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Fluch oder Segen Pränataldiagnostik?

Foto: AP/Jan Bauer

Es war im März 2008, als der Oberste Gerichtshof (OGH) ein Urteil fällte, das den Arbeitsalltag einer ganzen Berufsgruppe ändern sollte: Eine Frau war gegen ihren Gynäkologen vor Gericht gezogen, nachdem ihr Kind mit einer schweren Behinderung zur Welt gekommen war. Der OGH kam zu dem Schluss, dass die Mutter aufgrund eines Beratungsfehlers um die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs gebracht wurde. „Wenn sich in der pränatalen Diagnostik Hinweise auf eine schwere Behinderung des Kindes ergeben, muss der Arzt die Mutter auf die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs hinweisen", heißt es im Urteilsspruch. Der Arzt muss seither für den vollen Unterhalt des Kindes aufkommen. 

Das Urteil des OGH bedeutet nicht nur eine große Belastung für jene Mediziner, die im Bereich der pränatalen Diagnostik (PND) tätig sind, es stellt auch die Gesellschaft vor die Gretchenfrage: Wie gehen wir mit vorgeburtlichen Untersuchungen um?

Magnetresonanz-Tomographie und Fetoskopie

Die pränatale Diagnostik hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert und weiterentwickelt. Mit der pränatalen Magnetresonanz-Tomographie (MRT) lassen sich selbst minimale Fehlbildungen am Ungeborenen feststellen. Am Bildschirm können Mediziner Körperfunktionen wie Schluck- oder Darmbewegungen, Nieren-, Lungen, oder Hirnaktivität des Fötus beobachten. Anders als beim Ultraschall, lassen sich die Bilder speichern und jederzeit und dreidimensional rekonstruieren.

Und während man vor wenigen Jahren bei Operationen am Ungeborenen noch den Mutterleib öffnen musste, was eine große Belastung für die Schwangere darstellte und häufig zu Frühgeburten führte, arbeiten die Mediziner heute mittels Fetoskopie, einem endoskopischen Verfahren. Medizinische Errungenschaften, die an sich Grund zur Freude sein sollten: Immerhin bestätigt die PND in den meisten Fällen die gesunde Entwicklung des Kindes und hilft dadurch Ängste und Sorgen der werdenden Eltern aus dem Weg zu räumen.

Das perfekte Kind

Doch im Zuge demografischer Veränderungen, steigt mit dem Alter der Eltern bei der Geburt des ersten Kindes, auch das Risiko von Fehlbildungen und hier führt die PND dazu, dass sich immer mehr Eltern gegen die Geburt eines behinderten Kindes entscheiden. „Jeder will ein perfektes Produkt und ein Kind ist schließlich das Produkt einer Beziehung", sagt Ernst Horcher, Vorstand der Kinderchirurgie des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. „Es ist für Laien nicht erfassbar, was ein behindertes Kind für betroffene Eltern bedeutet."

Kinder mit Spaltbildungen in der Wirbelsäule würden heute demnach kaum mehr zur Welt gebracht. Das sei vielfach berechtigt, weil es für das Kind eine schwere Behinderung bedeuten würde. „Wenn ein Kind keine Chance hat, wenn absehbar ist, dass es möglicherweise tot geboren wird, dann ist der Mutter keine Schwangerschaft aufzubürden", sagt Horcher. Andere Fehlbildungen, wie etwa Bauchwandspalten, seien mittlerweile nahezu zu 95 Prozent korrigierbar. Dennoch würde es auch bei derart guten Prognosen zu Schwangerschaftsabbrüchen kommen. „Heutzutage sind Eltern oft schockierter, wenn man ihnen sagt, ihr Kind könnte behindert zur Welt kommen, als wenn man ihnen sagt, es würde sterben", erzählt Horcher. Junge Eltern würden sich eher zu einer Abtreibung entscheiden, als jene, die sich bereits am Ende ihrer Reproduktionsphase befänden.

Wie die Entscheidung ausfällt liegt vor allem auch an der Beratung durch den behandelnden Gynäkologen oder Psychologen in Zentren für pränatale Diagnostik. Die Entscheidung ist eine schwerwiegende und wird von religiösen, ethnischen und nicht zuletzt auch finanziellen Motiven geprägt. „Viele machen sich heute mittels Internet schlau, können aber nicht einordnen, was die Diagnose bedeutet", sagt Horcher. Das mache professionelle Beratung umso wichtiger.

Sicherheit für Mutter und Kind

Die PND dient nicht vorrangig dazu, die Frage zu beantworten, ob man ein Kind austrägt oder nicht: Bei Risikoschwangerschaften etwa, lässt sich dank PND der Zeitpunkt der Geburt steuern. Man muss nicht mehr bis zur 40. Schwangerschaftswoche warten, ehe man einen Kaiserschnitt vornimmt. Durch das Wissen um mögliche Fehlbildungen, lässt sich zudem die Geburt besser planen und zusätzliche Risiken minimieren, indem etwa bei der Wahl des Krankenhauses dessen Ausstattung berücksichtigt wird.

Die pränatale Diagnostik dient also durchaus der Gesundheit und dem Wohl von Mutter und Kind und bedeutet nicht das Todesurteil für das Ungeborene. Immerhin sind es die Eltern, die letztendlich die Entscheidung treffen und nicht die Ärzte. Auch wenn diese aufgrund des OGH-Urteils mehr denn je dazu verpflichtet sind, die Mutter bei Fehlbildungen und schlechten Diagnosen über die Möglichkeit einer Abtreibung zu informieren. Im Urteil heißt es: „Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, dass der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten." (bock, derStandard.at, 03.08.2009)