Foto: Schlossmuseum

"Manchmal ist die Katastrophe der treibende Baumeister" , sagt der 33-jährige Martin Emmerer, grau gekleidet vom Absatz bis zum Jackenkragen, "ohne den Großbrand im Jahr 1800 wäre dieses Projekt wahrscheinlich niemals zustande gekommen." Die wütenden Flammen hatten den Südtrakt damals zu Schutt und Asche zermalmt. Seit kurzem ist die Brandwunde im Linzer Stadtschloss wieder geschlossen. Über der alten Burgmauer, eingeklemmt zwischen Ost- und Westflügel, schwebt eine standesgemäß grau getünchte Kiste aus Stahl und Glas.

Dem neuen Südflügel ist es zu verdanken, dass das Schlossmuseum Linz nun das größte, in einem Haus untergebrachte Universalmuseum Österreichs ist. Die Sammlung reicht von der Frühgeschichte über Volkskunde und Musik bis hin zu zeitgenössischer Kunst. Schon bald werden im Neubau jene zwei Sammlungen zu sehen sein, die aus Platzgründen lange Zeit im Lager versperrt waren: Technik und Natur.

"Natürlich ist das Gebäude in erster Linie ein Museum" , sagt Architekt Emmerer, einer von drei gleichberechtigten Partnern des etwas namensschwangeren Grazer Architekturbüros Hope of Glory. "Aber auch in städtebaulicher Hinsicht ist das Projekt sehr wichtig, weil es das Stadtschloss oben auf dem Berg endlich wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung rückt." Lange Zeit, meint Emmerer, habe es so ausgesehen, als wüssten die Linzer gar nicht mehr, dass sie ein Stadtschloss haben. Nun wissen sie's.

Entgegen vielen anderen Projekten, die beim internationalen Wettbewerb 2006 eingereicht wurden, überzeugte jenes von Hope of Glory die Jury aufgrund seiner Offenheit. Anstatt den Bauplatz lückenlos zu schließen, beschlossen Emmerer und seine beiden Partner Hansjörg und Clemens Luser nämlich, in der Gebäudekubatur eine riesige Aussparung vorzusehen - ganz so wie beim Lentos Kunstmuseum unten an der Donau.

"Wenn man schon an so einem prominenten Ort baut, dann muss man sich der städtebaulichen Potenziale bewusst sein" , sagt der Architekt. "Bis auf den Pöstlingberg gibt es in Linz nirgendwo einen Punkt, von dem aus man die Stadt überblicken kann. Diese Sichtachse unwiederbringlich zu schließen wäre ein fataler Fehler gewesen." Und tatsächlich: Das urbane Loch wird gut angenommen. Im Sommer beschattet, im Winter vor Wind und Witterung beschützt, beugen sich die Besucher weit über das Geländer und sehen hinunter auf die Stadt.

Scheinbare Schwerelosigkeit

Von der waghalsigen Konstruktion des darüberliegenden Gebäudes scheinen sie wenig zu bemerken. Leichtfüßig und elegant pfeift das 30 Meter lange Brückenbauwerk ohne eine einzige Stütze über die knapp 1000 Quadratmeter große Aussichtsterrasse hinweg. An den Altbau dockt der neue Riegel lediglich mit zwei schlanken Stahltraversen an - eine Vorgabe des Statikers, der mit diesem pinzettenhaften Eingriff den kühnen Entwurf der Architekten auf den Boden der Realität zurückholte.

Während die geböschten Fassaden im Hof den Eindruck einer proper geschnitzten Skulptur vermitteln (man könnte auch an ein liegendes Hochhaus von I. M. Pei denken), regiert in den Innenräumen die hohe Schule des Sichtbarmachens. Hinter rautenförmigen Gläsern und schimmerndem Streckmetall geht's ans Eingemachte: Dicke Fachwerksträger durchwandern den Ausstellungsraum im Obergeschoß, die eingesetzten Materialien sind unverputzt und unverblümt, über der grob gelochten Akustikdecke zeichnen sich die Konturen von Lüftungsrohren und Leitungen ab. "Das ist ein Museum, in dem technische Exponate ausgestellt werden" , erklärt Martin Emmerer, "warum sollten wir also nicht auch das Innenleben des Hauses zur Schau stellen?"

