Grafik: DER STANDARD

Wien - Die Wirtschaftskrise hat den Österreichern bisher nicht die Lust am Einkaufen genommen. Der Einzelhandel musste zwar da und dort Federn lassen, zeigt sich jedoch robuster als erwartet. Im ersten Halbjahr blieb der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr fast stabil. Abbau von Arbeitsplätzen ist kein Thema: Der Handel nahm seit Jänner sogar weitere Mitarbeiter auf, auch wenn die neuen Jobs überwiegend schlecht bezahlte Teilzeitstellen sind, wie die Gewerkschaft einhellig betont.

Der Kassasturz zeigt seit Jänner einen nominellen Umsatzzuwachs von 0,1 Prozent. Um die Inflationsrate bereinigt, gab es ein Minus von 1,9 Prozent, rechnet die KMU Forschung Austria vor, die Kundenfrequenz sank im gleichen Ausmaß.

Das Geschäft sei bisher unterm Strich erstaunlich gut gelaufen, resümiert der Wiener Handelsexperte Leopold Bednar. Dass die Bilanz punktuell ernüchternder ausfalle, ließe sich aber nicht leugnen. Auch nicht, dass derzeit vielerorts völlige Flaute herrsche. Es sei vor allem das Ausbleiben finanzkräftiger Urlauber aus Russland und der Ukraine, das gehobene Händler hart treffe. Von einem Boom, wie er in vielen Innenstadtlagen bei einzelnen Ketten noch bis Jänner herrschte, sei nun nichts mehr zu sehen.

Sorgen bereite dem Handel auch die wachsende Arbeitslosigkeit. In der Industrie drohe mit Herbst eine neue Welle an massivem Jobabbau, ist Bednar überzeugt. Die Folge seien eine höhere Sparquote und starke Konsumzurückhaltung. Für das zweite Halbjahr zeichneten sich regional hohe Geschäftseinbußen ab. Peter Voithofer, Direktor der KMU Forschung, erwartet für das gesamte Jahr ein Minus von 2,5 Prozent.

Dass in vielen Unternehmen die Nerven blank liegen, zeigt die Flut an Rabattaktionen in bislang kaum gekanntem Ausmaß. Die Lager sind voll und das Kapital ist gebunden. Da Banken vor allem kleine Händler an der kurzen Leine halten, versuchen viele, sich über Abverkäufe rasch Liquidität zu verschaffen.

Es sei in Monaten, in denen von Krise keine Rede war, zu großzügig eingekauft worden, sagt Handelsobmann Erich Lemler und spricht von "sagenhaft günstigen Preisen". Die Arbeiterkammer ist von der Rabattkultur dennoch wenig angetan.

Auch wenn Österreicher stärker als andere Nationen von Schnäppchen angezogen würden - es sei der falsche Weg. Sinnvoller wäre es, das Preisniveau insgesamt zu senken, meint Karl Kollmann, Experte für Konsumentenschutz der AK; da liege Österreich nämlich deutlich über dem deutschen. Er kann vor allem dem gängigen Modell, zwei Lebensmittel zum Preis von einem zu kaufen, nichts abgewinnen. Vieles davon lande im Müll. Ohnehin seien die Österreicher zu empfänglich für Verführungen: Eine Studie der AK aus dem Herbst zeigt, dass 29 Prozent der Konsumenten kaufsuchtgefährdet sind. Neun Prozent wiesen bereits ein pathologisches Kaufverhalten auf. Vor allem Frauen zwischen 14 und 24 Jahren seien dafür anfällig: 37 Prozent kompensierten Stress und Frust übers Shoppen, ganze 16 Prozent ließen sich auch von akutem Geldmangel davon nicht abhalten. Therapien bietet etwa das Anton-Proksch-Institut in Wien. Die Arbeiterkammer plädiert für mehr Konsumausbildung schon in der Schule.

Markt polarisiert sich

Eine tiefe Kluft tut sich auch bei den Händlern selbst auf. Die steigende Konsumzurückhaltung treibe den Strukturwandel voran, sagt Voithofer. Schwächelnden Betrieben geht noch schneller die Kraft aus, starke gewinnen Oberwasser.

Gut geschlagen hat sich im ersten Halbjahr der Sportartikelhandel, angetrieben wurde der Absatz vor allem von der langen Wintersaison und vom Radlboom. Völlig ausgelassen hat die Elektrosparte, auch der Schuhhandel verlor weiter an Boden. Quer durch alle Branchen summierte sich der Handelsumsatz der 42.700 Betriebe im ersten Halbjahr auf 22,9 Mrd. Euro.

Einkaufszentren wie die Lugner City sehen ein Rezept für stärkeren Konsum in längeren Öffnungszeiten und plädieren für zwei offene Sonntage vor Weihnachten. Auch Marcus Pichler, Chef der Shopping City Süd, sieht hier einigen Handlungsbedarf. Ein Testlauf sei eine gute Idee, sagt er, heuer ließe so etwas aber nicht mehr auf die Beine stellen. In der SCS, sie ist das größte Einkaufszentrum in Österreich, sind die Umsätze im ersten Halbjahr stagniert. Bis Dezember werde es sicherlich nicht einfacher, sagt Pichler. "Große Sprünge sind heuer für keinen drinnen." (Verena Kainrath, DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2009)