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Leere Autobahn in Großbritannien. Europa habe seine Wahlfreiheit in Bevölkerungfragen verloren, sagt Herwig Birg.

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Vorausberechnung der UNO zum Wachstum

der Weltbevölkerung bis 2050.

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Im Jahr 2050 sollen mehr als neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Nur in Europa wird die Bevölkerung schrumpfen. Welche Auswirkungen dies auf Wirtschaft und Sozialsysteme haben wird und dass "Zuwanderung mehr Probleme schafft als sie löst" erklärt der deutsche Bevölkerungs-wissenschaftler Herwig Birg im Gespräch mit Andreas Bachmann.

derStandard.at: Laut den Prognosen der UN steigt auf allen Erdteilen die Weltbevölkerung bis 2050 an, nur in Europa soll sie sinken. Woran liegt das?

Birg: Europa ist den anderen Kontinenten lediglich um zwei bis drei Jahrzehnte voraus. Auch die anderen Kontinente haben fallende Geburtenraten und nur aufgrund einer jüngeren Altersstruktur wird deren Bevölkerung noch wachsen. Wenn diese Struktur in den anderen Ländern ähnlich wie in Europa wäre, würde die Bevölkerung in allen entwickelten Ländern heute schon sinken – auch in China und etwas später auch in Indien. Man muss unterscheiden zwischen zwei Ursachen der Veränderung: Die eine ist gegeben durch die Geschichte, das ist die Altersstruktur. Wenn in der Vergangenheit viele Menschen geboren worden sind, dann sind jetzt viele im Elternalter. Das ist in allen Kontinenten so, außer in Europa.

Die zweite Ursache ist das Verhalten dieser Menschen, also das Fortpflanzungsverhalten. Und das ist in allen Kontinenten ausnahmslos am Sinken begriffen, auch in weniger entwickelten Kontinenten wie Afrika. Zwar wächst die Bevölkerung noch, aber immer schwächer. Wir haben jetzt 1,2 Prozent Wachstumsrate pro Jahr, in den Siebziger Jahren waren es noch zwei. Das wird in kleinen Schritten immer weiter abnehmen, bis wir Mitte des Jahrhunderts bei 0,3 Prozent sind, also nur noch ein ganz schwaches Wachstum. Im Jahr 2070 wird die Wachstumsrate Null betragen. Das jahrtausendelange Wachstum geht dann in eine Schrumpfung der Weltbevölkerung über.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hat die sinkende Bevölkerungszahl auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der europäischen Länder?

Birg: Wir fallen gemessen am Anteil an der Weltwirtschaftsleistung immer weiter zurück. Die hoch entwickelten Länder Zentraleuropas wie Deutschland oder Österreich werden zwar weiterhin Wirtschaftswachstum haben, aber ein viel niedrigeres als sie es hätten, wenn die Bevölkerung nicht schrumpfen würde.

derStandard.at: In den Ländern, die heute als verlängerte Werkbank der Industrieländer gelten, wird die Bevölkerung weiter wachsen. Das Arbeitskräftereservoir wächst und damit werden auch die Löhne dort tendenziell niedrig bleiben. Das verschärft doch noch einmal den wirtschaftlichen Druck auf Produktionsstandorte in Europa?

Birg: Das wird so sein. Europa muss sich wirklich sehr anstrengen, um seinen Status zu halten. Es ist nicht sicher, ob das gelingen kann. Dazu müssten wir alles, was wir an Ressourcen haben, in die Bildung stecken. Auch in die Bildung der Zugewanderten, die leider viel zu kurz gekommen ist bisher. Aber selbst wenn wir das täten, hätten wir immer noch einen schrumpfenden Kontinent mit bestenfalls befriedigendem Bildungsstand seiner Bevölkerung. Ob das ausreicht, um gegen weiter wachsende Kontinente Stand zu halten, zumal wenn deren Bildungsanstrengungen sich auch verbessern, das weiß kein Mensch.