Von der Eingangshalle geht es über eine Treppe hinunter in die tageslichtlosen Tiefen der Bastei. Das erste Untergeschoß beherbergt eine Dauerausstellung zum Thema Natur, noch einen Stock tiefer befindet sich eine große Halle für Wechselausstellungen. Sichtbeton, grau wie alles andere auch an diesem Haus, setzt sich den Kräften des Erdmassivs zur Wehr.

Die unterirdische Architektur kommt den Anforderungen des musealen Betriebs entgegen, denn die meisten Exponate - darunter zahlreiche ausgestopfte Tiere von der Amsel bis zum Auerhahn - vertragen keine UV-Strahlung. Dass es hier unten, tief im Inneren des Schlossberges, weit und breit keinen Handy-Empfang gibt, ist eine angenehme und dem Museumsbesuch überaus zuträgliche Begleiterscheinung.

Bis zu zwölf Meter tief musste der Bauplatz abgegraben werden. Ein Großteil der Gebäudekubatur (Gesamtnutzfläche 6500 Quadratmeter) liegt damit in der Erde. Das erklärt auch den schlanken und kompakten Baukörper. Nur das Atrium im Hof, das den Werkstätten im untersten Geschoß Tageslicht zuführt, deutet auf die Größe des Museums hin. Emmerer: "Diese künstliche Schlucht ist unsere persönliche Anspielung auf den traditionellen Burggraben. Mit dem einzigen Unterschied, dass man den Restauratoren und Präparatoren bei der Arbeit zusehen kann."

Nach dem ersten Rundgang durchs neue Schlossmuseum (Nettobaukosten 18 Millionen Euro) kann man nur sagen: nichts zu meckern, passabel und perfekt. Das ist übrigens auch das, was der Grazer TU-Professor Ernst Hubeli sagte, nachdem ihm der Architekturstudent Martin Emmerer mit der Matrikelnummer 9530952 die fixfertigen Pläne zur Benotung vorgelegt hatte. Dass es sich beim Zubau des Linzer Schlossmuseums um eine Diplomarbeit handelt, dürfte das Anforderungsprofil an den österreichischen Architekturfakultäten mit hoher Wahrscheinlichkeit verschärfen. Pech für die heute noch Studierenden.

Das erklärt auch den Büronamen Hope of Glory. "Eigentlich ist es ja verwegen, mitten ins alte Schlossensemble ein Brückenbauwerk aus Stahl und Glas hineinzusetzen" , sagen die Architekten, "doch ehe man sich versieht, ist aus der akademischen Utopie ein reales Bauvorhaben geworden, und man sitzt mit dem Museumsdirektor an einem Tisch." Auf Ruhm braucht dieses Büro mit dem paukenschlagartigen Erstlingswerk heute nicht mehr zu hoffen.

Farbe durch Kunst am Bau

Absolutes Highlight abseits der immergrauen Architektur sind die Beiträge der Kunst am Bau. Neben Sepp Auer, Günter Selichar sowie Hauenschild/Ritter konnte sich auch der Wiener Künstler Manfred Erjautz mit einer Arbeit einbringen. Für den Festsaal im scheinbar schwerelos schwebenden Obergeschoß schuf er einen Vorhang aus taubenblauem Samt mit aufgenähten Wellenlinien. "Ich habe mich von der Architektur inspirieren lassen" , sagt Erjautz, "ein Brückenbauwerk hat ja nicht zuletzt auch etwas mit Wasser zu tun."

Auf den ersten Blick erinnert der Samtvorhang an einen verstaubten Gemeindesaal aus den Siebzigerjahren. Ein bissl mottig das Ganze. Doch wer den aufgestickten Wogenkämmen folgt, der wird darin neben Jesusbildnissen, Spiderman und Che Guevara dutzende von Orden und Wappen sowie zahlreiche Logos aus der globalisierten Welt der Marken erkennen. Selbst ÖBB und Jean Paul Gaultier sind vertreten. Erjautz: "Das ist ein Museum des 21. Jahrhunderts. Ich flute es mit Dingen, die uns beschäftigen." Gutes Motto. (Wojciech Czaja / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.8.2009)