Hardcore-Gärtner und in die Jahre gekommene Punker kennen dieses Gefühl der wehmütigen Freude wohl aus dem eigenen, autosuggestiv induzierten Erfahrungsschatz: wenn sie am Herbstwochenende zum Kompostberg schreiten, mit Mistgabel und Schaufel und Finger konzentriert darin stochern - und dann erstarren, weil aus der aufgewühlten Erde ein kleines Stückchen Vergangenheit grüßt. Gnadenlos spuckt der Humus sie nämlich alle noch einmal aus: die vom Adriastrand verschleppten Muschelschalen, ebenso den längst verloren geglaubten Ohrring. Oder aber den schlanken Hals der allerersten selbst gekauften und vor allem leichtfertig zertrümmerten "Hemp- stone"-Klampfe. Dass Letzteres am Komposthaufen landete, liegt durchaus im Sinne der Erfinder.

Immerhin waren Martin Ernegg und Horst Döpfner Anfang der Neunziger angetreten, einen radikal wiederverwertbaren, im Idealfall eben auch kompostierbaren Werkstoff zu entwickeln, der heute besonders bei Musikinstrumenten und im Akustikbereich reüssiert. "Hempstone" tauften sie das ohne chemische Zusatzstoffe und aus den Stängeln der Hanfpflanze und Wasser zusammengedrehte Material, das nun mit recht eindrucksvollen Werkstoffdaten überzeugt. Trotz Verzicht auf jegliche Klebe- und Bindemittel konnten dabei Festigkeitseigenschaften erreicht werden, die fast alle bekannten Kunststoffe und Harthölzer übertreffen - und im Herstellungsprozess überdies noch große formale Freiheit erlauben. "Im Prinzip handelt es sich nur um Papier, um Zellulose", verrät Döpfner, "aber man kann es auf physikalischem Wege und mit natürlichen Zuschlagstoffen regelrecht komponieren."

Je nach Wunsch wird das innovative Material entweder hart und schlagfest oder aber elastisch und stoßdämpfend. Wer einen Blick in den in Prambachkirchen bei Linz gelegenen Schauraum des Zellformteams wirft, kann sich davon auf Anhieb überzeugen. In Zusammenarbeit mit Bartosch und Fürst Design wurden opulent geformte Möbel entwickelt, rundliche Hocker und Stühle, denen der Babyspeck der Produktentwicklung noch am üppigen Korpus zu kleben scheint. Und sogar ein Giorgio Armani hat sich mittlerweile am Hanfdesign versucht: Er entwickelte im Rahmen seiner Home- Collection eine komplette Schüsselserie.

Aufgrund seiner guten akustischen Eigenschaften punktet das Material freilich vor allem bei der Herstellung von Musikinstrumenten. Das australische Didgeridoo wird genauso daraus hergestellt wie die nigerianische Udu-Trommel. Fazit: Hanf macht guten Sound noch besser. Der Griff zur in Österreich seit jeher verbreiteten Faserpflanze erfolgte erst nach reichlicher Recherche - und zeitigte dabei auch interessante historische Rückblicke auf einen in der Versenkung verschwundenen Werkstoff. Bevor die 1992 im oberösterreichischen Taiskirchen gegründete Zellform GmbH die Entwicklung von Hempstone - englisch für "Hanfstein" - zur Marktreife brachte, stieß das Team nämlich zunächst auf Papiermaché, ein Material, aus dem in China schon vor der Zeitenwende Kriegshelme gefertigt und Anfang des vergangenen Jahrhunderts rund um Wien in 30 Fabriken unterschiedlichste Gebrauchsgegenstände - von Sesseln bis Hufeisen - hergestellt wurden.

Mithilfe von alten Handwerksbüchern gingen die Zellformer daran, das Wissen über Papiermaché zu rekonstruieren - und waren überrascht über die Bandbreite der Produktpalette, die von Musikinstrumenten, Vasen, Eimern, Bodenbelägen bis hin zu Zahnrädern und Schiffsrümpfen reichte. Mit beginnender Industrialisierung wurde Papiermaché zuerst von Bakelit und später dann von den heute bekannten Kunststoffen abgelöst - die uns riesige Abfallaufkommen von 80 Millionen Tonnen Polyethylen und Polypropylen und den verschwenderisch anmutenden Verbrauch der endlichen Ressource Erdöl bescheren. Ob sich Hempstone und ein ebenfalls von Zellform entwickelter mineralischer Hanfleichtwerkstoff, der die Vorteile von mineralisch gebundenen Materialien wie Beton mit denen von Hanfwerkstoffen verbindet, wird durchsetzen können, wird auch die Innovationsfreude der Hersteller mitentscheiden.

Gute Zukunftsperspektiven werden der neuen, aus Flachs, Hanf, Lignin, Eiweiß, Harz, Mais und Sägemehl entwickelten "Kunststoffgeneration" in jedem Fall prophezeit. In den USA und Japan stoßen Compounds, so der Name dieser Biokunststoffe, längst auf breite Akzeptanz. Nachhaltigkeit und der für das Unternehmen resultierende Imagegewinn sprechen besonders für biologisch abbaubare Werkstoffe. Auch Hempstone könnte dabei eine im wahrsten Sinne des Wortes steile Karriere hinlegen: Japanische Bauunternehmen überlegen heute, mit dem leichten, elastischen, aber sehr stabilen Werkstoff Häuser in erdbebengefährdetem Gebiet zu errichten - die Trümmer wären im Falle eines Einsturzes leichter wegzuräumen. Idealerweise auf den metropolitanen Kompost. Infos: zellform.com (DER STANDARD/rondo/Robert Haidinger/21/03/03)