Ich vermute, es wird nicht nur eine Gewichtsverschiebung zugunsten Asiens geben, sondern die bisherigen Unterschiede im Lebensstandard werden sich drastisch ändern. Vielleicht haben wir dann auch eine große Wanderungsbewegung der europäischen Spitzenkräfte raus nach Asien. Im Moment ist es noch andersherum. Aus Asien wandern jährlich netto zwei Millionen Menschen in die entwickelten Länder. Das ist die Gegenwart, die kann sich auch umkehren.

derStandard.at: Verschieben sich da nicht zwangsläufig auch die politischen Kräfteverhältnisse in Richtung Asien?

Birg: Ja freilich. Es ist ja längst klar, dass die nächste Weltmacht entweder China oder Indien sein wird und nicht mehr die USA. Die nächste Weltmacht wird nicht nur wie heute auf ökonomischem Gebiet die Nummer Eins sein, sondern auch auf demografischem. Das kann die USA dann nicht mehr sein, sondern China oder Indien. Solange ist das gar nicht mehr hin. Diesen Wandel der Gewichte werden die Jüngeren noch erleben. Das ist unwiderruflich, und zwar durch die demografischen Weichen, die in der Vergangenheit gestellt wurden.

derStandard.at: Wie glaubwürdig sind solche Prognosen und in welchem Maße kann man wirklich mit ihnen arbeiten?

Birg: Sie waren lange Zeit sehr unglaubwürdig. Da gab es massive Kritik aus der Wissenschaft. Die UNO revidiert als Konsequenz daraus alle zwei Jahre die Berechnungen neu, so dass sie jetzt viel realistischer sind als früher. Interessant ist aber, dass die UNO für Österreich ein weiteres Bevölkerungswachstum prognostiziert. Das wäre auch mal einen Kommentar wert, welche Annahmen dahinter stehen, dass die Geburtenrate von jetzt 1,3 bis 1,4 Kinder bis zur Jahrhundertmitte auf 1,76 steigen soll. Da muss schon schon einiges passieren, damit das so kommt. Ich halte das für unrealistisch, vor allem wenn die Weltwirtschaft weiter krisenhaft bleibt.

derStandard.at: Worauf beruht dann die Annahme, dass die Geburtenrate hierzulande steigt?

Birg: Die Daten und Annahmen der UNO sind tendenziell optimistisch. Die Mitgliedsländer achten immer darauf, dass für sie möglichst erträgliche Vorausberechnungen herauskommen. Die kann man aber bezweifeln. Für Afrika beispielsweise wird ein Rückgang der Geburtenrate von 4,6 auf 2,4 erwartet. Und für die am wenigsten entwickelten Länder wird ebenfalls fast eine Halbierung unterstellt. Das ist nicht auszuschließen, aber es setzt voraus, dass die Geburten begrenzende Politik in diesen Ländern ziemlich erfolgreich ist und die wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft. Also auch hier ist ein gewisser Optimismus in den Annahmen, das muss nicht so kommen.

Wir sind aber auch zu einem gewissen Optimismus verurteilt. Denn sonst führt es zu den berühmten, sich selbst erfüllenden negativen Prophezeiungen. Wenn man weniger positive Urteile abgibt, dann wäre die Konsequenz eine schlechtere Entwicklung. Man nimmt also an, dass die Politik so erfolgreich sein wird, wie man sich das wünscht. Ob das so sein wird, ist aber fraglich.

derStandard.at: Ließe sich mit einer schrumpfenden Bevölkerung nicht wunderbar Massenarbeitslosigkeit bekämpfen?

Birg: Teilweise schon, aber nicht auf Dauer. Denn die Schrumpfung hat ja auch negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Man muss da die direkten Effekte auf den Arbeitsmarkt von indirekten auf das Wirtschaftswachstum unterscheiden. Am besten wäre für den Arbeitsmarkt eine brummende Wirtschaft. Die Wachstumsraten werden aber seit Jahrzehnten ständig kleiner. Damit ist auch die Nachfrage nach Arbeit kleiner und es kann passieren, dass wir trotz schrumpfender Bevölkerung und Arbeitskräfterückgang eine hohe Arbeitslosigkeit behalten.

derStandard.at: Muss sich Europa als Konsequenz daraus aktiv um Zuwanderung bemühen?

