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Ubuntu-Gründer Mark Shuttleworth

Mit dem Fokus auf leichte Benutzbarkeit und eine schlanke Softwareauswahl hat sich Ubuntu in den letzten Jahren zur unumstritten meist verbreiteten Linux-Distribution im Desktop-Bereich gemausert. Ein Name steht für das Projekt wie kein anderer: Der Südafrikaner Mark Shuttleworth ist nicht nur Gründer und  Chef des hinter Ubuntu stehenden Softwareherstellers Canonical, ohne ihn wäre Ubuntu in seiner jetzigen Form kaum denkbar, schießt er der Entwicklung bis heute doch massiv Finanzmittel aus der eigenen Tasche zu. Im Rahmen des Gran Canaria Desktop Summit hatte Andreas Proschofsky die Gelegenheit das folgende Interview mit Shuttleworth zu führen, und dabei aktuellen Entwicklungen rund um die Linux-Distribution etwas genauer nachzuspüren.

Das Interview gibt es auch im englischsprachigen Original

derStandard.at: Als wir uns im vergangenen Jahr unterhalten haben, haben Sie angekündigt, dass Canonical sich künftig stärker bei der Verbesserung der User Experience des Linux-Desktops engagieren will. Wie erfolgreich war dies bislang?

Mark Shuttleworth: Ich denke für unser erstes Jahr waren wir durchaus erfolgreich. Wir haben innerhalb der Firma zwei neue Teams gebildet. Ein Design-Team mit rund acht Leuten, und eines, das sich um Upstream-Desktop-Technologien kümmert, hier sind derzeit fünf oder sechs Leute beschäftigt, beide werden aber noch weiter ausgebaut. In Ubuntu 9.04 haben wir bereits einige interessante Neuerungen integriert, manches davon durchaus kontroversiell, wie das neue Benachrichtigungssystem. Aber prinzipiell ist  das ganz gut gelaufen.

Wir versuchen dabei alles sowohl für GNOME als auch für KDE zu entwickeln, entsprechend haben wir sowohl GTK+ als auch Qt-Entwickler angestellt. Das Benachrichtigungssystem hoffen wir bereits mit Kubuntu 9.10 auch im KDE zu haben, in Zukunft soll dann immer alles gleichzeitig auf beiden Plattformen verfügbar sein.

Zusätzlich nehmen wir - wenn auch noch aus einer gewissen Distanz - an der GNOME Shell-Entwicklung teil. Unser Design-Team war Teil des User Experience Hackfests, in dem die grundlegenden Prinzipien von GNOME Shell festgelegt wurden. Momentan haben wir aber noch keine Entwickler fix für die GNOME Shell abgestellt.

Ich selbst habe in den letzten zwei Wochen einiges an Zeit damit verbracht Vertreter der PC-Industrie zu treffen und ihnen zu zeigen, woran wir gerade so arbeiten. Sie waren dabei durchwegs begeistert davon, dass sich mittlerweile ein recht klares Bild davon abzeichnet, was der Linux-Desktop in den nächsten zwei Jahren liefern könnte. Es ist offensichtlich, dass alle darauf warten, dass sich der Linux-Desktop von der Zielgruppe der technikaffinen Nutzer mehr zu einem endbenutzerfreundlichen System entwickelt.

derStandard.at: Was haben Sie dabei vorgezeigt? Die GNOME Shell oder andere aktuelle Entwicklungen?

Shuttleworth: Nein, dabei ging es um Dinge, die unser Design-Team sowohl für den Desktop, als auch für Netbooks und Moblin kreiert hat. Vieles von dem, was wir so machen, ist vollkommen öffentlich, wie etwa die "100 papercuts" oder die Design-Verbesserungen, die wir bei Anwendungen wie F-Spot, Empathy, Pidgin, Thunderbird und Co. vornehmen. Aber manche unserer Aktivitäten sind zunächst noch unter Geheimhaltung, Arbeiten, die wir gemeinsam mit Partnern vornehmen. Wenn wir es dann aber veröffentlichen wird es natürlich Open Source sein.

derStandard.at: Betrachtet man die aktuellen Schwierigkeiten bei X.org und vor allem das Fehlen eines vernünftigen Release Managements: Wäre das nicht eine Investitionsmöglichkeit?

