Kühle Miene zum gefährlichen Spiel: Ein großartiger Johnny Depp spielt John Dillinger, den meistgesuchten Verbrecher des Landes.

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Standard: "Public Enemies" beruht auf dem gleichnamigen Buch von Bryan Burrough, in dem die Verbrechenswelle in den USA in den 1930er-Jahren mit Bonnie & Clyde, Baby Face Nelson u.a. im Zusammenhang mit der Entstehung des FBI erzählt wird. Warum konzentrieren Sie sich stark auf John Dillinger?

Mann: Er war unter all diesen Gesetzlosen derjenige, der mich am meisten fasziniert. Er hat das Leben geliebt. Seine Lust auf menschliche Erfahrung, auf alles Materielle, auf alles Verchromte - das macht ihn zu jemand Besonderen. Er war nicht "bigger than life" , aber er war intensiver. Natürlich hatte er schwierige Momente zu bestehen, aber er ließ sich nie brechen. Denken Sie an diese Szene im Film: Ganz zum Schluss, kurz bevor die Polizei ihn kriegen wird, geht er noch durch das Chicago Detective Bureau, in dem die Fahndungsfotos aufgehängt sind. Diese Szene ist der pure John Dillinger.

Standard: Seine Fallgeschichte wurde häufig verfilmt. Besonders bekannt ist "G-Men" aus dem Jahr 1935 mit James Cagney - der Film wurde aus der Perspektive des FBI erzählt, auch Bryan Burrough greift auf die Dokumente aus FBI-Archiven zurück. Warum ist dieser Blickwinkel bei Ihnen nebensächlich?

Mann: Weil die FBI-Agenten farblose Leute sind. Dillinger ist derjenige, der am Ende des Films im Biograph-Kino sitzt und Clark Gable auf der Leinwand sieht. Der Hollywoodstar spielt bis zu einem gewissen Grad die Person von Dillinger. Und ich sage Ihnen eines, der Mann muss schon etwas Besonderes gewesen sein, wenn er so zu so einem Nachruhm kommen konnte. Denn Bankraub war schon damals nicht gerade das Verbrechen, vor dem sich alle fürchteten. Nehmen wir Frank Nitti, der im Film auch auftaucht - das war ein neurotischer und genialer Verbrecher. Aber Dillinger war schon 1916 aus der Mode. Er ist ein Bandit aus dem Geist des 19. Jahrhunderts. Er ist obsolet. Burrough weist auch darauf hin, dass Dillinger der letzte der herumziehenden Bankräuber war, nicht der gefährlichste. Deswegen wurde er berühmt, weil er länger durchhielt. Wenn die Regierung aber wirklich die klugen Leute auf deine Spur setzt, dann ist es schnell vorbei mit dir.

Standard: In dem Buch steckt auch so etwas wie eine Parabel auf die US-Gegenwart der Bush-Jahre - eine Regierung rüstet auf gegen einen inneren Gegner und verliert dabei auch das Maß.

Mann: Die Politik spielt nur in der Analyse eine Rolle. Woran liegt es, dass die Bürokratie des FBI scheitert? Zuerst muss man verstehen, dass es historisch falsch ist, J. Edgar Hoover nicht als Innovator und Visionär zu sehen - so wenig ich ihn mag, er hat Großartiges geleistet. Ich kenne Leute, die heute im Konterterrorismus arbeiten - sie tun fantastische Arbeit. Oder die US-Drogenbekämpfung. Es ist kein Zufall, dass nach dem 11. September 2001 alle bei der DEA (Drug Enforcement Agency) anklopften, denn nur dort gab es die sehr ausgeklügelte Human Intelligence, die nun gebraucht wurde. Hoover war seiner Zeit voraus, aber unter den damaligen Umständen scheiterten sie. Sie fanden Dillinger nicht mit ihren wissenschaftlichen Methoden. Sie mussten Leute dazu zwingen, zu Verrätern zu werden.

Standard: Wie kamen Sie auf Johnny Depp für die Hauptrolle - ein Schauspieler, der in dem Franchise "Pirates of the Carribean" populär wurde, aber auch eine ausgeprägt eigenwillige Identität hat.

Mann: Ich mochte ihn in Gilbert Grape, Donnie Brasco, The Libertine - dort sehen Sie den Johnny Depp, den ich vor Augen hatte. Ich habe ihn noch nie emotional entblößt gesehen, aber ich glaube, wir sind ihm zum ersten Mal unter die Haut gegangen.

Standard: Sie arbeiten mit einem Minimum an Psychologie - im Gegenteil hat es den Anschein, als hätten Sie am liebsten alles Individuelle an Dillinger weggelassen.

Mann: Ich wollte eine Vorgeschichte außerhalb des Texts schaffen. Seine Mutter stirbt, als er drei Jahre alt ist. Er sucht nach Liebe. Er hat intensive Gefühlsbeziehungen, kann sie aber von heute auf morgen abbrechen, wenn er jemand verliert. Er ist hart genug, damit zurechtzukommen. Diese Figur wollte ich mit den Ereignissen konfrontieren, daraus entsteht eine Art Fraktal. Ob das funktioniert, muss das Publikum entscheiden. Ich wollte einen intensiv gegenwärtigen Film machen.

Standard: Sie haben auch eine persönliche Beziehung zu Dillinger - durch Ihre Herkunft.

Mann: Ich bin in der Gegend von Chicago aufgewachsen, in der er ums Leben kam. Wir sind ins Biograph-Kino gegangen und haben jedes Mal die große Plakette gesehen: Hier starb John Dillinger. Chicago ist ein sehr brechtischer Platz, hier haben die Menschen einen sehr gesunden Skeptizismus gegenüber Institutionen. Als ich auf diese Tatsache stieß, dass Dillinger keine Vorstellung von der Zukunft hatte, dass er überhaupt keine Pläne machte, da begann ich mich für die kulturellen Umstände der Zeit zu interessieren. Hemingway schrieb damals Death in the Afternoon - ein Dokument des Fatalismus wie nur eines. Diese stürzende Kaskade eines Lebens interessierte mich.

Standard: Auch "Public Enemies" ist, wie viele letzten Filme, auf High-Definition-Video gedreht. Warum?

Mann: Auf 35-mm-Zelluloid hätte es ausgesehen wie ein typisches "period movie" , ein Ausstattungsfilm. Das Publikum wird dadurch unweigerlich auf die Position von Betrachtern auf Abstand festgelegt. Video dagegen lässt alles aussehen, als geschähe es gerade. Es ist nicht so, dass 1933 eigentlich 2009 ist, sondern dass wir ins Jahr 1933 zurückgehen. Wir sind in der Gegenwart von 1933, 1934. Wir sind in dieser Zeit lebendig. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 01./02.08.2009)

 

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