Es ist ein Novum im Linux-Desktop-Universum: Seit Samstag finden erstmals die zentralen EntwicklerInnenkonferenzen der beiden großen Desktop-Projekte räumlich und zeitlich direkt nebeneinander statt. Rund 1.000 GNOME- und KDE-EntwicklerInnen versammeln sich in Gran Canaria zum "Desktop Summit", um eine Woche lang neue Pläne zu schmieden, unterschiedliche Ansätze auszutauschen und so manche Idee gleich in konkreten Code umzuwandeln.

Zukunft

Damit positioniert sich die Kombination aus den bisher getrennt abgehaltenen GUADEC- und Akademy-Konferenzen als der wohl wichtigste Event des Jahres für die Zukunft des Linux Desktops. In zahlreichen Vorträgen wird ein Vorgeschmack auf das gegeben, was in den nächsten Monaten und Jahren auf den Desktops der Linux-UserInnen landen soll.

Ausblick

Der perfekte Rahmen also, um wieder einmal einen ausführlichen Blick auf frische Konzepte und neue Technologien im Linux-Desktop-Umfeld zu werfen. Auf den folgenden Seiten sollen sowohl einige der Highlights aus der KDE und GNOME-Entwicklung als auch anderer für den Desktop relevanter Projekte wie dem Grafikserver X.org etwas näher beleuchtet werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Im KDE-Umfeld steht mit KDE 4.3  bereits Ende Juli eine neue Generation der eigenen Desktop-Software zur Veröffentlichung an. Mit dieser treibt man die Konzepte der KDE4-Serie konsequent weiter, dazu gehören etwa die kontinuierlich Ausweitung der Widget-Nutzung mit Plasma.

Social

Neben der Unterstützung des Authentifizierungs-Frameworks PolicyKit und der Integration von Geolokalisierung, finden sich in KDE 4.3 aber auch bereits erste Spuren eines längerfristigen Projekts: Des "Social Desktop".

Integration

Dahinter verbirgt sich die Überlegung, den Austausch von Wissen und Informationen in den eigenen Communities zu erleichtern. Zu diesem Zweck sollen entsprechende Services in die einzelnen Anwendungen und den Desktop selbst integriert werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Zielsetzung des Social Desktops sieht außerdem vor über die Aktivitäten der eigenen FreundInnen in diversen sozialen Netzwerken zu informieren. Dies können neue Blog-Einträge ebenso sein, wie das Veröffentlichen von Fotos oder die Teilnahme an einem spezifischen Event.

Plasmoid

In KDE 4.3 finden sich die ersten zarten Ansätze dieses Konzepts in Form des OpenDesktop Plasmoid: Dieser bedient sich des Webservices von OpenDesktop.org, das wiederum auf dem frei spezifizierten Open Collaboration Services API basiert, um eine Art zentrale KDE-Identität zu schaffen. Über das Plasmoid wird dann über die Aktivitäten des eigenen Freundeskreises auf dem Laufenden gehalten.

Location

Zusätzlich bezieht man auch Standortinformationen ein: Über die Einstellungen lässt sich festlegen, wo man sich gerade befindet - in Folge können dann OpenDesktop-NutzerInnen im Umfeld aufgespürt werden. Eine wichtige Funktion könnte das Ganze aber zunehmend auch KDE-intern erlangen, eignet sich das System doch bestens, um relevante Hilfestellungen bei eventuellen Problemen mit dem Desktop zu erlangen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Vom "Sozialen" zum "Semantischen" Desktop: Mit Nepomuk hat man bei KDE schon jetzt eine Technologie integriert, die das Aufspüren von relevanten Informationen auf Sicht wesentlich einfacher machen soll. Einen Weg, den man auch in Zukunft konsequent weiter beschreiten will.

Metadaten

Prinzipiell geht es dabei um Interpretation und Aufbereitung von Metadaten, das von Desktop-Suchen her gewohnte Indizieren der Inhalte auf der Festplatte bildet hier allerdings nur einen Teil der Informationsquellen. Zusätzlich sollen die Desktop-Anwendungen so mit Nepomuk integriert werden, damit möglichst viele Kontextinformationen über erstellte Dateien gesichert werden.

Zusatzinfos

So wird dann etwa bei einem aus dem Netz heruntergeladenen Bild mitgespeichert, von welcher Webpage es stammt. Ein weiteres klassisches Beispiel ist ein Attachment, das üblicherweise - einmal extern abgespeichert - kaum mehr dem Original-Mail zugeordnet werden kann. Zusätzlich können die BenutzerInnen aber auch selbst die Dateien mit Metadaten versehen, etwa mit Tags oder Kommentaren.

Grafik: KDE

Aus diesem Datenpool lassen sich dann Beziehungen visualisieren, die andernfalls kaum mehr zu rekonstruieren wären. Auf diese Weise können dann etwa Dokumente, Bilder und Audio-Aufnahmen zu einem bestimmten Thema gemeinsam angezeigt werden. 

