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Claudia Pechsteins Probe könnten wegen Schlampigkeit des Labors auffällig gewesen sein

Foto: Reuters/Stringer

Berlin - Neue Brisanz im Fall der für zwei Jahre gesperrten Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein: Nach dpa-Informationen sind seit der Sperre durch den Eislauf-Verband ISU am 1. Juli 2009 neue Messwerte von Blutproben aufgetaucht, die Pechstein schon in der Anhörung durch die ISU-Disziplinarkommission in Bern eventuell entlastet hätten, von der Anklage möglicherweise aber unter Verschluss gehalten wurden. Dabei handelt es sich um Retikulozyten-Werte von ein und der selben Blutentnahme am 15. April 2009, die in zwei verschiedenen Laboratorien ermittelt wurden und völlig unterschiedliche Ergebnisse aufweisen.

Harm Kuipers, Chef-Mediziner der ISU, reagierte mit Verwunderung auf die gravierenden Abweichungen. "Es ist merkwürdig, dass bei der Auswertung einer Probe in zwei Labors so unterschiedliche Werte herauskommen", erklärte der Niederländer. "Ich habe mich selbst schon versucht kundig zu machen, warum in Kreischa und Lausanne solche Differenzen ermittelt wurden. Ich kann mir nur vorstellen, dass es mit der Eichung des Geräts in Kreischa oder einer falschen Kühlung der Probe zusammenhängt", sagte Kuipers.

Pechstein, die wegen auffälliger Retikulozyten-Werte (Vorgänger der roten Blutkörperchen), aber ohne positiven Befund, gesperrt worden war, liegt zudem ein analytisches Gutachten vor, in dem Experten Mess-Schwankungen bei Retikulozyten-Werten als in der Praxis völlig normal darstellen. Die ISU-Ankläger dagegen hatten im Laufe des Verfahrens fehlerhafte Messungen kategorisch ausgeschlossen und so letztlich die Sperre der 37-jährigen Berlinerin erwirkt.

Die Verteidigung Pechsteins wird in der Berufungsverhandlung im Herbst vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS darüber hinaus noch weitere Formfehler des Weltverbandes ins Feld führen können. So sind der wegen auffälliger Blutwerte gesperrten fünffachen Olympiasiegerin in der Anklage mehrere falsche Bluttest-Ergebnisse zugeordnet worden.

Von den 20 Trainingskontrollen Pechsteins, die als Beweismittel vor dem ISU-Schiedsgericht am 29./30. Juni dienten, waren fast die Hälfte der Barcodes nicht identisch mit denen der Athletin. Mit Barcodes werden durch die Kontrolleure die Namen der getesteten Sportler verschlüsselt, jede Testampulle erhält einen Strichcode, der auch parallel an den Athleten vergeben wird. Betroffen von den Verwechslungen sind auch Daten, die erhöhte Retikulozyten-Werte ausweisen und im Verfahren der Angeklagten angelastet wurden. Mit diesen vertauschten Codes könnte die Doping- Affäre um Pechstein nun sogar zu einem Datenskandal des Weltverbandes ISU werden.

Kuipers suchte die Schuld dafür bei den Kontrolleuren, die teilweise nicht die standardisierten ISU-Codes verwendeten. "In diesem Fall müssen bei uns die Codes geändert werden. Aber wir können anhand unserer Unterlagen nachweisen, dass es sich trotzdem um die selben Proben handelt", erklärte der ISU-Mediziner. Er räumte ein, das sei "nicht ideal, aber wir müssen die Codes korrigieren. Das passiert nicht oft, aber manchmal", sagte Kuipers.

Pechstein wollte sich am Mittwoch zu den neuen Entwicklungen nicht äußern und verwies auf ihre Pressekonferenz am Donnerstag (11.00 Uhr/live auf N24) in Berlin. In den zurückliegenden drei Wochen hatte sich die Berlinerin nach ihrer Medien-Offensive Anfang Juli mit öffentlichen Statements zurückgehalten. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und können mittlerweile nachweisen, wie dilettantisch die ISU-Ankläger agiert haben", erklärte hingegen ihr Manager Ralf Grengel.

Am Mittwoch hatte die "Sport Bild" berichtet, dass sich die ISU auch bei der Protokollierung von Pechsteins Messwerten bei der Mehrkampf-WM vom 4. bis 6. Februar 2000 unerklärliche Formfehler geleistet hatte. Bei drei Tests waren Differenzen bei Retikulozyten-Werten aufgetaucht zwischen dem Original-Messprotokoll des Labors, das die Proben durchführte, und den Werten, die in der offiziellen ISU-Tabelle festgehalten wurden. In Milwaukee, wo Pechstein den Titel erkämpfte, ist nach der Probe vom 4. Februar 2000 ein Wert von 2,3 Prozent notiert, im Labor-Protokoll steht jedoch der Wert 2,5. Auch bei den Testergebnissen vom 5. und 6. Februar gibt es Abweichungen. Das Labor bestätigte jeweils 1,6, in der ISU-Tabelle stehen 1,7 und 1,75 Prozent. "Übertragungsfehler kann man nie ausschließen. Es kommt aber auf die Relevanz für den Fall an. Mann sollte sich nicht auf Formalien kaprizieren", erklärte der Österreicher Egbert Schmid, Mitglied der ISU-Disziplinarkommission. (APA)