Shuttleworth: Es gibt diese Vorstellung, dass man mit Geld alle möglichen anstehenden Probleme lösen kann,  meiner Erfahrung nach, ist das aber ein Trugschluss. Beim Release Management sind es schlussendlich die Entwickler selber, die den meisten Einfluss auf den Veröffentlichungszeitpunkt haben. Beim Kernel hat man diese Probleme mittlerweile hinter sich gebracht, dort gibt es nun ein sehr gutes Release Management, aber das resultiert aus einer starken Führungspersönlichkeit.

Wenn die Community ein Problem mit X hat, sollte sie dies den Entwicklern klar machen. Dabei wird man aber schnell herausfinden, dass es einfach so ist, dass die Entwickler so begeistert von den aktuellen Fortschritten sind, dass sie ein bisschen den Blick darauf verloren haben, wie ihr Code in einer Distribution landet, wie er auf den Desktops der User ankommt, schließlich benutzen sie selbst ja meist den aktuellsten Stand aus der Codeverwaltung.

derStandard.at: Im Nachhinein betrachtet: Hätte man etwas anders machen können, um die Probleme mit dem Grafikserver in Jaunty abzufedern?

Shuttleworth: Um das klarzustellen: Es gab nur ein wirklich schwerwiegendes Problem im Zusammenhang mit X, und das auch nur mit der Hardware eines einzelnen Herstellers. Und sobald klar war, dass es hier ein Problem gibt, hat sich der Hersteller diesem aktiv gestellt, er hat uns direkten Zugriff auf die Entwickler gegeben, es gab hier ein echtes Bedürfnis die Situation zu lösen. Man sollte vielleicht noch herausstreichen, dass der betreffende Hersteller - Intel - massiv in die Weiterentwicklung von X investiert. Insofern wäre es wohl verfehlt zu sagen, dass Intel all diese Probleme verursacht hat, wenn sie eigentlich gerade dabei sind entscheidende Verbesserungen an X vorzunehmen.

derStandard.at: Für den April 2010 steht wieder eine Long-Term-Support-Release (LTS) an, GNOME 3.0 sollte knapp davor herauskommen. Ist das unter diesem Blickpunkt wirklich ein glücklich gewählter Zeitpunkt?

Shuttleworth: Nun - das ist eine sehr spannende Frage. Der Kern ist hier doch: Wie geht man mit einer Situation um, in der eine Distribution eine Langzeit-Release veröffentlicht, und die Upstream-Projekte einen anderen Zeitplan haben. Ich denke es lohnt sich hier zu fragen: "Ist es für die Projekte wertvoll, wenn es solche Langzeit-Releases gibt?" Ein Punkt, dem eigentlich jeder zustimmt, die Frage ist dann nur wann man solche Releases vornimmt. Bis jetzt gab es hier keine klaren Strukturen, ich denke in Zukunft wird sich das ändern.

derStandard.at: Das wäre dann also die Idee eines "Meta-Release-Zyklus?

Shuttleworth: Ja. Kurze und lange Release-Zyklen ineinander verschachtelt. Die wirklich große Neuigkeit ist dabei, dass wir in dieser Frage bereits sehr gute Gespräche mit dem Debian Release-Team geführt haben. Bei Debian hat man sich dieser Idee gegenüber äußerst aufgeschlossen gezeigt. Das Ziel ist nicht ein gemeinsames Release-Datum sondern ein einheitlicher Freeze-Termin. Zu diesem Zeitpunkt würden wir uns dann zusammensetzen und uns all die größeren Bestandteile anschauen, um schließlich gemeinsam zu entscheiden, welche Major-Release wir von welchem Paket nehmen - und daran dann gemeinsam zu arbeiten. Wir müssen uns dabei nicht unbedingt auf wirklich jede einzelne Komponenten einigen, aber alleine schon die Gespräche sollten für die Upstream-Projekte eine ziemlich nützliche Information darstellen.