Birg: Die übliche Sichtweise ist, dass Zuwanderung die Probleme löst. Aber wenn Zuwanderung mehr Probleme schafft, als sie löst, ist sie kritisch zu sehen. Europa als Ganzes schafft es nicht in genügend rationaler Form, Zuwanderung zu steuern. Wir haben eine immer größere illegale Zuwanderung, die sich naturgemäß keinen Selektionskriterien beugt. Wie im Falle von Spanien und dessen Agrarwirtschaft, wo in chaotischer Weise immer wieder die illegal Zugewanderten amnestiert werden müssen, um die Gesellschaft einigermaßen stabil zu halten. Wir müssten eine sehr ausgefeilte, wirtschaftlich, demografisch regional abgestimmte Einwanderungspolitik betreiben, aber wir tun es nicht.

derStandard.at: Müsste man nicht den Menschen, die Europa aus anderen Erdteilen braucht und auch denen, die schon hier sind, mehr Bildungschancen geben? Also noch mehr Integration versuchen?

Birg: Freilich, sie müssten, sie müssten. Aber ob jemand in der Schule, am Arbeitsplatz und beim Lebenseinkommen Erfolge hat, ist vor allem in Deutschland und Österreich in erster Linie abhängig vom Elternhaus. Da können sie dann noch so viele Chancen in der Schule oder anderen Bildungseinrichtungen bieten. Wenn das Elternhaus desinteressiert oder bildungsfeindlich ist, wird das keinen Erfolg haben. In der deutschen Bevölkerung haben 1,4 Prozent keinen Schulabschluss, unter den Zugewanderten haben 8 Prozent keinen Abschluss und unter den Türkischstämmigen bei den Männern 17 und den Frauen 26 Prozent. Das kann man nicht einfach durch Federstriche aus der Welt schaffen, da helfen auch keine Integrationsgipfel.

Die falschen Weichenstellungen in der Vergangenheit können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Politik ist ziemlich hilflos, sie gibt vor, etwas zu gestalten, beschönigt aber in Wahrheit nur. Die Wünsche sind das eine, aber die Fakten das andere. So wurde in Deutschland jahrelang behauptet, dass die türkische Bevölkerung viele Arbeitsplätze in Kleinbetrieben schafft, die dann auch der deutschen Arbeitnehmern zugute kommen. Das ist ein Unsinn, das stimmt gar nicht. In den neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes kommt das Gegenteil heraus: Die Quote der Selbstständigen ist bei den Deutschen höher als bei den Türken.

derStandard.at: Wie lebt es sich damit, dass Sie damit Demagogen in die Hände spielen, die ständig vor Überfremdung warnen?

Birg: Es lebt sich sehr schlecht damit, aber was soll ich machen? Soll ich den Griffel weglegen, weil andere die Ergebnisse meiner Arbeit missbrauchen können? Sollen wir aufhören, Physik zu betreiben, weil im Iran irgendjemand aufgrund physikalischer Erkenntnisse eine Atombombe bauen könnte? Diese Frage stellt sich immer. Es ist vernünftiger, den Missbrauch der Wissenschaft zu verhindern, anstatt sie zu gängeln. Ich bin auch ein gebranntes Kind in dieser Richtung. Aber ich kann nicht das Nachdenken einstellen, nur weil es Idioten auf der Welt gibt.

derStandard.at: Sollte sich ein nationalistisch eingestellter Politiker also eher um die Bildung kümmern als darum, wie man Zuwanderung begrenzt?

