Eine Szene am Wiener Brunnenmarkt: Vielleicht heißt einer der Buben ja Muhammad. Die Motivationen der Eltern bei der Namensvergabe sind jedenfalls nicht über einen Kamm zu scheren

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„Ein Rauschen ging durch den Blätterwald", schreibt der Wiener Historiker Michael Mitterauer in einem bisher unveröffentlichten Artikel, als im Juni 2007 die Londoner Times meldete: „Muhammad is No 2 in boys' names." Muhammad (in 14 unterschiedlichen Schreibweisen: Mohammed, Muhammed, Mohamed etc. bis hin zu lokalen Varianten wie Mehmet) war also der zweithäufigste Name bei männlichen Babys in Großbritannien. Das Rauschen wurde allerdings fast noch lauter, als ein Jahr später - als manche erwarteten, Muhammad würde Nummer 1 werden - der Name in den Statistiken fehlte.

Nur Jack & Co. interessierten

Ein Anlass für Verschwörungstheorien: Wurde Muhammad bewusst unterdrückt, sollte der Grad der „Islamisierung" Großbritanniens verschwiegen werden? Die Erklärung war einfacher: Das „Office of National Statistics" hatte seine jährliche Namensstatistik eingespart, in privaten Zählungen kam der Name einfach nicht vor, da interessierten nur „Jack" (der Renner seit Jahren) und Konsorten.

Kein Symptom für wachsenden Islamismus

Damit ist das Thema aber nicht vom Tisch, nicht in Großbritannien und nicht anderswo. Mitterauer hat nicht nur Namensstatistiken erforscht, sondern sich vor allem auch den Diskurs im Internet darüber angeschaut, die subjektiven Gründe und Überlegungen zur Vergabe von Namen.
Um das Resultat vorwegzunehmen, er ortet mehr „Sichtbarmachung" und mehr religiöses Bewusstsein unter den europäischen Muslimen, aber nicht als Symptom für wachsenden Islamismus, das heißt für die Politisierung der Eltern der diversen Muhammads oder anderer Kinder, die Namen aus der islamischen Tradition tragen.

Einwurf: Würde eigentlich jemand auf die Idee kommen, bei den Eltern der vielen Sarahs und Jakobs eine Hinwendung zum alten Testament inklusive Folgen für die politische Einstellung zu vermuten?

Muhammad-Stadt Brüssel

Unbestrittene „Muhammad-City" - wobei dies vom islamophoben Erfinder der Bezeichnung nicht freundlich gemeint ist - in Europa ist Brüssel, dort liegt der Namen (immer alle Varianten zusammengerechnet) schon seit Jahren vorne. Dazugekommen sind inzwischen etliche französische Städte, Oslo, Malmö, Amsterdam, Rotterdam und Mailand. Wenn man Muhammad-verwandte Namen wie Ahmed und Hamid dazurechnet, werden es noch mehr. 

Gleichzeitig gibt es etliche europäische Städte mit ähnlich hohem muslimischem Bevölkerungsanteil und viel weniger Baby-Muhammads. Mitterauer weist darauf hin, dass die Muster der Namensgebung in den jeweiligen Zuwanderungsländern eben unterschiedlich sind - und sich übrigens auch wieder ändern. 

Zuerst der Name

So wie die Motivationen, die hinter den Namensgebungen stecken. Mitterauer berichtet von einer Internetkonversation über den türkischen Namen „Enes", den jeder halbwegs islamisch Gebildete dem Prophetengefährten Anas bin Malik zuordnet: „Enes war ein Begleiter des Propheten, haben wir herausgefunden", heißt es da. Zuerst also der Name, umso netter, wenn er sich als islamisch erweist.

Bei Muhammad ist das natürlich anders, auch wenn ihn manche Eltern ganz einfach als „schön" empfinden mögen: Er ist ein Abgrenzungsname (genauso wie traditionell alle hiesigen Namen mit Christ-). Und er wird als wirkmächtig angesehen, als Startvorteil für das Kind, das mit den guten Charaktereigenschaften des Propheten ausgestattet sein soll. 

Mehmet schimpft man leichter

Andererseits hält genau das Vorbild andere Eltern wieder davon ab, ihren Buben so zu nennen, berichtet Mitterauer: Man könne Muhammad doch nicht einfach ausschimpfen, führt ein Vater im Internet an. Da kommen dann unter Umständen lokale Varianten des klassischen Prophetennamens zur Anwendung. Mit einem Mehmet schimpft es sich offenbar leichter.

Und bei aller Wertschätzungen für Traditionen gibt es natürlich auch jene Muslime, die ihrem Buben einen „interkulturell besser verträglichen" Namen geben wollen. Den Namen favorisiert hingegen die auch hierzulande früher bekannte Statik des Namensguts, wenn man Kinder nach Eltern und Großeltern benannte.

In Wien noch weiter hinten

In Österreich gibt es keine Statistiken, die alle Muhammad-Varianten zusammenzählen. Laut Mitterauer ist ein Anstieg, besonders in Wien, klar zu erkennen. Ein Beispiel: „Muhammed" liegt 2007 auf Rang 35 (1995: 86. Rang). Bei der Addition wirklich aller Varianten käme man aber nicht auf einen Platz unter den Top Ten, auch wenn die Aussage „Muhammad vor Christian" wohl zutreffen würde - im Bereich der Plätze 30 bis 40. Keiner der österreichischen Topnamen ist gefährdet, überholt zu werden. 

Auch bei anderen islamischen Namen ist ein Aufschwung zu verzeichnen. Darunter sind die Namen der Familienmitglieder des Propheten (eine der wenigen Möglichkeiten für ein Mädchen, an einen islamischen Namen zu kommen), von Figuren der islamischen Geschichte, aber auch theophore Namen, wie die 99 Namen Gottes mit dem vorangestellten „Abd" (Diener), also Namen wie Abd al-Karim, Abd al-Rahman etc. 

Rückbesinnung auf Eigenes

Was sagt das aus: Wird vielleicht nicht Österreich islamisiert, aber die österreichischen Muslime reislamisiert oder gar fundamentalisiert? Oder ist das alles durch das Anwachsen des religiösen Selbstbewusstseins in einer zweiten Zuwanderergeneration (nach einer Phase des nicht Auffallen-Wollens in der ersten) zu erklären? 

Mitterauer kommt bei seiner Analyse jedenfalls zum Schluss, dass die Wandlung des Namensgut nichts mit Islamismus oder Fundamentalismus zu tun hat. Es haben jedoch wohl die politischen und kulturellen Konflikte, denen Muslime in europäischen Gesellschaften in den letzten Jahren vermehrt ausgesetzt sind, zu einer verstärkten Besinnung auf eigene Werte und Traditionen geführt. Das muss jedoch nicht Selbstausgrenzung heißen - es könnte auch zu einer Verbindung europäischer und islamischer Traditionen führen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD Printausgabe, 7.7.2009)