Sieht aus wie ein Swimmingpool, ist aber ein Taufbecken: Rund 100 Zeugen Jehovas tauchen am Samstag darin ein und werden so offiziell Mitglieder der Religionsgemeinschaft.

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Wien - Für Zeugen Jehovas birgt die Welt mit ihren liederlichen Bewohnern jede Menge Versuchungen: Exzessives Feiern, Rauchen, Fluchen - das alles ist bei den Mitgliedern der Glaubensrichtung, die im Mai 2009 in Österreich als Kirche anerkannt wurde, verpönt. "Wacht beständig!", mahnt daher ein großer Schriftzug auf dem Rasen des Wiener Ernst-Happel-Stadions, wo dieses Wochenende ein internationaler Kongress der Gemeinschaft statt findet. Zur Wachsamkeit werden aber auch die Wiener in der U-Bahn und in der Innenstadt aufgerufen - von den Namensschildchen der Kongressteilnehmer aus, 40.000 an der Zahl, angereist aus 18 Ländern.

Keine Stars, keine Gurus

Ausgelassen ihren Glauben zu zelebrieren, das liegt den Zeugen Jehovas fern. Es gibt keine Stars, keine Gurus - dementsprechend unaufgeregt plätschert die Veranstaltung dahin. "Wir wollen zeigen, dass man sich in einer lauten Welt auch leise freuen kann", sagt Franz-Michael Zagler, ein Zeuge aus Amstetten, der im Pressebüro arbeitet. Also gibt es Erfahrungsberichte von Brüdern und Schwestern aus anderen Ländern und Antworten auf die brennendsten Glaubensfragen (Thema des großen Hauptvortrags am Sonntag: "Wie kann man das Ende der Welt überleben?"). Den Kongressteilnehmern wird vor allem Sitzfleisch abverlangt; viele schreiben bei den Vorträgen mit, applaudieren höflich und erheben sich zum gemeinsamen Singen. Mit einer großen Party werden sie dafür zwar nicht belohnt, gemütliches Feiern im Familienkreis an den Kongress-Abenden ist aber schon drinnen.

Die "Sanftmütigen", so ist es dem gedruckten Zentralorgan der Gemeinschaft - dem "Wachtturm" - zu entnehmen, werden dereinst die ganze Erde erben, nach dem Ende der Welt. Wobei man sich dieses Ende der Welt nicht als apokalyptische Auslöschung allen irdischen Daseins vorstellen darf, erklärt Zagler: Die Regierung werde sich im Himmel befinden, Gott (nach der Schlacht "Harmagedon") mit seinem Engelheer die Geschicke des weiterhin existierenden Planeten leiten. Konsequenterweise könne man daher als Zeuge Jehovas auch nicht an Wahlen teilnehmen, sagt Zagler: "Warum soll ich einer Regierung, die sowieso nur die zweitbeste ist, meine Stimme geben?"

Der zentrale Programmpunkt der viertägigen Veranstaltung ist die Taufe von etwa 100 Zeugen Jehovas am Samstag, die zu diesem Zweck in einen mitten im Stadion aufgestellten Pool eintauchen. Mitglied der Gemeinschaft kann man nur nach eingehender innerlicher Prüfung werden. Der jüngste Täufling dieses Wochenende ist erst zehn, was Zagler für eine echte Sensation hält: "Der muss wirklich sehr reif sein."

"Wir verstoßen niemanden"

Wer sich später im Leben gegen den Glauben entscheidet, dem droht die soziale Isolation, auch wenn man Familienbande nach dem Glauben der Zeugen Jehovas nicht auflösen kann. "Wir verstoßen niemanden - diese Personen verstoßen sich selbst", pariert Zagler diese heikle Frage. Im Alltag würden nun einmal viele Anknüpfungspunkte fehlen, wenn ein Familienmitglied die Gemeinschaft verlässt, glaubt er.

Aber daran denkt dieser Tage im Happel-Stadion natürlich niemand. Im täglichen Leben oft belächelt, wird den Teilnehmern hier versichert, dass sie auf dem richtigen spirituellen Weg sind. Außerdem erhalten sie neue verbale Munition für die Missionarstätigkeit, der sie sich in ihrer Freizeit widmen sollen.

Apropos: Sollte es am Sonntagmorgen an der Tür läuten, dann steht diesmal gewiss kein Zeuge Jehovas vor der Tür - aufgrund des großen Kongresses ist Wien dieses Wochenende nämlich ausdrücklich missionierungsfrei. (Andrea Heigl, DER STANDARD Printausgabe, 8./9.8.2009)