Leni Lust hat sich als Künstlerin neu erfunden: "Lust ist für mich pures Genießen, der absolute Gegenpol zum Tod."

Foto: Julia Wesely

Für Kinder zu illustrieren, Kindergeschichten zu schreiben ist ein wichtiger Teil ihres Lebens, sagt Leni Lust. Freizeit und Beruf fließen bei ihr ineinander: "Ich kann als Künstlerin niemals die Tür hinter mir zuschmeißen und sagen: 'So, jetzt denke ich zwei Tage nicht daran.' Diese Verbindung ist da, weil Kreativsein kein Job ist, sondern das Leben - von früh bis spät, von spät bis früh."

Illustration: Leni Lust

Das abenteuerliche Kinderhörspiel "Gusti die Seegurke" kommt im September 2009 in den Handel - Illustrationen und Text: Leni Lust, Sounddesign und Musik: Christoph Hofer

CD-Cover: Leni Lust

Mit Singen hat alles begonnen, zum Singen kehrte sie nach dem Neustart auch wieder zurück: Sie zog ein elektronisches Musikprojekt auf, sang in Studios Pop und Elektronik und gründete das A-Capella-Quartett '4She', das acht gute Jahre laufen sollte.

Foto: privat

"Stillleben mit Flederhund": Die eigenen Werke zieren auch das Wohnzimmer der Künstlerin. Früher malte sie höchstens ein Bild pro Jahr, bis ein Freund ihre zeichnerische Begabung wiederentdeckte. Malen erlebt sie nicht als Arbeit: "Wenn ich mich hinsetze und ein Bild male ist das Meditation und dann geht es mir nachher gut."

Bild: Leni Lust

"Alles, was mit Zeichnen, Musik, Schreiben und Gestalten zu tun hat, was schöpferisch ist, fasziniert mich seit meiner Kindheit", sagt Leni Lust. Die selbstgemalten Bilder der vieltalentierten Wiener Künstlerin weckten schon damals in ihren Mitschülern Neid: "Meine Schulfreundin hat mir erst geglaubt, dass der Osterhase von mir ist, als ich das Bild genauso nochmals zeichnete", lacht Leni Lust. Außerdem schrieb sie damals schon Geschichten und musikalisch war sie obendrein. "Wie so oft, musste ich mich aber schon als Kind für eine Richtung entscheiden."

Die Wahl fiel auf die Musik: Sie lernte Violine und Klavier, besuchte das Musikgymnasium und studierte Klassischen Gesang am Konservatorium der Stadt Wien, aber: "Ich hatte den Zugang zu meiner Kreativität schon bald vollkommen verloren. Das Zeichnen und Schreiben hat nach der Volksschule ganz aufgehört, im Konservatorium wurde ich zwar als hochbegabt gehandelt und meine Familie war sehr stolz auf mich, aber da war ein enormer Leistungsdruck da und ich selbst war mit dem, was aus mir herauskam, überhaupt nicht zufrieden. Es hat keinen Spaß gemacht und ich habe mich selbst nicht finden können, sondern versucht, den Anforderungen von außen zu entsprechen, weil ich es ja gleichzeitig so gerne machen wollte. Das war ein irrsinniger Kampf."

Schließlich wusste sie gar nicht mehr, wo sie künstlerisch hingehörte, beschloss, die Musik bleiben zu lassen und einen "normalen" Beruf zu ergreifen: Sie absolvierte das Tontechnikstudium an der Musikhochschule und arbeitete zehn Jahre lang in diesem Beruf: "In dieser Zeit habe ich gar keine Musik gemacht, war zehn Jahre überhaupt nicht kreativ tätig. Es hat mich aber sehr unglücklich gemacht, das Kreative nicht zu leben und mir fehlte auch die Liebe zur Tontechnik, sodass ich beschloss, einen völlig neuen Weg, zurück zur Kunst, einzuschlagen. Auch wenn das sehr schwer werden würde: Ich musste es einfach tun."

Wie neu geboren

Die Künstlerin begann, sich selbst neu zu entdecken und zu leben - was auch mit einer Namensänderung einherging: Leni Lust war geboren. Wie ist sie auf dieses Pseudonym gekommen? "Als ich mich von der Tontechnik verabschiedet habe, ist mir bewusst geworden, dass ich alles, was mir schlecht tut, aus meinem Leben verbannen und es bunt und lustvoll gestalten möchte. Ich wollte einen Neubeginn starten, mich neu definieren und erfinden und das Alte einfach ablegen. In vielen Naturvölkern ist es Usus, dass man sich, wenn man sich verändert und einen Wandel durchmacht, auch einen neuen Namen gibt. Ich habe immer schon den wunderschönen Buchstaben 'L' gemocht - und da war der Name plötzlich da." Alle hätten sie gewarnt:"'Du kannst dich doch nicht Leni Lust nennen, da denkt man an eine Pornodarstellerin!', aber ich habe mir nur gedacht: 'Na und, ist Pornodarstellerin zu sein eine Beleidigung?' In Lust steckt ja nicht nur sexuelle Energie, sondern auch Lebenslust. Lust ist für mich der absolute Gegenpol zu Tod. Das ist pures Genießen und deshalb hat mir der Name so gut gefallen."