Suche

Genutzt wird das Ganze bereits von der Desktop-Suche Strigi, künftig sollen aber auch die einzelnen KDE-Anwendungen direkt auf diesen Datenpool zugreifen können. Dies wird dann etwa vom Mail-Programm KMail für die Darstellung von virtuellen Verzeichnissen genutzt.

Ausblick

Rund um Nepomuk sind derzeit aber noch einige andere interessante Projekt in Entwicklung: Dazu gehört Scribo, das sich der automatischen Text- und Bildanalyse verschrieben hat, also etwa Tags anhand des Inhalts einer Datei kreieren kann. Ebenfalls von den Metadaten-Informationen profitieren will der Anwendungsstarter Raptor. Je nach Kontext - etwa der aktuelle Aufenthaltsort oder die Häufigkeit der Nutzung - sollen dann unterschiedliche Anwendungen präsentiert werden, der Weg zum aktuell gerade wirklich Relevanten also verkürzt werden.

Grafik: KDE

In einer größeren Umbauphase steckt derzeit der zweite große Linux-Desktop. Immerhin will man bereits im kommenden März den GNOME 3.0 veröffentlichen, und neben internen Umbauten dabei auch mit neuen User-Interface-Ansätzen glänzen.

Shell

Das zentrale neue Element des Desktops soll die "GNOME Shell" werden, die Anwendungsstarter, Window Manager und Task Switcher vereint. Wie das konkret aussieht, zeigt sich nach der Aktivierung des "Activities"-Overlays, wo alle offenen Workspaces, die zur Verfügung stehenden Anwendungen und die zuletzt benutzten Dokumente übersichtlich präsentiert werden. Auch eine Suche hat man hier integriert.

Aktiv

Konzeptionell stellt man hier "Aktivitäten" in den Vordergrund, die die klassischen virtuellen Desktops ablösen sollen. Statt einer fixen Anzahl an Oberflächen werden diese dynamisch je nach Bedarf hinzugefügt, die Idee dahinter, dass unterschiedliche Aktivitäten auch üblicherweise auf getrennten Umgebungen durchgeführt werden.

Infos

Wer mehr über die GNOME Shell wissen will, der sei auf die eigene Ansichtssache zu GNOME 3 hingewiesen, wo wesentlich detaillierte über Konzepte und Implementation der Software eingegangen wird. Kurz erwähnt sei, dass die Entwicklung in den letzten Monaten zügig voranschreitet, so soll es künftig einen eigenen Sidebar geben, im Overlay-Modus gibt es außerdem eine großzügige Vorschau für ausgewählte Dokumente. Die GNOME Shell soll im September - rechtzeitig für GNOME 2.28 - in einer Beta-Version veröffentlicht werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ein weiterer Bestandteil der Pläne für GNOME 3 ist "GNOME Zeitgeist", die Implementation eines auf der vorangegangen GUADEC als "Dokument-zentrischer-GNOME" präsentierten Konzepts. Statt in Unterordnern zu wühlen, sollen die BenutzerInnen hier ihre Dateien nach einfacher zu merkenden Kriterien aufspüren können.

Ansatz

Immerhin erinnern sich die BenutzerInnen meist eher, dass sie ein Dokument vor zwei Tagen zum letzten Mal bearbeitet haben, nicht aber unbedingt in welchem Ordner dies gelandet ist. Neben der Sortierung anhand des Erstellungsdatums hat man das Konzept mittlerweile deutlich ausgeweitet, so will man auch Informationen nach ihrem Erstellungsort oder anhand von Tags - samt Autotagging-Funktion - aufbereiten.

Online

Für die Zukunft will man das Ganze dann auch noch mit Online-Services wie Flickr oder Google Docs verbinden, schließlich werden Dokumente zunehmend auch im Web bearbeitet. Die Zeitgeist-Engine soll außerdem als Basis für die Ubuntu Parental Controls dienen, das grafische Interface, das mittlerweile "GNOME Activity Manager" genannt wird, könnte in späteren Versionen des Ubuntu Netbook Remix als Informationszentrale dienen.

Umbau

Apropos Interface: Dieses befindet sich derzeit noch in stetem Umbau, das beigestellte Bild ist nur ein Minimal-Konzept, auch über aufwändigere Repräsentationen mithilfe der 3D-Bibliothek Clutter denkt man derzeit nach - eventuell auch gleich direkt aus der GNOME Shell heraus. Und noch ein Hinweis: GNOME Zeitgeist versteht sich nicht als Ersatz sondern als Ergänzung für einen klassischen Dateimanager, der Nautilus wird also auch in GNOME 3.0 erhalten bleiben.

Grafik: GNOME Zeitgeist

Von Seite der GNOME-EntwicklerInnen wird immer wieder auf die Vorzüge des Telepathy-Frameworks hingewiesen, das unter anderem die Basis des Instant Messengers Empathy bildet. Ein Potential, dass sich in den nächsten Monaten auch zunehmend in neuen Features manifestieren soll.

