Ein Häuschen "Unter der Linde" und ein Aquädukt hat Alexander Konstantinow vom Papier in den Realraum gehoben.

Foto: Arno Gisinger

Hohenems - Es gibt Wände, Türen und Fenster in Alexander Konstantinows Haus, dennoch dringt Licht, Wind und Regen ungehindert zwischen den rotbraunen Stegen ein: "Unter der Linde" heißt seine Konstruktion auf dem Areal des Textilunternehmens Josef Otten. Baumaterial sind Holz, Stahl, Textil und die jeweiligen Hausgäste -Naturgewalten wie Feuer, Wasser und Wind. Trotz Anklängen an die Elemente und sakralen Proportionen, bevorzugt der russische Künstler persönlich eine banale, zwischen Pathos und Kitsch balancierende Sichtweise auf seine ironischen Architekturfälschungen: "Manchmal wird das Gebäude an eine gigantische Duschkabine erinnern, die über dem Asphalt schwebt".

Konstantinow, 1953 in Moskau geboren, nimmt nicht nur in der Ausstellung des Kunstraums Otten eine Schlüsselposition ein, sondern ist für die Sammlungsentwicklung dessen Betreibers, Wilhelm Otten, ein gutes Stück mitverantwortlich. Initial war ein beruflicher Moskau-Besuch Ottens zu Beginn der 1990er Jahre, in dessen Verlauf ihm ein Atelierbesuch bei Konstantinow vermittelt wurde. Dessen Werk beeindruckte ihn auf Anhieb. An die erste erworbene Papierarbeit erinnert sich Otten noch gut: "Eine Reihe von horizontal liegenden Flächen kommen und enden im Nichts. Man kann hineininterpretieren was man will. Das ist ja das Schöne an der gegenstandsfreien Kunst: Es kann ein Lebensbaum sein, ebenso wie ein endloser Gedanke." Als "Textiler" berühre ihn aber vor allem Konstantinows Zueinandersetzen der Linien - so wie in einem Gewebe: "Sie haben eine Strenge, aber doch etwas Organisches, weil sie mit freier Hand gezeichnet sind. Das kann nur jemand, der große innere Ruhe besitzt."

Diese Begeisterung für textile Anklänge zeigen viele Arbeiten der Ausstellung "Russische Avantgarde. Wurzeln der Sammlung Otten". Eine Sammlung, die über die Faszination für die junge, russische Kunst auch deren historischen Fundamente aus der russischen Avantgarde ergänzte: Arbeiten von Hauptvertretern wie Kasimir Malewitsch, wie etwa eine Zeichnung, die ebenso wie die wohl berühmtesten suprematistischen Gemälde - "Schwarzes Quadrat" und "Rotes Quadrat" - 1915 entstand.

Rodtschenkos wunderbare "Konstruktion Nr. 95" (1919), Kandinskys so genanntes "Aquarell für Gropius"(1922) oder eine, Kandinskys Einfluß atmende Komposition (1920/21) von dessen Sekretär Wassily Bobrow. Dass es sich nur um Werke der "zweiten Reihe" handelt, tut dem Kunstraum keinen Abbruch. Der will schließlich keine Konkurrenz zur Petersburger Eremitage oder Tate Gallery sein, sondern vielmehr die Öffentlichkeit an der Freude des Sammlers für die gegenstandslose Kunst teilhaben lassen. Ganz im Gegenteil: Der intime Rahmen intensiviert den Blick auf die Entwicklung der russischen Abstraktion und setzt überdies spannende Highlights: Pawel Filonow, ein bis heute fast unergründeter Maler des analytischen Konstruktivismus, eine Art Außenseiter-Position, der nur für seine Arbeit lebte und es im Sinne eines Gesamtwerks auch nicht verkaufen wollte.

Besonders macht die Schau, die Gleichwertigkeit die Vertreter der russischen Gegenwart hier genießen. Die Lebendigkeit der Abstraktion unterstreichen sie in frechen Repliken auf Ikonen Malewitschs (Alexander Pankin), konstruktivistischen Collagen (Wladimir Nemuchin) oder feinteiligen Holzschnitten (Wladimir Nasedkin). (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 20.07.2009)

Bis 30. 7.