Zur Person

Hans Joachim Schellnhuber ist seit 1993 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er berät unter anderem die deutsche Bundesregierung und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.

Die Einigung beim G-8-Gipfel in L'Aquila auf die Begrenzung der Erderwärmung sei ein ungeheurer Fortschritt, sagt der führende deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber zu András Szigetvari.

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STANDARD: Die G-8 haben sich auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad geeinigt. Sind das Lippenbekenntnisse, oder ist das ein Meilenstein im Klimaschutz?

Schellnhuber: Bisher haben sich die USA dem Zwei-Grad-Ziel nicht anschließen können, dass sie das nun tun, ist ein gewaltiger Fortschritt. Denn die Frage, auf welchen Temperaturanstieg die Erderwärmung begrenzt wird, ist der entscheidende Punkt beim Klimaschutz. Bisher hieß es in allen Rahmenprogrammen nur: "Wir wollen einen gefährlichen Klimawandel vermeiden." Das war so allgemein, dass sich daraus keine konkreten Verpflichtungen ergaben. Ausgehend von der Zwei-Grad-Leitplanke, kann die Klimaschutzpolitik nun durchdekliniert werden. Deswegen ist es ein ungeheurer Fortschritt.

STANDARD: Aber auf eine konkrete Reduktion beim CO2-Ausstoß konnten sich die G-8 nicht einigen.

Schellnhuber: Wenn das Zwei-Grad-Ziel bei der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember tatsächlich völkerrechtlich vereinbart wird, ist der Rest Mathematik. Es lässt sich leicht ausrechnen, wie viel CO2 die Menschheit bis 2050 noch ausstoßen darf, wenn sie die Zwei-Grad-Linie mit einer akzeptablen Wahrscheinlichkeit halten will: rund 700 Milliarden Tonnen.

STANDARD: Warum hat man sich auf genau zwei Grad geeinigt?

Schellnhuber: Jenseits der zwei Grad steigt die Gefahr unbeherrschbarer Folgen so stark, dass es nicht verantwortbar wäre, darüber hinauszugehen. Es ist ja kaum etwas so intensiv untersucht worden wie die Konsequenzen der Erderwärmung. Dabei sind sogenannte Kipppunkte gefunden worden: Grönland beispielsweise würde bei einer Erderwärmung von drei Grad komplett abschmelzen, was einen Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter bedeuten würde. Bis zu einer Erwärmung von zwei Grad dürfte die Nahrungsmittelproduktion nicht allzu stark beeinträchtigt werden, jenseits der Zwei-Grad-Grenze dürfte es sehr starke Einschnitte geben.

STANDARD: Warum ist es so wichtig, dass Indien und China diese Ziele unterstützen?

Schellnhuber: Wenn nur die G-8 ein Ziel anstreben ist das Schall und Rauch. Die großen Emissionsmengen werden in Zukunft von den Schwellenländern kommen, falls es diese Staaten nicht schaffen, ihr Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum zu entkoppeln.

STANDARD: Entscheidend wird aber nun sein, ob die Staaten sich bei der großen Kioto-Nachfolgekonferenz in Kopenhagen einigen können?

Schellnhuber: Ja. Wenn man die Zwei-Grad-Grenze ernst nimmt, muss man in Kopenhagen einen Kohlenstoff-Kassasturz machen. Die 700 Milliarden Tonnen, die die Menschheit noch ausstoßen kann, müssen auf jedes Land verteilt werden. Dies wird eine große Herausforderung sein. Denn völlig klar ist, dass wir bis 2050 nahezu gar keine Emissionen mehr haben dürfen, die Welt wird also fast vollständig auf die Nutzung von fossilen Brennstoffen verzichten müssen. Das heißt, dass sich im 21. Jahrhundert eine ähnliche Transformation der Energiesysteme vollziehen muss wie einst vom vorindustriellen Zeitalter zum industriellen. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.7.2009)