Ein Spielbrett als Lebensweg. Bei "Europoly" kann man sich zum Europäer würfeln oder auch einfach verlieren.

Foto: Standard/Wölfl

Wien - "Du wirst von der Polizei aufgehalten, weil du verdächtig aussiehst. Geh drei Schritte zurück" steht auf der Chance-Karte. Auf der nächsten: "Deine Aufenthaltsbewilligung wird zurückgezogen, weil du den Behörden eine falsche Auskunft darüber gegeben hast, wie du deinen Aufenthalt sichern willst. Geh direkt ins Gefängnis." Wer Europoly spielt, dem kann einiges widerfahren, was niemand erleben möchte. Weil man nicht beweisen kann, dass die Wohnung 20 Quadratmeter für jedes Familienmitglied aufweist, muss man etwa 50 Euro zahlen. Man kann aber auch Glück haben und einen Arbeitsvertrag für ein Jahr bekommen oder die Nachricht, dass das Ansuchen auf Familienzusammenführung genehmigt wurde. Europoly ist ein Spiel, das die Bürokratie, die täglichen Hürden und die vielen Stunden, die ein Migrant damit verbringt, sein Leben in der EU zu organisieren und zu legalisieren, thematisiert. Es ist zwar nur ein gespieltes Leben, dafür aber sehr lebensnah.

Der Belgrader Künstler Dejan Kaludjerović hat mit viel Ironie und aus eigenen Migrationserfahrungen nicht nur einen intelligenten Zeitvertreib gemacht, er schickt die Spieler auch auf eine Reflexionsreise, die noch Tage später zu stundenlangen Diskussionen über Chancengleichheit, Glück und Gemeinheit führen kann. Wer beim Start antritt, willigt nämlich auch ein, um jeden Preis um die begehrte EU-Staatsbürgerschaft zu kämpfen, sich also demütigen zu lassen, vor allem aber auch in Konkurrenz mit anderen zu treten. Europoly funktioniert mehr oder weniger so wie Monopoly: Wer am meisten rafft und am skrupellosesten agiert, hat die besten Chancen. Über Sieg und Niederlage entscheidet aber zum größten Teil der Würfel. Das Glück also oder besser gesagt der Zufall.

Kaludjerović zeigt glasklar, wie entscheidend der Zufall ist, an welchem Ort und in welche Familie man hineingeboren wird. Er hat die Identitäten von 22 Migranten gesammelt und sie fotografiert: Den Arzt, die Putzfrau, den Mechaniker, die Prostituierte. Diese Identitäten kann der Spieler erwerben, in dem er auf das Feld würfelt. Der Drogendealer kostet am wenigsten, der Manager am meisten. Wer den Manager kaufen kann, hat die allerbesten Chancen auf den EU-Pass.

Louis-Vuitton-Tasche am Ende

Wer gewinnen will, muss zunächst eine Aufenthaltsbewilligung, einen Meldezettel und Sprachzeugnisse erwerben, dann vier Jugo-Koffer kaufen und am Ende des Integrationswegs eine Louis-Vuitton-Designer-Tasche. Ich erlebte persönlich, in welchem Ausmaß Einwanderer zwischen verschiedenen Systemen hin und her gerissen sind, in die sie sich integrieren müssen oder die sie verlassen haben", erzählt Kaludjerović, der in Wien lebt. "Ständig lebt man in Sorge, ob die Visumsbestimmungen erfüllt werden können und ob man rechtzeitig die nötige Information und administrative Hilfe bekommt." Sein Spiel zeigt aber auch, dass die EU Identitäten definiert, in dem sie eben die Spielregeln definiert. "Die Mehrheit der Menschen denkt, wenn sie an Europa denkt, an Deutschland oder Frankreich, aber nicht an Moldau oder Albanien", Monopoly bedeutet, dass man über jemanden Macht hat, und die EU hat diese Macht zu entscheiden, wer Europäer ist oder nicht.

Der 37-jährige bildende Künstler plant, Europoly nächstes Jahr als Installation in Wien auszustellen. Für das Spiel wird noch ein Verleger gesucht, jedenfalls dürfte Europoly auch für Politiker oder Beamte im Innenministerium äußerst aufschlussreich sein. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 28.7.2009)