Wernher von Braun (re.) mit Walt Disney auf einem Foto aus dem Jahr 1954. Im Hintergrund ist ein Modell der V2 zu sehen.

Foto: Nasa

Von Braun war Chefkonstrukteur der V2, SS-Offizier und Wegbereiter der amerikanischen Vorherrschaft im All.

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Ende der Fünfzigerjahre, ein gutes Jahrzehnt, bevor die "Apollo 11"-Besatzung den Mond betrat, verkörperte Wernher von Braun wie kein Zweiter die amerikanische Hoffnung, im Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum nicht von der Sowjetunion abgehängt zu werden. Der deutsche Raketeningenieur hatte die Titelseiten der wichtigsten US-Zeitschriften geziert und war berühmt genug, dass sein Leben verfilmt wurde. Der Streifen mit Curd Jürgens in der Rolle des Raketeningenieurs lief unter dem Titel Ich greife nach den Sternen. Das war zu kurz geraten, fand der kanadische Kabarettist Mort Sahl und ergänzte: "Aber manchmal traf ich London."

Es war nicht der einzige Beigeschmack. Die Beschimpfungen, die der Film-Braun gegen Hitler ausstößt, wären 1943 selbstmörderisch gewesen. Von Brauns Mitwisserschaft um die mörderischen Umstände, unter denen die von seinem Team entwickelten und getesteten Raketen im KZ Dora-Mittelwerk durch Häftlinge zusammengebaut wurden, sollte erst nach seinem Tod bekannt werden.

Diener des Dritten Reichs 

1944 war von Braun tatsächlich zwei Wochen in Gestapohaft. Ein Spitzel hatte mitgehört, dass er am Endsieg zweifelte. Fürsprecher in höchsten Kreisen verhalfen ihm wieder zur Freiheit. Wernher von Braun war ein treuer Diener des Dritten Reichs, aber kein überzeugter Nazi. Politisch geprägt war er durch seinen deutschnationalen Vater, einen adligen Großagrarier, der kurz vor Hitlers Machtübernahme ein paar Monate Landwirtschaftsminister war. Als Student führte er mit Gleichgesinnten auf einer Berliner Brachfläche Raketenexperimente durch. Dort fiel der Student der Reichswehr auf, weil er Besucher durch Erklärungen zu fesseln verstand. So kam er zur Finanzierung seiner geheim zu haltenden Doktorarbeit über Flüssigtreibstoffantriebe. Noch bevor er 25 wurde, wurden ihm zehn Millionen Reichsmark anvertraut, um an der Ostsee ein Raketenversuchsgelände aufzubauen.

Vor Mitarbeitern schwärmte er von Reisen zu Mond und Mars. Für die Generäle personifizierte er eine neue Generation von Waffen, die eines Tage hunderte Kilometer entfernte Ziele treffen sollten. Von Braun nutzte das Vertrauen der Generäle, um einer der fähigsten Technikmanager des 20. Jahrhunderts zu werden. Dass er mehr war als ein ebenso charmanter wie eloquenter Propagandist der Raumfahrt, der sich aus Begeisterung für seine Raketen den Nazis angedient hatte, wird in seiner bisher gründlichsten und neutralsten Biografie von Michael Neufeld überzeugend herausgearbeitet. Der Chefhistoriker des Air and Space Museum in Washington nennt von Braun darin gar "den Faust des 20. Jahrhunderts".

Spannend liest sich die erste, deutsche Lebenshälfte bis zur Flucht bei Kriegsende ins Grenzland zwischen Bayern und Tirol, wo von Braun seinen jüngeren Bruder Magnus mit dem Rad losschickte, amerikanische Soldaten aufzustöbern und ihnen zu verklickern, dass sich der Chefkonstrukteur der V2 ihnen und zwar nur ihnen ergeben wolle.

Nach 1945 gerät die Lebensgeschichte trockener, musste sich der Überläufer in den USA doch mit Hierarchien, Institutionen, Programmen und politischen Rücksichten herumschlagen. In den Sechzigern trug er die Verantwortung für fast 8000 Leute. Von Braun versuchte, nie ganz den Kontakt zum Material und den Werkbänken zu verlieren. Trotz seiner visionären Ader legte er als Manager Wert darauf, keine Entwicklung zu überstürzen und lieber ein paar Mal zu oft als ein Mal zu wenig zu testen. In seine Zuständigkeit fiel die Entwicklung der "Saturn 7", die schließlich ohne Zwischenfall zum Mond fliegen sollte.

Als ehemaliger Nazi und SS-Offizier war von Braun eine Beförderung an die Spitze der Nasa verschlossen, auch wenn er dies in den Augen der Öffentlichkeit stets war. Doch auch als einer von zehn Abteilungsleitern war von Braun maßgeblich daran beteiligt, John F. Kennedys ehrgeizige Zeitvorgabe für die Mondlandung einzuhalten und die Mittel dafür einzuwerben. Die Ermordung des Präsidenten 1963 half kurioserweise. Damit wurde die Mondlandung, "bevor das Jahrzehnt zu Ende ist", zum unerschütterlichen Vermächtnis.

Ende der Sechziger wurde offensichtlich, dass der Nasa entsprechende Projekte fehlten. Von Braun ließ sich überreden, von Alabama nach Washington zu übersiedeln und eine Planungsabteilung aufzubauen. Er scheiterte. 1972 nahm er eine lukrative Offerte aus der Luftfahrtindustrie an. Ein Jahr darauf wurde bei ihm Nierenkrebs diagnostiziert, dem er 1977 erlag. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Printausgabe, 15.07.2009)