Singen als Start

Zunächst begann Leni Lust, wieder zu singen: Sie zog ein elektronisches Musikprojekt auf, suchte Leute im kommerziellen Bereich, die Sängerinnen brauchen, sang in Studios Pop und Elektronik und gründete das A-Capella-Quartett '4She', das acht gute Jahre laufen sollte. "Ich habe damals praktisch bei Null wieder mit dem Singen begonnen, weil die elektronische Musik ganz andere Anforderungen hat als die Klassik, und habe mir durch 'Learning by doing' alles selbst beigebracht. Da ich in meiner Jugend so geprägt war von Leistungsansprüchen, muss ich mir heute alles Wissen selbst aneignen - das Interesse muss von innen kommen, aus Freude und Spaß an der Sache heraus, dann lerne ich auch sehr schnell. Wenn der Weg umgekehrt ist, besteht keine Chance, dass ich die Liebe dafür entdecke. Auch das habe ich erst lernen müssen."

In dieser Zeit des Neuanfangs lernte sie außerdem, Mut zu den Dingen zu fassen, die ihr Spaß machten: "Ich habe die kreative Freiheit entdeckt, nicht nur zu interpretieren, sondern selbst kreativ zu schöpfen, zu texten, zu komponieren, zu arrangieren. Bei '4She' durfte ich zudem lernen, wie man Show macht, wie man Humor einsetzt, wie man mit dem Publikum spielt und auf der Bühne agiert."

Zurück zu Stift und Pinsel

Durch einen glücklichen Zufall sollte sie schließlich auch ihre zeichnerische Begabung wiederentdecken: "Eines Tages kam ein Freund zu mir, der jemanden brauchte, um eine Kinderbibel zu illustrieren. Er sagte: 'Ich brauche ein Bild von dir und wenn es den Verantwortlichen gefällt, dann hast du den Job!' Er hat mir einfach vertraut, dass ich das kann. Ich habe elf Tage lang an der Arche Noah gemalt und den Job bekommen - und dann ist es mit Blut, Schweiß und Tränen losgegangen." Ein halbes Jahr arbeitete sie an der Kinderbibel, musste sich während des Malens auch hier zunächst alles Handwerk selbst beibringen: "Das Talent war da, aber die Technik musste sich erst setzen. Ich bin jeden Tag gesessen und habe gemalt - ich habe geweint, geflucht, bin rotiert, ich konnte keinen Pinsel mehr sehen, aber ich wusste, dass ich das schaffe. Ich wollte es unbedingt!"

Das Durchbeißen zahlte sich aus: Auf den ersten Auftrag folgten weitere: Illustrationen für Kinder, CD-Covers, DVDs. "Ich habe jeden Auftrag angenommen, auch wenn ich vorher nicht wusste, wie ich ihn umsetzen kann. Ich hatte einen bestimmten Zeitrahmen und in dem habe ich mir die nötigen Techniken und Computerprogramme beigebracht. So habe ich zeichnen gelernt."

Ausgezeichnet sprechen

Wissensdurst und Tatendrang waren damit aber noch längst nicht gestillt. Neben dem Zeichnen, Malen, Singen und Musikmachen entdeckte Leni Lust noch ein weiteres Betätigungsfeld für sich: "Eine Freundin erzählte mir, dass sie an der 'Schule des Sprechens' Unterricht nahm und ich habe dabei das Gefühl von Neid verspürt. In den vergangenen Jahren habe ich gelernt, dass Neid ein sehr wertvolles Gefühl ist, um zu merken, was mir fehlt und wo ich hinwill - also habe ich 2008 die Ausbildung zur Sprecherin mit Auszeichnung abgeschlossen."

"Gusti die Seegurke"

Durch das Sprechen eröffnete sich Leni Lust die weite Welt der Literatur - und wieder ein neues Aufgabenfeld: "Die Schönheit der Sprache fasziniert mich, die Aussprache, die Wortwahl. Letztes Jahr kam dann mein Freund, Sounddesigner Christoph Hofer, zu mir, der ein Hörspiel für Kinder machen wollte. Alles, was er wusste, war, dass es 'Gusti die Seegurke' heißen sollte - und dass ich die Richtige war, um es zu schreiben. Dabei hatte ich das letzte Mal im Deutschunterricht Geschichten verfasst!" Nach anfänglichem Hadern und Zaudern setzte sie sich schließlich hin und begann zu schreiben. "Ich habe mir alle möglichen Bücher übers Schreiben besorgt, habe nach den gängigen Regeln einen Plot verfasst und innerhalb von drei Tagen war 'Gusti die Seegurke' fertig. Dann habe ich mich umgeschaut und tolle Menschen wie Miguel Herz-Kestranek, Ciro de Luca und Martin Haidinger gefragt, ob sie mit mir ein Kinderhörspiel machen wollen. Alles, was ich dafür bieten konnte, war Kreativität, Engagement und Spaß - und alle haben zugesagt. Meine Freude und Energie an dem Projekt hat sich wohl auf sie übertragen."

