Heidelberg - Krebs-Patienten verlieren im Laufe der Erkrankung oftmals sehr viel an Gewicht. Dieser extreme Zustand der Abmagerung wird als Auszehrung oder Kachexie (griech.: "schlechter Zustand") bezeichnet. Der ungewollte Gewichtsverlust beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Patienten, auch die Heilungschancen verschlechtern sich dadurch dramatisch: "Für rund ein Drittel aller Krebstodesfälle wird diese Auszehrung verantwortlich gemacht", erklärt Stephan Herzig. Der Wissenschaftler untersucht am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe die molekularen Ursachen der Tumorkachexie.

Abmagerung häufig bei Bauchspeicheldrüsen- und Lungenkrebs

Eine Tumorkachexie tritt nicht bei allen Krebsarten auf. Häufig betroffen sind beispielsweise Patienten mit einem bösartigen Tumor der Bauchspeicheldrüse oder der Lunge. Selten ist starker Gewichtsverlust hingegen bei Brust- oder Blutkrebs. "Leider ist es im Frühstadium einer Krebserkrankung nicht möglich, vorherzusagen, wie groß die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten oder die Schwere der Abmagerung bei einem Krebs-Patienten ist", erklärt Herzig von der Abteilung für Molekulare Stoffwechselkontrolle am DKFZ. "Denn die grundlegenden molekularen Mechanismen der Tumorkachexie sind noch weitgehend unbekannt. Zudem wird sie häufig zu spät erkannt." Dies ist ein schwerwiegendes Problem in der gegenwärtigen Krebstherapie, da es bisher keine effektive Behandlungsmethode gibt.

Zu schwach für Chemotherapie

Infolge der Abmagerung werden insbesondere Fettgewebe und Muskulatur in starkem und lebensbedrohlichem Maße abgebaut und die körpereigenen Energiespeicher aufgezehrt. Meist sind die Patienten dadurch so geschwächt, dass sie die notwendige, aber kräftezehrende Chemotherapie nicht mehr aushalten. "Es reicht dann in den meisten Fällen nicht aus, dass der Betroffene mehr isst und die Kalorienzufuhr erhöht", erklärt Herzig. Denn wesentliche Organsysteme des Körpers seien offensichtlich auf einen nicht umkehrbaren 'Abbau-Modus' geschaltet. Zudem leiden viele Krebs-Patienten infolge der Therapie unter Appetitlosigkeit oder Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall oder Erbrechen.

Untersuchung der molekularen Ursachen 

Die Heidelberger Wissenschaftler wollen nun die molekularen Ursachen für die Tumorkachexie untersuchen. In früheren Arbeiten haben sie bereits herausgefunden, dass aufgrund des Tumorwachstums bestimmte Botenstoffe vermehrt im Blut vorhanden sind, welche die Abbauprozesse im Körper in Gang setzen könnten. "Diese Substanzen werden vermutlich vom Tumor selbst ausgeschüttet", so Herzig. "Über das Blut gelangen die Botenstoffe dann an die Zielorgane Fett und Muskulatur und geben hier das 'Signal zum Abbau'." In der Folge werden sowohl Eiweißreservoirs des Muskels als auch die Fett- und Energiespeicher des Fettgewebes abgebaut und aufgezehrt.

Die Wissenschaftler untersuchen nun, über welche Signalwege die ausgeschütteten Botenstoffe den Abbau bewirken. Dabei konzentriert sich die Arbeitsgruppe zunächst auf die Prozesse im Fettgewebe. "Unser Ziel ist es, neue molekulare Zielstrukturen zu identifizieren, um die Tumorkachexie zukünftig behandeln zu können", sagt Herzig. "Dadurch könnten die Heilungschancen vieler Krebs-Patienten deutlich verbessert werden." (red, derStandard.at)