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Foto: Karl Baach

Abseits der ausgetrampelten Tourismuspfade der griechischen Inselwelt finden sich immer noch Plätze, die sich ihre Ursprünglichkeit weitest gehend erhalten haben. Ein Geheimtipp, wenn auch zusehends bekannter: Die 255 Quadratkilometer große und westlich von Samos gelegene Insel Ikaria. Die Insel ist nichts für Verwöhnte, sondern eher eine Angelegenheit für naturverbundene Individualisten, rau - aber herzlich! Schon die Anreise aus Österreich ist so eine Sache. Die beste Variante ist ein Flug nach Samos, dann mit der Fähre via Vathi und Karlovassi nach Evdilos. Fahrzeit etwa zweieinhalb Stunden. Oder Direktflug nach Athen, von dort wird täglich der kleine Flughafen der Insel angeflogen. Dabei sollte man die Flugzeiten beachten, ein Direktanschluss eher nicht möglich. Mit dem eigenen PKW geht es per Fähre ab Piräus mir einer Fahrzeit bis zu zehn Stunden.

Bisher waren wir immer im September auf "unserer" Insel, bedingt durch den bevorstehenden Schulbeginn unserer Tochter mussten wir unseren heurigen Aufenthalt auf Ende Mai, Anfang Juni verlegen, haben es jedoch nicht bereut.

Nach der Landung auf Samos geht es für 20 Euro mit dem Taxi nach Vathi und dort werden gleich mal die Tickets für die am nächsten Tag um acht Uhr auslaufende Fähre besorgt. Achtung: Auf Schiffen der Hellenic Seaways gibt es drei Klassen! Im Anschluss daran haben wir ein Zimmer für eine Nacht gesucht, was aber außerhalb der Hauptsaison kein Problem darstellt.

Die Überfahrt mit der "Nissos Mykonos" am nächsten Morgen verläuft ruhig. Und endlich: Wir legen in Evdilos, dem kleineren Hafen im Norden von Ikaria an. Die Taxis stehen aufgefädelt am Kai des kleinen Hafens - und wen sichten wir? Den Fahrer, der uns anlässlich der letzten Heimreise im Jahr 2007 nach Agios Kirikos, den größeren, im Südosten liegenden Hafen der Insel, gebracht hat. Passt! Einsteigen und ab nach Nas, dem eigentlichen Ziel unserer Reise. Nas liegt im Nordwesten, besteht nur aus fünf Tavernen und sanft in die Landschaft eingebetteten Appartementhäusern. In der ehemaligen „Astra-Taverne" von Dimitris können Autos und Zweiräder gemietet und seit neuestem auch Tickets für Fähren erworben werden. Gegenüber gibt es einen, jeweils ab Juni geöffneten, "Minimarket".

Auf einem seit einigen Jahren befestigten Weg kommt man zur kleinen, von Felsen umgebenen Bucht mit einem "offenen" Strand. Hier kann bedenkenlos nackt gebadet werden. Vorsicht ist geboten bei hohen Wellen, denn der Strand ist recht steinig. Im Frühjahr ist das Meer aber ohnehin ruhiger. Im Chalares-Bach, der durch einen wildromantischen Canyon hinunter zum Strand fließt, tummeln sich neben zahlreichen Fischen auch Frösche, Libellen, Krabben und Wasserschildkröten.

Es ist wie immer eine Art von „Heimkommen", anders lässt sich das Gefühl nicht beschreiben. Wir beziehen das Studio bei Evagelia und ihren Kindern, wandern runter wandern und statten "Annas Taverne" einen ersten von vielen Besuchen ab. Hier gibt es noch typisch griechische Gerichte, die man - wie sollte es anders sein - in der Küche selbst aussuchen kann. Anna und ihr Team sorgen für gute Laune und so nebenbei können die tollsten Sonnenuntergänge bewundert werden.

Ikaria wird auch, und ganz besonders, wegen der vielen Wanderwege und der faszinierenden und vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt geschätzt. Es gibt eine Vielzahl an Spinnen, Käfern, Schmetterlingen, Raupen und Grashüpfern. Große Hornissen schwirren brummend durch die Luft und manchmal sieht man bizarre Gottesanbeterinnen "aliengleich" über den Weg staksen. Schlangen (leider nur eine Sichtung) und Skorpione (leider - oder zum Glück - keine Sichtung) gibt es ebenfalls. Auch zwei inseltypische Eidechsenarten sonnen sich dekorativ auf Felsen, Wegen und Steinen. Schwalben, Möwen und Sperlinge teilen sich den Luftraum, ab und zu sind auch Raubvögel zu sehen.


Die Entscheidung, wenigstens ein Mal im Frühling hierher zu kommen, war absolut richtig. Als wir Mitte Mai ankamen, standen die Ginsterbüsche in voller Blüte und verströmten einen berauschenden Duft. Blutroter Klatschmohn säumte den Weg und selbst die stacheligen Kakteen hatten hübsche, gelbe Blüten aufgesetzt. Wahrscheinlich für den stellenweise herbwürzigen Geruch von Liebstöckel verantwortlich: Ein Kraut mit dem Namen "Italienisches Sonnengold". Kein Wunder, dass der Honig, der auf der Insel produziert wird, so köstlich schmeckt. Somit war jede Wanderung vom Quartier zum Strand und retour für uns und ganz besonders für unsere sechsjährige Tochter eine kleine Expedition.

Ikaria hat auch sonst sehr viel zu bieten: Einige überwiegend sandige Strände, das sehenswerte Örtchen "Christo Raches" in den Bergen, einen Wasserfall, "Therma" mit seinen warmen Quellen im Meer, den mit runden und weißen Steinen ausgelegten Strand "Seychelles" auf der Südseite sowie das ebenfalls im Süden gelegene Fischerdorf "Karkinagri". Mit einem Gelände tauglichen Mietwagen kann die Insel auch auf den sehr rustikalen und nicht asphaltierten Nebenstraßen erkundet werden.

Nas ist ein besonderer Ort, ausgestattet mit einer ganz speziellen Magie. Das liegt nicht nur an den Ruinen des Artemis-Tempels (in hellen Vollmondnächten ein Tummelplatz für Esotherik-Grüppchen und Romantiker), es hängt mit der Landschaft, den Menschen, den Pflanzen und Tieren zusammen.

Die wegen des kargen Bodens einfache Landwirtschaft wird überwiegend zur Selbstversorgung auf von Steinmauern begrenzten Terrassen betrieben. Ein paar Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe werden hier gehalten. Die kleinen Wein-, Obst - und Gemüseflächen werden oftmals von der älteren Generation bewirtschaftet. An ruhigen Tagen wird das Meer von heimischen Fischern in ihren kleinen Booten befahren.

Unserer subjektiven Meinung nach sind im September die lässigeren Leute unterwegs. Die Vegetation, die Tierwelt, das ruhigere Meer, weniger heftige Winde und die länger werdenden Tage sprechen allerdings für Mai/Juni. Das Wasser ist im Mai noch sehr frisch, erwärmt sich aber durch stetig heißer werdende Tage im Juni sehr schnell auf Badetemperatur. Von Mitte Juli bis Ende August sollte man diese Insel allerdings meiden. Sie wird in dieser Zeit von den, auch bei den Einheimischen nicht sehr geschätzten, hellenischen Städtern überlaufen.

Der Abschied war diesmal ein sehr wehmütiger und zutiefst trauriger, da es aller Voraussicht nach, aus bereits erwähnten Gründen, unser letzter Aufenthalt auf diesem Juwel in der Ägäis war! (Karl Baach)