Vater, Mutter, großes Kind: Matt Boren (li.), Flo und Ken Jacobs in "Momma's Man"

Foto: Stadtkino

Wien - Mit dem Alter werden die Erinnerungen mehr. Zugleich wächst die Erfahrung von Verlust und Flüchtigkeit, und die Gewissheit, dass das Leben wirklich endlich ist. Manchmal träumt man sich angesichts dieser unverrückbaren Tatsachen dann vielleicht einfach zurück: in jene Zeit, als man im hausgemachten Superheldendress überm Abendessenstisch selig einschlief, einen Mutter vorsichtig ins Bett tragen musste, während Vater das alles auf Super-8 aufnahm.

Mikey (Matt Boren), ein Thirtysomething, der eigentlich schon längst mit seiner Frau und dem gemeinsamen Baby in Los Angeles lebt, hat soeben seine Eltern in New York besucht. Als sich am Flughafen die Zugtüren öffnen, steigt Mikey einfach nicht aus. Das ist nur die erste einer ganzen Reihe von Entscheidungen - und die erste kleine Lüge -, mit denen Mikey seinen Handlungs- und Bewegungsspielraum nach und nach einschränkt.

Bald wird sein altes Hochbett Zentrum seiner (sentimentalen) Aktivitäten: Zunächst scheint das Suchen und Finden von materiellen Spuren und Vorlieben der eigenen vergangenen Kindheit noch den Status Quo des Erwachsenseins zu bestätigen. Dann jedoch setzt, immer notdürftiger durch weitere Ausreden und Verleugnungen abgestützt, ein Rückzug ein. Regression und Depression, Nicht-Mehr-Wollen und Nicht-Mehr-Können sind irgendwann nicht mehr zu unterscheiden.

Drama und Slapstick

Anfänglich folgt Momma's Man der Dramaturgie und dem Tonfall einer skurrilen Indie-Komödie. Begegnungen wie jene mit einem etwas desperat wirkenden alten Freund und dessen Mutter oder manches rhetorische Manöver, mit dem Mikey Zeit schindet, verweisen auf diesen Kontext. Allmählich aber wandelt sich der jüngste Spielfilm des US-Filmemachers Azazel Jacobs mehr und mehr zu einem existenziellen Drama - ohne jedoch auf die komische Seite desselben zu vergessen. Nicht von ungefähr hört man einmal aus dem Off den Ton von Charlie Chaplins Monsieur Verdoux. Aber auch dessen Vorfahren aus der tonlosen Slapstick-Ära mögen zu Jacobs' filmischen Vorbildern zählen:

Momma's Man entwickelt einen beträchtlichen Teil seiner ernsthaften Komik und seiner Pointen visuell: in der wortlosen Kommunikation zwischen Vater und Sohn etwa (statt einer Frage oder eines Kommentars schickt der Ältere dem Jüngeren einfach ein Aufziehbaby über den Esstisch); in trockenem Gegenschuss-Konter - zum Beispiel: beide Daumen hoch! - oder in ausgedehnten Schwenks durch den elterlichen Wohnraum, die den immer unbeweglicheren Protagonisten dort an allen möglichen Ecken vorfinden.

Eine weitere Qualität des Films verdankt sich dem Umstand, dass Jacobs seine wirklichen Eltern, den Lichtspielkünstler und Avantgardefilmemacher Ken Jacobs (Tom, Tom, The Piper's Son u. a.) und die Malerin Flo Jacobs als Vater und Mutter von Mikey besetzt hat. Hauptschauplatz des Films ist jenes vollgeräumte Loft, das die beiden tatsächlich seit Jahrzehnten bewohnen. Das produziert eine eigentümliche liebevoll-melancholische Ladung der Bilder - jede Aufnahme des Ortes und des Paares ist schließlich zugleich Teil der Fiktion und auch autobiografisches Dokument, ein gestelltes und ein gestohlenes Bild.

Im Blick auf die Eltern liegt Zuneigung und Wehmut zugleich. Der Optimismus, die stille Entschlossenheit, die sie verkörpern, gewinnt auch im Film und in Mikeys Leben wieder an Einfluss. Die Erinnerung an Kinderabenteuer als Eigenbau-Superheld lässt sich eben doch in ein geglücktes Erwachsenenleben integrieren. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.8.2009)