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US-Musiker John Scofield beim Jazzfest Wien.

 

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... und zeigte: Gospel-Repertoire vermag auch in funkiger und jazziger Gestalt reizvoll zu wirken.


Wien - Zu schwärmen ist von einem Herrn, der vor Jahren auszog, um es ein wenig gelassener und "volksnaher" anzugehen. So schien es jedenfalls. John Scofield wechselte von Blue Note zu Verve - es war noch die einigermaßen gute alte CD-Zeit, als die Majorlabels sich Jazzkönner finanziell gegenseitig abspenstig zu machen trauten -, und sein Verve-Erstling A Go Go lullte mit funkiger Band-Energie ein, während sich Scofield da gemütlich improvisierend mit einprägsamen, kurzen Themen auseinandersetzte.

Es war indes kein Hauch von Selbstverleugnung zu hören; schließlich kam Scofield auch vom Rhythm & Blues, vom Rock und vom Funk her. Diese Vorbildung hatte ihn ja in die Band von Miles Davis katapultiert, wo er im Rahmen eines hitzigen Jazzrock gegen Saitenkollegen Mike Stern anzutreten hatte. Andererseits: Es existierte in ihm prinzipiell auch eine düster-komplexe Seite, die sich an anspruchsvollen Harmonie- und Skalenwelten gütlich tat - und bei A Go Go pausierte.

Und siehe da: Nach A Go Go kam bei Verve Bump heraus und verkaufte weniger, da - wohl zum Leidwesen der Verve-Manager - auf der CD auch reichlich schrullige Abstraktheit herrschte. Irgendwann kam es zum Unvermeidlichen: Nach ein paar CDs (auch eine Hommage an das Werk von Ray Charles war dabei) trennte sich Verve von Scofield, innerhalb des Universal-Konzerns wanderte er zu Emarcy. Ebendort kamen kürzlich seine Variationen über den Gospel heraus (CD Piety Street), jene Musikform, "die aus den Kirchen kam, in die man als weißes Kind nicht hineinging", so Scofield unlängst zum Standard.

Hört man das Projekt live beim Jazzfest Wien, erkennt man natürlich: Welch zugängliche, leichte Gospelbedingungen der US-Gitarrist auch für sich wählen mag, er bleibt jener unberechenbare, kompromissferne Grübler zwischen erdigem und abstraktem Ausdrucksvaleur. Je nach notwendig scheinendem Tonfall, je nachdem, wohin ihn die Improvisationsgelüste des Augenblicks hintreiben, steht er mitten in der bluesigen Tradition oder setzt flugs zu einer Form der Materialdekonstruktion an, bei der sich einzelne Noten in pure Klangenergie auflösen können.

So erlebt man etwa während eines im Reggae-Format gebrachten Haderns, wie konsequent der Gitarren-Minimalist die Verknappung bis zum Äußersten treibt: Da wird dann eine einzige Note unendlich lange gestreichelt oder gewürgt, zum Flüstern oder zum Schreien gebracht. Wo andere Kollegen auf Notenverschwendung setzen, legt es Scofield auf wundersame Metamorphosen des Tons an.

Würden die Töne (von der Phrasierung her) allerdings nicht im richtigen Moment zum Einsatz gebracht, würde Scofield seine Instrumentalstimme nicht sorgfältig getimt erheben - es bliebe vieles nur belanglose Spielerei. Hier aber herrscht die Magie einer präzisen Unmittelbarkeit. Wobei: Scofields Improvisationen wirken vom Gestus her verschlafen, sind aber Dokumente ambitionierter Wachheit im Sinne einer über die Ufern der Klischees tretenden Inspiration. Der Mann ist mehr als Gitarrist. Er ist Musiker. (Ljubiša Tošić / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.7.2009)