Betteln ist in Wien erlaubt - solange man niemandem den Weg verstellt.

Foto: Matthias Cremer/Der Standard

Donnerstagnachmittag auf der Mariahilferstraße: Träge flanieren Mädchen in kurzen Hosen, Flip-Flops und übergroßen Sonnenbrillen die Gehsteige entlang, Burschen, deren Gesichter von Haarschöpfen und Kapperln verdeckt sind und hektisch telefonierende Anzugträger. Vorbei an rotgesichtigen Männern mit Tetrapackwein oder Dosenbier in den Händen, vorbei an Punks, die nach einem Euro fragen.

Ein ganz normaler Nachmittag. Ganz normal? Wo sind die kleinen Mädchen, die welke Rosen verkaufen, die Vermummten mit der Schüttellähmung, die alten Roma, die ihre verkrüppelten Beine zur Schau stellen? Seit dem Vormittag patrouillieren rund ein Dutzend Polizisten auf der Einkaufsstraße. Ihre Mission: Bettler anzeigen und wegweisen.

Verstellen des Weges

So beobachtet von Christian W.: Drei Polizisten straften einen Bettler wegen Verletzung der Straßenverkehrsordnung. Begründung: Verstellen des Weges. Die Anzeige nach Paragraf 78 kostet zwischen 50 und 70 Euro. Der Paragraf wird immer wieder herangezogen, um sich unliebsamen Publikums zu entledigen; seien es  Punks oder  Drogensüchtige am Karlsplatz. Als W., der keinen ersichtlichen Grund für die Strafe erkennen konnte nachfragte, antwortete der amtshandelnde Polizist, er sei für die Einhaltung des "Bettelverbots" zuständig. „Er meinte tatsächlich, Betteln sei verboten. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass das nicht stimmt, Betteln per se ist in Österreich keineswegs verboten", sagt W. Lediglich aggressives Betteln und das Betteln mit Kindern ist in Wien strafbar. Es sei eine Reaktion auf die Aufregung der ansässigen Geschäftleute und Passanten, heißt es von Seiten der Pressestelle der Wiener Polizei. Davon, dass vorwiegend ausländische Bettler perlustriert wurden, will man dort nichts wissen. Es seien nur Aufenthaltstitel und Dokumente kontrolliert worden.

Der Wiener, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite kniet, um den Hals ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe Hunger", hatte heute kein Problem mit der Polizei. Nicht einmal ausweisen habe er sich müssen. Ebenso wenig wie die Punks, die die Hälfte des Gehsteigs in Beschlag nehmen, auch nicht die Trinker und der schwer sedierte Bursche, der mit offener Hand vor dem Eingang zu McDonalds liegt. Dafür sind sämtliche Roma wie vom Erdboden verschluckt. (derStandard.at, Birgit Wittstock, 09.07.2009)