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Dirigent Gustav Kuhn.

Foto: APA

Wien - Würde Gustav Kuhn in Erl abdanken, würde er also sein nun schon längst international etabliertes Festival verlassen - es bliebe für den in Salzburg Aufgewachsenen dennoch einiges zu tun. Da wäre die Accademia di Montegral in der toskanischen Stadt Lucca, wo Kuhn Talente betreut und mit Gästen Ideen diskutiert. Da wäre das CD-Label Col Legno, an dem er beteiligt ist. Zu nennen wäre auch "Neue Stimmen" , jener Wettbewerb der Bertelsmann-Stiftung, bei dem Kuhn eine zentrale Rolle einnimmt. Zudem ist da noch das Haydn Orchester Bozen/Trient und die internationale Tätigkeit als Gastdirigent.

Fad würde Kuhn also nicht werden ohne Erl. Andererseits hängt bei Kuhn alles quasi weltanschaulich zusammen; alle Aktivitäten können auch als Vorbereitung für das Festival in Erl betrachtet werden, bei dem Kuhn seine Vision eines von der oberflächlichen Hektik (der Musikindustrie) befreiten Arbeitens mit substanzvollen Ergebnissen umsetzt. Umgekehrt: Würde Kuhn alle Aktivitäten außer Erl aufgeben, hätte er auch nicht Zeit totzuschlagen; schließlich rast er während der Proben- und Festspielzeit (2. bis 26. Juli) auf seiner Honda durch den Tiroler Ort als Intendant, Dirigent und als Opernregisseur.

Wie auch immer man es dreht - Kuhn bliebe hochaktiv, und es würde ihm das alles nicht zu viel. Wäre ja auch skurril, würde das Umsetzen langgehegter Träume - einmal vollzogen - vom Träumer plötzlich als zu große Last empfunden werden. Und außerdem gibt es für Kuhn, der heuer in Erl 13 Abende dirigiert (60 Orchesterproben gingen voraus), auch pragmatische Gründe, wenig zu delegieren:

"Wenn ich nicht dirigiere, verkaufen wir die Hälfte der Karten. Die Leute denken offenbar: ‚Wir kommen doch nach Erl zu dem dicken, irren Alten! Wenn der nicht da ist, können wir ja auch woandershin. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Wenn ich einen Regisseur finde, der in unserem Sinne ein Jahr Zeit aufbringt, um mit Künstlern zu arbeiten, also etwa die Besprechung über die anstehende Oper schon im Oktober in Lucca zu machen, dann könnte ich was abgeben. Die Zeit wird schon kommen. Jetzt bin ich einmal froh, dass wir alles so etabliert haben."

Etabliert war Kuhn (Jahrgang 1945), der Karajan-Protegé, schon in den 1980ern, aber eher im glanzvollen Musikbusiness-Sinne. Er dirigierte international, also die meisten großen Orchester; eine gewisse Verweigerungshaltung ließ ihn schließlich aber von der Klischeekarriere eines Dirigenten abweichen. Der Betrieb und Kuhn lebten sich auseinander.

Mittlerweile schaut der Betrieb nach Erl, auch um Talente abzuwerben. "Wir suchen ja immer Nachwuchssänger. Meine Theorie ist ja, dass man Vokalisten nur drei Jahre lang einsetzen kann. Ist einer begabt, landet er an der Staatsoper und ist wohl interessiert an einer Weltkarriere. Wenn er aber nicht begabt genug ist, dann kann auch ich ihn nach drei Jahren nicht mehr brauchen."

Manch Begabung bleibt indes länger, "weil sie sich dem Karrierestrudel nicht aussetzen will. Immer allein am Flughafen und im Hotel - das ist nicht lustig", so Kuhn, der in drei Jahren noch mehr Talente brauchen wird. Stichwort "Winterhäuschen". Es geht dabei um ein neues Opernhaus, das auch im Winter Kuhn-Kunst ermöglichen soll (das Passionsspielhaus ist in der eher frischen Jahreszeit unbenutzbar). Erbaut wird es von der Strabag, deren Chef Hans Peter Haselsteiner auch Präsident der Festspiele in Erl ist.

"Das wird ein Mozart- und Belcanto-Haus! So um Weihnachten herum würde ein Festival stattfinden, ich bin sicher, es gibt genug Menschen, die Weihnachten etwas anders feiern möchten. Klar ist das ambitioniert, besonders zurzeit. Aber der Haselsteiner sagt immer zu mir: ‚Du schau, dass du deine Kunst machst, und ich sage dir schon, wenns es nicht mehr geht!‘" (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe, 30.06.2009)