Die neuenglische Idylle Mount Washington Resort, Bretton Woods (New Hampshire): Hier wurde im Juli 1944 die moderne Finanzwelt geschaffen.

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Drei Wochen dauerte der allererste wirklich internationale Finanzgipfel.

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Massenarbeitslosigkeit, Konzernpleiten, Aktienflaute: Das sind die Schlagzeilen in diesen Tagen. Das letzte Mal wurde die Welt von solch einer schweren Krise Ende des Zweiten Weltkrieges heimgesucht. Im US-Bundesstaat New Hampshire wurde sie bewältigt. Anfang Juli 1944 trafen 730 Vertreter aus 44 Nationen in dem 300-Seelen-Dorf Bretton Woods ein. Es war der erste wirklich internationale Wirtschaftsgipfel überhaupt.

Für Mac McQueen ist es, als sei alles erst gestern gewesen. Fragt man den 73-Jährigen, warum die Konferenz nicht in einer große Metropole stattfand, spricht er zunächst von Sicherheit: Es gibt nur eine einzige Straße, die nach Bretton Woods führt. Im Grunde, meint McQueen, habe man aber vor allem dem bekannten, britischen Volkswirt John Maynard Keynes entgegenkommen wollen: "Er war herzkrank und hätte die Hitze in Washington nie überlebt."

Lebendes Zeugnis der BrettonWoods-Konferenz ist das Mount Washington Resort. Zweimal täglich bietet das Grand Hotel kostenlos historische Touren an. Oft führt Mac McQueen die Gäste herum. Seine Lieblingsstation ist der berühmte "Goldroom" . In diesem Raum besiegelten die Teilnehmer der Konferenz eine neue, weltumspannende Wirtschaftsordnung. "Mit Ausnahme der Russen, die ihre kommunistischen Ideale verfolgen wollten, kamen die Vertreter der anderen Staaten jeweils zu vierzehnt hier hinein, um die Vereinbarung zu unterzeichnen" , sprudelt es aus McQueen hervor. Alles, beteuert er, sei noch genauso wie damals, nur die Gasleitung sei heute abgeklemmt. "Gasleitung?" - "Aber ja doch, denken sie sich nur, es hätte eine Strompanne gegeben" , nickt der Tourguide, stolz, mehr zu wissen, als in den Geschichtsbüchern steht." Deshalb wurden die elektrischen Kronleuchter vorsichtshalber umfunktioniert, dass sie auch mit Gas betrieben werden konnten."

Chinesen gaben Trinkgeld

Draußen verwandelt die Abendsonne das karminrote Dach des Mount Washington in einen Feuerball. Die herrschaftliche Rundum-Veranda gibt Blick auf den hoteleigenen Golfplatz mit seinen 18 Löchern. Börsenexperte Joseph Vaugham versah 1944 dort seinen Studentenjob. Für die Chinesen, die mit 200 Vertretern die zweitgrößte Delegation nach den USA stellten, hat Vaugham bis heute nur gute Worte, denn sie waren die besten Trinkgeldgeber. "Von den anderen Spitzenpolitikern bekamen wir oft gar nichts" , erinnert er sich. "Sie müssen verstehen" , murmelt er, "es waren harte Zeiten, ähnlich wie heute" .

Jetzt hinterlässt die Rezession tiefe Spuren. Jedes fünfte Haus in der Gegend ist von der Zwangsversteigerung bedroht. Jobs sind rar, weil es außer der Landwirtschaft nur ein bisschen verarbeitende Industrie gibt. John Gardiner steht an der Tankstelle. Er redet von seiner in Aktien angelegten Altersvorsorge, die nur noch einen Bruchteil dessen wert ist, was sie einmal war. Er redet von seiner Frau, die einen Gemüsegarten angelegt hat. Sein Dienstauto sei alt und schlucke viel Benzin, sagt der Polizist fast entschuldigend. Eigentlich hätte er ein neues bekommen sollen, doch das Budget wurde gekürzt. Die Gemeinde von Bretton Woods hat noch nicht einmal mehr Geld, um Streusand für den Winter zu kaufen. Man hofft auf weniger Schneestürme. Ausgerechnet der Bundesstaat, in dem das Abkommen unterzeichnet wurde, galt als der selbstbestimmendste der USA. Es gibt weder Einkommen- noch Mehrwertsteuer. Das Staatsmotto: "Frei leben oder sterben" . Die Einwohner von Bretton Woods haben dafür heute nur noch ein müdes Lächeln übrig. Gardiner: "Vielleicht waren wir doch auf dem Holzweg, vielleicht wäre ein bisschen mehr Regierung gut gewesen." (Beatrice Uerlings aus Bretton Woods, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19.7.2009)