Tubes

So sollen die "Telepathy Tubes" den Kern einer Art "gemeinsamen Desktops" bilden. Schließlich können Desktop-Anwendungen darüber den Instant-Messenger - bzw. dessen Kontaktinformationen - zum Informations- und Datenaustausch nutzen. Derzeit arbeitet man gerade daran, dass Playlists direkt im Media Player Banshee  mit den eigenen Kontakten gesharet werden können, auch das Streamen von Songs über das Internet soll hier künftig möglich sein.

Umsetzung

Das Konzept lässt sich natürlich noch auf weitere Anwendungen umsetzen: So lassen sich über die Pfade der Telepathy Tubes dann nicht nur gemeinsame Spiele-Sessions sondern auch die Zusammenarbeit an einem Dokument organisieren.

Grafik: Youtube

Eine zunehmend wichtigere Rolle sollen auch beim GNOME künftig ortsabhängige Informationen spielen: Über die libchamplain lässt sich nicht nur der eigenen Aufenthaltsort mit anderen Kontakten teilen - und auf einer Karte visualisieren - dank Geotagging kann auch der Aufnahmeort eines Fotos direkt im Bildanzeiger Eye of GNOME dargestellt werden.

Toolkit-Fragen

Durchaus noch interessant könnten auch die Weiterentwicklungen im Toolkit-Bereich werden: So experimentiert man derzeit etwa mit der Möglichkeit GTK+-Widgets in Clutter zu integrieren, was ganz neue Interface-Darstellungs-Möglichkeiten ergeben würde.

CSS

Außerdem soll das Designen von GTK+-Interfaces künftig über eine CSS-ähnliche Syntax erheblich erleichtert werden - ähnlich wie es QT4 ja schon vormacht. Aber auch andere Toolkits sind derzeit in diesem Umfeld in Entstehung, so setzt Intel für sein Moblin zum Teil auf ein eigenes Netbook-Toolkit (nbtk).

Screenshot: Andreas Proschofsky

So wichtig GNOME und KDE als Projekte auch sind: Ohne den darunter liegenden Grafikserver geht hier gar nichts. Insofern kommt diesem auch einen besondere Bedeutung zu, eine Relevanz, die den UserInnen in Umbauzeiten durchaus schon mal unangenehm in Erinnerung gerufen wird.

Bugs

Gibt es doch in den aktuellen Ausgaben der Linux-Distributionen eine Fülle von Problemen, die aus eben jenen Umbauten resultieren, allein die Liste der verärgerten Ubuntu-NutzerInnen mit Intel-Grafikkarte ist wohl keine sonderlich kurze. Doch auch wenn das aktuell wohl nur ein begrenzter Trost ist: Dabei handelt es sich um Übergangsschwierigkeiten auf dem Weg in eine bessere X.org-Zukunft.

Rewrite

Kaum ein Stein blieb in den letzten Monaten auf dem anderen, zentrale Technologien wurden neue geschrieben - etwa das Direct Rendering - andere wie das Kernel Based Modesetting frisch aufgenommen. Dass dies nicht ohne Komplikationen ablaufen wird, war zu befürchten - und ist prompt auch eingetreten.

Wayland

Wohin diese Reise führen könnte, zeigt der experimentelle Grafikserver Wayland: Dieser wirft einen Großteil der X.org-Altlasten ganz hinaus und versucht eine optimale Umgebung für - halbwegs - moderne Rechner zu bieten. Vor allem ein perfektes Compositing schreibt man sich auf die Fahnen, "jeder Frame ist perfekt", deutet an, dass hier die Zeiten von flickernden Videos endgültig vorbei sein sollen. Da man auf die Kompatibilität mit alten Lösungen verzichtet, kommt Wayland mit wenigen tausend Code-Zeilen aus. Ob die Software einst tatsächlich den X.org-Server beerben wird, bleibt freilich noch abzuwarten, derzeit sieht man das Ganze noch eher als Experimentierfeld.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wenn man über die Entwicklung von Linux am Desktop spricht, sollte man nicht vergessen, dass ein bedeutender Teil der Innovationen derzeit in einem Spezialbereich stattfinden: Die physischen Beschränkungen von Netbooks treiben die Hersteller zu neuen Interface-Ansätzen.

Moblin

Ein beeindruckendes Beispiel dafür hat unlängst Intel für sein Mobil-Linux Moblin vorgestellt. Basierend auf der 3D-Bibliothek Clutter wird hier ein optisch aufwändiges und einfach zu bedienendes Interface geboten (mehr Informationen dazu auch hier in einem separaten Artikel). Doch auch bei KDE will man diesen Markt erobern, mit Plasma-MID hat man ein eigenes Angebot in Entwicklung.

Einschränkung

Wie immer bei solchen Ausblicken gilt: Was in der Zukunft liegt, kann sich noch verändern, manches des hier Vorgestellten mag später einen ganz anderen Weg einschlagen, anderes überhaupt in der Versenkung verschwinden. Der generelle Trend ist aber klar: Über einen Mangel an neuen Entwicklungen kann sich die Linux-Desktop-Welt derzeit wohl kaum beschweren. (Andreas Proschofsky [@suka_hiroaki auf Twitter] aus Las Palmas / Gran Canaria, derStandard.at, 05.07.2009)

Grafik: KDE