Die LTS wird dann entweder Ubuntu 10.04 oder 10.10 sein - je nachdem wie die Gespräche zwischen Debian und Ubuntu ausgehen. Wir geben also ein bisschen unserer eigenen Kontrolle darüber auf, wann die LTS sein wird, Debian macht das selbe, das gemeinsame Resultat sollte es aber Wert sein. So geben wir den Upstream-Projekten einen guten Grund sich zu überlegen "Lasst uns diese ganzen großen Änderungen noch verschieben, wenn wir wollen, damit die Debian und Ubuntu Major-Releases problemlos ablaufen".

Natürlich kann man sich fragen, warum sich die Upstream-Projekte um Debian und Ubuntu scheren sollten, das wichtigste wird aber ohnehin sein, mehr Distributionen von den Vorteilen dieses Meta-Zyklus zu überzeugen. Was meiner Meinung daraus resultieren könnte, ist, dass es in der Open Source Community künftig zum "guten Ton" gehört, dass Projekte einen kurzen Release-Zyklus, in dem schnelle Innovationen vorangetrieben werden können, haben, seien es drei, seien es vier, seien es sechs Monate. Und dann wird es aber auch noch einen längeren Zyklus von zwei Jahren geben. Wenn  uns das tatsächlich gelingt, dann wäre die allgemeine Teil Ihrer Frage beantwortet.

derStandard.at: Aber kommen wir auch noch mal auf den spezifischen Fall zurück...

Shuttleworth:  Nun, wir haben durchaus gute Beziehungen zu den Upstream-Projekten. Sobald wir wissen, wie sich das mit Debian entwickelt, können wir uns mit den Projekten zusammensetzen. Dann können wir sagen "Seht mal, wir haben dieses Release-Datum, wir haben diesen gemeinsame Freeze-Zeitpunkt, was ist euer Rat? Sollen wir die ältere Version ausliefern, oder ratete ihr uns die neuere zu nehmen und helft uns dann auch beim Ausbügeln der Fehler?" Das ist also in Wahrheit nicht unsere Entscheidung, sondern die der einzelnen Projekte.

Es wird natürlich immer Leute geben, die sagen: "Ihr werdet bald eine auf fünf Jahre unterstützte Release herausbringen, also baut bitte GNOME 3.0 ein, das 'coole, neue Ding'." Aber die selben Leute würden eventuell auch sagen: "Nehmt die GNOME Shell, aber nur als Alternative - nicht als Default".

derStandard.at: Wäre es für Ubuntu angenehmer, wenn GNOME 3.0 verschoben werden würde?

Shuttleworth: Nein, überhaupt nicht. Die GNOME 3.0-Arbeiten sollen nach dem vorgesehenen Zeitplan verlaufen, das wollen wir nicht beeinflussen. Viel wichtiger ist es eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, was wir in der LTS ausliefern sollen. Es wäre ja auch nicht im Interesse der Entwickler, wenn wir etwas an 10 Millionen User ausliefern, was noch nicht wirklich fertig ist, es sind schließlich ihr Ruf und ihre Reputation, die darunter leiden.

derStandard.at: Was halten Sie von den für GNOME 3.0 vorgeschlagenen Änderungen, im speziellen von der GNOME Shell?

Shuttleworth: Zunächst mag ich mal festhalten, dass erfrischend ist, den Willen zum Bruch mit der Vergangenheit zu sehen, man muss offen für Neues sein, um wirklich Innovatives bieten zu können. Was GNOME gezeigt hat, ist, dass man innerhalb des Open Source Ökosystems kurze Release-Zyklen haben kann und doch Innovationen Stück für Stück in einer sehr gut wartbaren, stabilen Art abliefern kann. Was KDE4 demonstriert hat, ist, dass man sich auch einmal hinsetzen kann und wirklich interessante, grundlegende  Umbauten durchführen kann. Meine Hoffnung ist, dass GNOME3 beide Erkenntnisse zusammenführt, so dass wir eine gelungene neue Release sehen sowie kontinuierliche Verbesserungen und Weiterentwicklungen.

Momentan wäre es aber auch noch zu früh, um über die GNOME Shell ein endgültiges Urteil abzugeben. Ich war damals ja dabei, als die GNOME Shell bei einem Hackfest in Boston entworfen wurde und bin davon überzeugt, dass das grundlegende Konzept und die Herangehensweise die richtige war und ist. Erst wenn die User das wirklich benutzen wird vieles von dem, was damals nur Striche auf einer Tafel waren, klarer werden.

