Mit der Macht kommt der Machtmissbrauch: Toni Servillo als Giulio Andreotti, ein Politiker, der sich mit steinerner Miene lange am Ruder hielt.

Foto: Filmladen

Wien - Im Schritttempo kriechen die Limousinen durch das nächtliche, völlig menschenleere Rom. Alarmblinker gehen an und aus, die Blicke der Männer tasten argwöhnisch die Umgebung ab, aus den Fenstern ragen die Läufe von Maschinenpistolen. Ihre Aufmerksamkeit gilt dem Schutz eines untersetzten älteren Mannes, der gedankenverloren den Gehsteig entlang schlendert. Ein wandelnder Widerspruch - die Gestalt wirkt so gewöhnlich, dass man sie ohne Kohorte glatt übersehen würde.

Der Kontrast zwischen dem unscheinbaren Äußeren und der eigentlichen Bedeutung der Person sind für Paolo Sorrentinos Film Il Divo - Der Göttliche bestimmend: Giulio Andreotti, einer der schillerndsten Persönlichkeiten nicht nur der italienischen Nachkriegspolitik, war im Unterschied zu seinem Nachfolger Silvio Berlusconi kein telegener Selbstdarsteller.

Im Gegenteil, setzte der siebenmalige Regierungschef - manchmal währte die Amtszeit freilich nur ein paar Monate - auf eine Strategie des Rückzugs: Unangreifbar wie ein Spinne hockte er im Mittelpunkt der Macht, ein Vollblutpolitiker mit beträchtlichem Stehvermögen. Heuer wurde der Senator auf Lebenszeit 90 Jahre alt. Seine Rolle in Korruptionsaffären und politischen Skandalen - etwa im Fall Aldo Moro, der von den Roten Brigaden ermordet wurde - sowie seine angebliche Verstrickung mit der Mafia geben weiterhin Rätsel auf. Andreotti wurde oft angeklagt, aber nie verurteilt.

Farce und Sittenkomödie

Sorrentino kann und möchte solche Fragen im Rahmen seines Spielfilms nicht klären, sondern lieber provokant mit dem Rätsel dieses Menschen spielen. Statt eines Biopics, das der Karriere Andreottis folgt, oder der Form eines wütenden Pamphlets wählt er einen dritten Weg - den einer Polit-Farce, die mit Einsatz filmischer Verstärkungsmittel arbeitet und dabei Elemente des Mafiafilms, des Politthrillers sowie einer Art Sittenkomödie verbindet.

Das Herz des Films bildet die Verkörperung Andreottis durch Toni Servillo, der für seine tolle Leistung den Europäischen Filmpreis erhielt. Die charakteristische Körpersprache Andreottis, seine fast vollkommene Reduktion gestischer wie mimischer Ausdrücke, steigert er ins Groteske. Sein Andreotti durchwandert die Korridore der Macht wie eine bucklige, vampirhafte Gestalt, die eigentlich gar nichts sagen muss, um zu bewegen: eine Figur, die irgendwann begonnen hat, nur durch ihre negative Aura zu wirken.

Doch natürlich ist Il Divo eine Geschichte des Niedergangs, die sich auch an den Schwächen der Politik weidet - und bisweilen gerät der Film dabei zu sehr zur Kuriositätenschau. Der Film setzt zu Beginn von Andreottis siebenter Amtszeit im Jahr 1991 ein, zu einem Zeitpunkt, wo seine Unantastbarkeit langsam Risse bekommt. Die Protokolle des Regierens, die noch den ersten Teil dominieren, weichen Andreottis Verteidigungskurs, seiner hartnäckigen Gegenwehr.

Der effektgerichtete, immer ein wenig vordergründige Stil Sorrentinos eignet sich insgesamt besser für die Ausstattung der Macht als für deren Analyse. In der Übertreibung eines Politikstils, der nur noch auf Machterhalt aus ist, findet der Film ein Bild für ein System, das entweder vollkommen außer Rand und Band läuft - oder die perfekte Verschwörung ist. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 21.07.2009)