Schreiben als Teil des Lebens

Im Februar 2009 folgte die erste Auszeichnung für "Gusti" im Rahmen des Förderwettbewerbs "SchreibZeit für junges Publikum". Leni Lust wurde von der Jury zu einem "Creative Writing"-Seminar für Kinder eingeladen. Dabei entdeckte sie, welch unglaublichen Spaß ihr das Schreiben macht: "Ich habe weitere Workshops besucht, bin auf Kindertheaterfestivals eingeladen worden, habe dort viele interessante Schriftsteller und Menschen kennengelernt und für mich entdeckt, dass das genau die Umgebung ist, in der ich mich wohlfühle und dass das Schreiben auch ein wichtiger Teil in meinem Leben sein wird und muss."

Jetzt, mit 38 Jahren, sei sie endlich auch ihren eigenen Ansprüchen nahegekommen: "Wenn ich etwas mache, kann ich jetzt auch stolz darauf sein. Mir gefällt, was ich tue, ich erfreue mich heute an meinen eigenen Kreationen und stehe dazu." Natürlich verwirre sie ihre Umgebung auch immer wieder mit ihrer bunten Vielfalt an Tätigkeiten: "Jeder sagt, man muss sich auf eine Sache konzentrieren, um wirklich gut zu sein - ich halte das für absoluten Schwachsinn. Man kann in vielen Dingen gut sein und weiterwachsen, wenn man wachsen will. Für mich wäre das kein Leben, mich fachlich auf eines zu beschränken und zu spezialisieren; ich muss ständig alles, was ich tue, erweitern, ausbauen und damit auch persönlich wachsen. Und ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn ich mir etwas Neues erobern möchte, dann kann ich das auch."

"Zufrieden und glücklich"

Derzeit ist die Allrounderin eifrig am Kurzgeschichten schreiben, hat ihre Illustrationen und Werke kürzlich beim Wettbewerb um den Dixi-Kinderliteraturpreis eingereicht. Schwierig an ihrem künstlerischen Dasein sei die finanzielle Unsicherheit, aber: "Trotzdem bin ich zufrieden und glücklich. Ich will dieses Leben um keinen Preis der Welt aufgeben - ich hatte mit der Tontechnik ein geregeltes Einkommen mit Urlaub und allem, was dazugehört, aber ich habe das Leben ohne die Kunst nicht ertragen. Dafür nehme ich diese Unsicherheiten gerne in Kauf."

Derzeit arbeitet die Künstlerin am besten nachts, zwischen zehn, elf Uhr und fünf, sechs Uhr Früh. Privatleben und Beruf sind bei Leni Lust fast eins: "Kreativsein ist ständige geistige Arbeit. Ich komme nicht nach Hause und schalte ab, ein Wochenende gibt es für mich nicht und auch keinen Urlaub - ich kann zwar sagen, ich fahre irgendwo hin, aber die intellektuelle Arbeit geht dort weiter. Der Geist arbeitet, ich schreibe weiter in meinem Kopf, mache weiter Musik, überlege mir Projekte, neue Ideen strömen auf mich ein, wenn ein besonderes Wort fällt, fange ich schon zu denken an."

Freizeit ist Beruf

Erholung braucht aber selbst der kreativste Kopf ab und zu: Freizeit ist für Leni Lust "all das, was ich tue, um meine Selbstliebe zu stärken: Das kann auch arbeiten sein, denn wenn ich mich hinsetze und ein Bild male ist das Meditation und dann geht es mir nachher gut. Das kann aber auch ein Besuch im Dampfbad sein oder eine Kurzreise, um mir ein Theaterfestival anzuschauen, ein Theater- oder ein Museumsbesuch. Wenn ich aber in ein Museum gehe, dann schaue ich, wie die Bilder entstanden sind, welche Ideen die Maler hatten, wie der Pinselstrich und die Technik sind. Das meine ich mit: Es gibt keine Trennlinie. Ich kann als Künstlerin niemals die Tür hinter mir zuschmeißen und sagen: 'So, jetzt denke ich zwei Tage nicht daran.' Diese Verbindung ist da, weil Kreativsein kein Job ist, sondern das Leben - von früh bis spät, von spät bis früh." (Isabella Lechner/dieStandard.at, 10.8.2009)