aufschneider. In Briefen an Jonathan erzählt er die gemeinsam mit "Jonathan Safran Foer" durch die Ukraine unternommene Irrfahrt auf der Suche nach Augustine, einer Frau, die 1942 Jonathans Großvater angeblich das Leben gerettet hat, als die Nazis in Trachimbrod einfielen. "Foer" kommt mit der Verarbeitung seiner Reise und gleichzeitigen Wurzelforschung nicht so gut zurecht und will es sich ein wenig einfacher machen. Zwischen den Schilderungen des Grauens des Holocausts kommt es so auch dank eines debilen Hundes namens Sammy Davis Jr. Jr. und dem Großvater von Alex als Reisebegleiter zu herzerwärmend-pittoresken Szenen aus einem Land, das sehr viel dunkle Vergangenheit, aber nur wenig Zukunft zu bieten hat. Am Ende löst sich aber alles in scheinbarem Wohlgefallen auf. Eine Erfahrung, die man den Protagonisten allerdings wegen der grausigen Antworten auf ihre Fragen lieber erspart hätte. (Von Christian Schachinger/DER STANDARD; Printausgabe, 22.03.2003)