Birg: Um die Bildung in jedem Fall. Bei der Zuwanderung habe ich eine eigene Vorstellung davon, was eine gute Zuwanderungspolitik wäre. Es sollte in regelmäßigem Abstand von zwei bis drei Jahren im Parlament zwei Zuwanderungskontingente festgelegt werden. Das eine ist ein humanitäres Kontingent, bei dem nicht selektiert wird. Da kommen dann so viele ins Land, wie es das Parlament beschlossen hat. Das wären die bisherigen Asylbewerber plus alle anderen Formen von Diskriminierung, die es in der Welt gibt und eine Flucht begründen können. Ein zweites Kontingent sollte für Menschen beschlossen werden, die nicht verfolgt, die hochqualifiziert sind und die aus wirtschaftlichen Interessen ins Land geholt werden.

Aber dabei habe ich grundsätzliche Bedenken. Denn diese Art von Einwanderung wäre eine Art von neuem, demografischem Kolonialismus. Wir würden damit den Herkunftsländern das Beste entziehen, was sie haben – und das auch noch zum Nulltarif. Das kann man schon bei Rohstoffen nicht gutheißen und erst recht nicht beim Humankapital. Das wäre aus meiner Sicht nur vorübergehend erlaubt, um die Demografie wieder in Ordnung zu bringen und nicht angewiesen zu sein auf die Besten im internationalen Wettbewerb mit anderen Ländern. Aber wir haben nicht einmal eine Diskussion in diese Richtung. Es ist also absolut unwahrscheinlich, dass so etwas passiert. Der Karren wird in die seit Jahrzehnten als falsch erkannte Richtung weiterlaufen.

derStandard.at: Sie sprechen immer wieder von einer demografischen Falle, in der Deutschland stecke. Gilt das inzwischen für ganz Europa und was bedeutet das?

Birg: Es gilt tendenziell für Europa als Ganzes, aber nicht für alle Länder. Es gibt Ausnahmeländer wie Frankreich, teilweise auch England und die skandinavischen Länder. Frankreich hat ja noch wachsende Bevölkerung und Geburtenüberschüsse und es hat noch die Wahl, ob es in die Schrumpfung übergehen oder weiter wachsen möchte. Wir haben die Wahl nicht mehr, die hatten wir vor 30 Jahren. Europa als Ganzes ist ein Ausnahmekontinent, der seine Wahlfreiheit in dieser Frage verloren hat.

Die Politik müsste, wenn sie ehrlich ist, den Wählern sagen, dass sie es versäumt hat, vor 30 Jahren etwas zu tun. Jetzt macht sie der Bevölkerung notgedrungen ein X für ein U vor. Es wird gesagt, es gebe nur noch Chancen durch diese Entwicklung, von Risiken ist kaum noch die Rede. Das mag ja teilweise sogar stimmen. Wir haben durchaus wirtschaftliche Chancen aufgrund der alternden Bevölkerung, indem wir neue Gesundheitseinrichtungen oder Altenheime schaffen. Nur wächst auch die ältere Bevölkerungsgruppe nicht ewig. Das Durchschnittsalter nimmt zwar ständig zu, erreicht aber ab 2050 einen Gipfelpunkt, danach bleibt es auf hohem Niveau konstant. Die Schrumpfung geht aber weiter, sogar immer schneller. Dann werden also auch Altenheime geschlossen werden müssen. Das wird völlig ausgeblendet von der Politik. Das lesen sie nirgendwo, das hören sie nirgendwo, das ist ein Tabu.

derStandard.at: Werden die Europäer in Zukunft Verzicht üben müssen?

Birg: Das tun sie bereits seit Jahren, und das wird sich aus folgendem Grund fortsetzen: Die Schrumpfung und Alterung wirken sich darin aus, dass sich die Gesellschaft in Interessengruppen aufspaltet. Die Kluft zwischen den Menschen, die Kinder haben und denen, die keine haben, wird ein Topthema sein. Die Verfassungen der europäischen Länder gehen ja implizit davon aus, dass die Gesellschaft mehr oder weniger von allen getragen wird und das sich alle an der Aufrechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme beteiligen. Das geht aber nur, wenn auch Beitragszahler nachwachsen.