Ich empfinde das jedenfalls als sehr wichtige Arbeit, und ich denke, dass wird wirklich super für GNOME, aber ich glaube auch, dass sich die GNOME Shell noch ein ganzes Stück verändern wird, bevor die Benutzer wirklich sagen "Das ist großartig".

derStandard.at: Gibt es etwas, das Ihnen bei der Vision für GNOME3 abgeht?I

Shuttleworth: Anfänglich gab es einige Diskussionen über einen Punkt, der viel weniger sichtbar ist, und dass war die Frage wie Dateien besser organisiert werden können - ich habe damals auch darüber gebloggt. Ganz ehrlich denke ich, dass das eigentlich für die User Experience am GNOME Desktop der wesentlich größere Fortschritt sein könnte, wenn hier eine vernünftige Lösung gefunden wird. Ich bin ja in der letzten Zeit selbst zunehmend in die Usability-Arbeite bei Canonical eingebunden, und habe dabei verblüfft festgestellt, dass viel Benutzer einfach nicht mit Dateien und Ordnern umgehen können. Das ist wirklich etwas, das im Moment für praktische niemanden wirklich vollständig funktioniert. Das gilt speziell für den Linux Desktop, wo jede Anwendung so ihre eigene Vorstellung davon hat, wo sie die eigenen Dateien abspeichern soll. Besonders kritisch ist es dann, wenn man Content in einer Anwendung hat, den man man in einer anderen öffnen will. Wenn also etwas als E-Mail-Anhang kommt, man es abspeichert und in einem anderen Programm wieder aufmachen will - das schaffen die wenigsten. Es ist verblüffend wie schlecht diese Bereich im Moment funktioniert. Deswegen haben wir uns dazu einiges überlegt, aber die Community hat das nicht aufgegriffen. Es ist sicher nicht so "sexy" wie die optischen Neuerungen, aber ich denk es wäre wirklich wichtiger. Das heißt keineswegs, dass die GNOME Shell nicht wichtig ist, aber hier hätte es eine echte Chance gegeben. Und wenn ich mir ansehe, wo die User verzweifeln, dann ist das nicht bei der Fensterverwaltung, dann ist das nicht beim Starten von Anwendungen, das ist bei der Frage "Wo ist mein Zeug?"

derStandard.at: Aber ist das nicht ein Problem, auf das bisher niemand eine brauchbare Antwort gefunden hat - Mac und Windows inklusive?

Shuttleworth: Klar. Aber wenn wir das richtig hinbekommen würden, wäre das eine echte Chance, die Wahrnehmung des Linux-Desktops grundlegend zu verändern, weil die Leute einfach immer leicht das finden könnten, wonach sie suchen.

derStandard.at: Wie wichtig sind ein guter Look, ein nettes Theme für den Linux Desktop?

Shuttleworth: Nun - der erste Eindruck zählt, insofern ist das ziemlich wichtig. Aber das ist auch etwas, das nicht so ohne weiteres gut hinzubekommen ist. Wir beschäftigen mittlerweile einen Entwickler, der ein Experte für Theming-Techniken ist, um die Möglichkeiten in diesem Bereich grundlegend auszuloten. Um herauszufinden, was sich beim visuellen Auftreten der Anwendungen verbessern lässt, etwas das bisher weitgehend vernachlässigt wird.

derStandard.at: Selbe Frage, nächstes Jahr: Wird es in der nächsten Ubuntu-Release ein neues Theme geben?

Shuttleworth: Bevor man kein klar definiertes Ziel hat, ist es besser bei dem zu bleiben, was man hat, nicht war? Ich weiß, ich habe das in der Vergangenheit schon einmal gesagt, was meiner Glaubwürdigkeit in diesem Bereich nicht unbedingt zuträglich ist, aber wir sind langsam in einer Position, wo ich ein gutes Gefühl habe, dass wir das schaffen.

derStandard.at: Aber auf eine fixe Release wollen Sie sich nicht festlegen?

Shuttleworth: Wir werden definitiv ein neues Theme für die nächste LTS haben.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky [@suka_hiroaki auf Twitter], derStandard.at, 12.07.2009)