Es genügt nicht, wenn nur Beiträge gezahlt werden, aber keine ausreichende Zahl von nachwachsenden Beitragszahlern erzogen werden. Menschen mit und ohne Kinder haben die gleichen Rechte auf Versorgung bei Alter, Krankheit und Pflege, aber sie leisten nicht die gleichen Beiträge. Vielleicht die gleichen monetären Beiträge, nicht aber die gleichen generativen Beiträge in der Form der Erziehung von Beitragszahlern. Interessengegensätze entstehen auch zwischen den Regionen. Obwohl das Land als Ganzes schrumpft, wachsen einige Regionen infolge von Wohnortverlagerungen auf Kosten anderer Regionen weiter.

derStandard.at: Geringe wirtschaftliche Entwicklung zieht hohes Bevölkerungswachstum nach sich, während hohe Entwicklung zu Schrumpfung führt. Bedeutet das, indem man soziale Standards zurückschraubt, klappt es wieder mit dem Bevölkerungswachstum?

Birg: Eben nicht. Der Zusammenhang gilt nicht in beide Richtungen. Jedenfalls haben wir das noch nicht erlebt. Vielleicht kommt das, wenn die Menschen in Deutschland oder Österreich um 2060 merken, dass der Staat an ihrem sozialen Status nicht wirklich etwas verbessern kann und sich auf andere Dinge besinnen, so wie die Amerikaner. Die hatten noch nie die Situation, dass der Staat ihnen hilft, wenn alle Dämme brechen. Deshalb haben wir in den USA eine ganz andere Geburtenrate von zwei Kindern pro Frau. Es ist in Europa nicht zu erwarten, dass die Leute jetzt den Schluss ziehen: Der Staat kann mir nicht helfen und es gibt nur die Familie, auf die ich mich wirklich verlassen kann, alles andere ist riskant. Da muss noch viel mehr Erfahrung in der Gesellschaft angehäuft werden, damit den Leuten das dämmert.

derStandard.at: Das heißt, Familien zu stärken kann ein Ausweg sein. Sie fordern ja schon seit längerem, dass Eltern bei Jobvergabe bevorzugt behandelt werden. Bedeutet das nicht eine Diskriminierung von Kinderlosen?

Birg: Warum? Es ist niemandem verboten, Kinder zu haben. Das ganze Leben ist eine einzige Selektionsmaschine. Das ist nichts Ungerechtes, das ist das Unabwendbare. Wenn sie keine Unterschiede machen, dann ist das eher eine lebensfeindliche Einstellung, als wenn sie Unterschiede erkennen, wahrnehmen und – soweit sie erträglich sind – dann auch leben. Ich sage ja nicht, dass alle Kinderlosen schlechter dastehen sollen, als Menschen mit Kindern. Sondern nur, dass bei der Besetzung von Arbeitsplätzen unter gleich Qualifizierten diejenigen Vorrang haben sollen, die Kinder haben oder durch Pflegeleistungen Familienlasten tragen. Die Pflege von Eltern würde ich als gleichrangig mit der Erziehung von Kindern sehen.

derStandard.at: Das steht doch aber dem entgegen, was von den 68ern angestoßen und während der Siebziger Jahre durch den Ausbau des Sozialstaates ermöglicht wurde: Dass die Frage, ob man Kinder haben möchte, eine individuelle Entscheidung des Einzelnen ist und keine Notwendigkeit oder gesellschaftliche Verpflichtung.

Birg: Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist frei und soll frei bleiben. Geändert werden soll nur der Umstand, dass die Lasten der freien Entscheidung gegen Kinder von jenen getragen werden, die Kinder haben. Heute ist es so: Von Kindern profitiert, wer keine hat. Das ist alles andere als eine soziale Errungenschaft. Die sozialen Sicherungssysteme hängen ja gerade davon ab, dass Beitragszahler nachwachsen. Das ist eben der Witz: Wegen der vielen freien Entscheidungen gegen Kinder brechen die sozialen Sicherungssysteme zusammen. Das sollte inzwischen jeder verstanden haben. Die 68er waren so desinteressiert an Fakten und so fixiert auf Ideologien, dass sie das heute noch nicht kapiert haben. Ich kann das als 68er beurteilen. (derStandard.at, 13.7.2009)